Erfolg sozialer Netzwerke treibt Firmenwerte hoch Wiederholt sich die Internetblase?

Stand: 17.01.2011 11:50 Uhr

Junge Online-Firmen wie Facebook sind derzeit Lieblinge der Investoren. Anleger spekulieren mit hohen Summen darauf, dass etwas ganz Großes entsteht - wie zu den Zeiten des New-Economy-Blase vor der Jahrtausendwende. Wiederholt sich die Geschichte? tagesschau.de vergleicht damals und heute.

Von Claudia Witte, tagesschau.de

Etwa 50 Milliarden Dollar, mehr als die Deutsche Bank oder der Autokonzern BMW, soll das Internetunternehmen eines 26-Jährigen wert sein. Das rechnete zumindest die US-Investmentbank Goldman Sachs aus, als sie etwas weniger als ein Prozent von Facebook kaufte und dafür 450 Millionen Dollar bezahlte. Damit nicht genug: Goldman bot seinen vermögenden Kunden an, über einen eigens dafür geschaffenen Fonds in Mark Zuckerbergs Treffpunkt im Internet zu investieren - insgesamt 1,5 Milliarden Dollar sollten eingesammelt werden. Die Investoren rissen sich um die Facebook-Anteile.

Steil ist das Online-Netzwerk zum globalen Medienphänomen aufgestiegen, mit mittlerweile mehr als 500 Millionen Nutzern. Gerade einmal ein halbes Jahr ist es her, da wurde Facebooks Firmenwert noch auf gut die Hälfte, rund 26 Milliarden Dollar, taxiert.

Thomas Heilmann, Werber, Mit-Gründer der Agentur Scholz & Friends und Berliner CDU-Politiker, der Ende 2008 in Facebook investierte, teilte mit, seine Anteile kurz vor Weihnachten verkauft zu haben - mit Gewinn. Er hält Facebook heute für komplett überbewertet: "Wäre die aktuelle Bewertung angemessen, müsste Facebook alsbald sieben bis acht Milliarden Dollar Gewinn machen. Das ist vielleicht das Vierfache dessen, was Facebook heute an Umsatz macht", sagte Heilmann dem Berliner "Tagesspiegel". Irgendwann erreiche das Unternehmen voraussichtlich diese Größenordnung. Aber er würde heute nicht für eine Bewertung zahlen, "in die Facebook vielleicht in fünf bis zehn Jahren hineinwächst". Timo Leimbach vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe spricht bei solchen Investitionen von einer "großen Wette auf die Zukunft".

Wetten auf intransparente Firmen

Nicht nur Facebook, sondern auch andere junge Online-Firmen wie der Gutscheinvermarkter Groupon und der Kurznachrichtendienst Twitter sammeln derzeit hohe Summen bei Investoren ein - und steigern ihren Firmenwert, ohne detailliert Auskunft über ihre Finanzen zu geben. Die Firmenanteile wechseln auf außerbörslichen Handelsplattformen die Besitzer.

Ende des Jahres meldete die Wertpapierfirma Nyppex, dass der Wert der führenden elf Internetunternehmen in Privatbesitz im zweiten Halbjahr 2010 um insgesamt 54 Prozent angestiegen sei. Anleger spekulieren darauf, dass etwas ganz Großes entsteht - wie zu den Zeiten des New-Economy-Hypes vor der Jahrtausendwende. Wiederholt sich die Geschichte? Schon wieder fließt viel billiges Geld an die Finanzmärkte, die Zinsen sind niedrig.

Facebook Geschäftszahlen Transparenz

Facebook muss als nicht-börsennotiertes Privatunternehmen Geschäftszahlen nicht veröffentlichen. Nur so viel ist durchgesickert: In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres verdiente Facebook 355 Millionen Dollar – bei einem Umsatz von 1,2 Milliarden Dollar. 2009 hatte der Umsatz bei 777 Millionen Dollar gelegen, der Gewinn bei 200 Millionen Dollar. Bald könnte die Öffentlichkeit es aber genauer erfahren. Denn zunehmend werden Facebook-Anteile auf den so genannten Sekundärmärkten gehandelt. Dabei handelt es sich etwa um Papiere ehemaliger Mitarbeiter des Unternehmens oder Weiterverkäufe früherer Geldgeber. Wohl noch in diesem Jahr wird Facebook bei einer seiner Aktienarten, die derzeit gehandelt werden, die Schwelle von 500 Eignern durchbrechen. Die US-Börsenaufsicht SEC schreibt vor, dass ein Unternehmen dann Rechenschaft über seine Geschäftszahlen abzulegen hat. Mit der Möglichkeit der Verschwiegenheit entfällt aber der größte Vorteil der privaten Unternehmensführung. Einen Börsengang stellt Facebook für 2012 in Aussicht.

Es gibt aber auch entscheidende Unterschiede zu den Boom-Zeiten der New Economy. In den 1990er-Jahren glaubte jede junge Firma, an die Börse zu müssen, ganz gleich ob ihr Geschäftsmodell Tragfähigkeit bewiesen hatte. Die neue Generation der Internetfirmen wie Facebook stürmt nicht einfach an die Börse. Im Gegenteil. Nach dem abrupten Ende der Internet-Euphorie hegen die jungen Unternehmen Misstrauen gegen die nervösen Launen der Finanzmärkte. "Facebook geht geschickter vor als die Firmen damals", meint Innovationsforscher Leimbach. Für Facebook sei es gesünder, nicht gleich unter den Zwang des Aktienkurses zu kommen und Anleger bei Laune halten zu müssen.

Auch die Stimmung sei eine ganz andere, sagt Leimbach. "In den Zeiten der New-Economy-Euphorie dachte man, die alte Wirtschaft werde sterben." Damals überschütteten Investoren auch Firmen mit Geld, deren Geschäftsmodelle nichts als luftige Versprechen waren. Fast alle Technologieaktien erlebten einen Run, die Kurse schossen in die Höhe - und lösten sich von allen relevanten Bewertungskennzahlen der Realität. Diesmal hingegen beschränkt sich der Ansturm auf wenige, außerbörslich gehandelte Firmen. Leimbach hält es deshalb für übertrieben, von einer neuen Blase zu sprechen.

Kein Wachstum über Nacht

Zudem spreche einiges für die neuen Stars unter den Internetfirmen: "Sie wachsen nicht über Nacht in den Himmel", sagt Leimbach, "und wirtschaften nachhaltiger". Google hatte vier Jahre gebraucht, um den ersten Gewinn zu erzielen, Facebook rund fünf. Und sie machen überhaupt Gewinne - anders als viele der gefallenen frühen Internet-Ikonen wie etwa AOL.

Nikolaus Mohr, Geschäftsführer im Bereich Communications & High Tech bei der Unternehmensberatung Accenture, sieht "deutlichen Realismus bei den heutigen Unternehmen". Aus seiner Sicht ist das eine Lehre aus dem Desaster vor zehn Jahren. "Das Platzen der Blase hat zu einer Gesundung geführt, zu der Erkenntnis, dass Investitionen besser geprüft werden müssen", sagt Mohr.

Wird Facebook das neue Google?

Facebook-Chef Zuckerberg lockt die Investoren mit seiner Vision: Facebook wird das neue Google. Nicht nur was den geschäftlichen Erfolg angeht, sondern auch die epochale Bedeutung für das neue Jahrzehnt. "Das Netz hat sich vom Internet der Portale zum Internet der Suchmaschine Richtung Internet der sozialen Communities entwickelt", sagt Mohr. Yahoo steht für die Portale, Google repräsentiert die Suchmaschinen, Facebook die jüngste Phase. Facebook hat die Konkurrenz - MySpace, LinkedIn, Xing - übertrumpft. Ein Grund für die hohen Erwartungen. 

"Es gibt kein Unternehmen, das eine so breite Nutzerbasis hat", sagt Mohr. Google hat längst gezeigt, dass das werbebasierte Geschäftsmodell trägt. In mancher Hinsicht bietet Facebook aber noch mehr als Google: Eine Suchmaschine will ihre Nutzer schnell auf andere Seiten schicken, das soziale Netzwerk wurde hingegen zum Verweilen gesponnen. Und ganz nebenbei entstehen dabei Nutzerprofile, die weit genauer und lukrativer für Werbetreibende sind als die Suchanfragen bei Google. "Natürlich sehen viele das Potenzial, mit dieser Nutzerbasis mehrfach Geschäfte zu machen", sagt Mohr.

Das Facebook-Mitglied als Kunde also. Hype oder todsichere Wette? Ob die Geschäftsstrategie des sozialen Netzwerks tatsächlich aufgeht, bleibe letztlich eine Glaubensfrage, meint Mohr. "Es gibt jetzt eine Menge Leute, die daran glauben."