Händler an der New Yorker Börse
Marktbericht

Wall Street stark im Minus Zinsängste und kein Ende

Stand: 22.12.2022 22:45 Uhr

Überraschend robuste Konjunkturdaten haben die US-Börsen auf Talfahrt geschickt. Diese halten der Notenbank den Rücken frei, die Zinsen weiter zu erhöhen. Das schmeckte dem Markt gar nicht.

Mit deutlichen Verlusten ist heute der Handel an der Wall Street zu Ende gegangen. Denn robuste Konjunkturdaten schürten neue Zinsängste der Anleger, die sich im Gefolge aus dem Markt verabschiedeten. Erst gegen Ende der Sitzung kam auf niedrigerem Niveau wieder etwas Kaufinteresse auf, was aber an der schlechten Stimmung nicht wirklich etwas änderte.

Vor allem die zinssensitive Technologiebörse Nasdaq musste kräftig Federn lassen. Der Composite-Index rutschte um 2,18 Prozent ab auf 10.476 Zähler und auch der Auswahlindex Nasdaq 100 kam mit 2,49 Prozent unter die Räder. Der Dow Jones-Index, der Leitindex der Standardwerte, kam im Vergleich etwas glimpflicher davon, verbuchte am Ende aber mit einem Abschlag von 1,05 Prozent auf 33.027 Zähler ebenfalls einen spürbaren Verlust. Das Tagestief lag im Dow bei 32.573 Punkten. Der marktbreite S&P-500-Index ging bei 3822 Punkten aus dem Handel, ein Minus von 1,45 Prozent.

Die US-Märkte gaben damit die Gewinne des Vortages größtenteils wieder ab. "Wir befinden uns immer noch in einem Bärenmarkt", sagte Luca Paolini, Chefstratege beim Vermögensverwalter Pictet Asset Management. "Es gibt gelegentlich kurze Erholungen und dann geht es wieder bergab", sagte er mit Blick auf die Ergebnisse der Wall Street vom Vortag

Gleich eine ganze Reihe überwiegend robust ausgefallener neuer Konjunkturdaten zeichneten heute das Bild einer weiterhin soliden Wirtschaftsentwicklung. Vor allem die US-Verbraucher schränken ihren Konsum offensichtlich trotz hoher Inflation nicht nennenswert ein. Zudem bleibt der Arbeitsmarkt robust.

Zwar rechnet der Markt mit einer Rezession im kommenden Jahr, diese könnte aber milde ausfallen. Eine solide Konsumneigung der Verbraucher hält ebenso wie ein robuster Arbeitsmarkt der Notenbank den Rücken frei, bei der Inflationsbekämpfung weiter auf dem Gaspedal zu bleiben. Die Fed hat den Leitzins jüngst um einen halben Prozentpunkt angehoben auf die neue Spanne von 4,25 bis 4,50 Prozent. Zuvor hatte sie vier Mal in Folge noch größere Zinsschritte vollzogen - um jeweils 0,75 Prozentpunkte.

Unter anderem die Zahl der Erstanträge auf US-Arbeitslosenhilfe stieg weniger schnell an als erwartet. Die Daten geben Auskunft über die Abkühlung des Arbeitsmarktes und deuten damit auch auf künftigen Schritte der Fed hin. Analysten hatten im Vorfeld mit einem Anstieg der Anträge auf 222.000 gerechnet, die Zahl blieb jedoch im Vergleich zur Vorwoche kaum verändert und lag bei 216.000.

Die US-Wirtschaft ist im dritten Quartal zudem schneller gewachsen als bislang angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt legte auf das Jahr hochgerechnet um 3,2 Prozent zu, wie das Handelsministerium in Washington mitteilte. Davor war nur mit einem Plus von 2,9 Prozent gerechnet worden. Im zweiten Quartal war die weltgrößte Volkswirtschaft sogar geschrumpft, und zwar um 0,6 Prozent.

Trotz zunehmender Rezessionsängste und eines Einbruchs auf dem Immobilienmarkt wird für das zu Ende gehende vierte Quartal erneut mit einem robusten Wachstum gerechnet. Befragte Ökonomen sagen ein Plus von 2,7 Prozent voraus. Garant für den Aufschwung sind demnach die Verbraucher, die ihren Konsum ungeachtet der hohen Inflation hochgefahren haben dürften - nicht zuletzt wegen der in der Pandemie angesammelten Ersparnisse.

"Die BIP-Daten haben die Erwartungen übertroffen", sagte Sam Stovall, Anlagestratege bei CFRA Research in New York. Die Daten schürten Befürchtungen, dass die Wirtschaft nicht so leicht aufgebe und sich gegen die restriktive Zinspolitik der Fed wehre. Dies werde die Notenbank wahrscheinlich dazu zwingen, die Zinsen für eine längere Zeit hoch zu halten.

Die konjunkturellen Aussichten in den USA haben sich im November allerdings stärker als erwartet eingetrübt. Der Sammelindex der wirtschaftlichen Frühindikatoren fiel gegenüber dem Vormonat um 1,0 Prozent, wie das private Forschungsinstitut Conference Board heute in Washington mitteilte. Es ist bereits der neunte Rückgang in Folge. Analysten hatten im Schnitt mit einem Rücksetzer um lediglich 0,5 Prozent gerechnet.

Im Oktober waren sie um revidierte 0,9 Prozent (zunächst minus 0,8 Prozent) gefallen. Die Zinserhöhungen der US-Notenbank belasteten die Wirtschaft und insbesondere den Wohnungsbau, sagte Direktor Ataman Ozyildirim vom Conference Board. "Infolgedessen gehen wir davon aus, dass eine Rezession in den USA wahrscheinlich Anfang 2023 beginnen und bis Mitte des Jahres andauern wird."

Gute Nachrichten seien in diesem Fall schlechte Nachrichten, sagte Konstantin Oldenburger, Marktanalyst beim Handelshaus CMC Markets. Dieses Zahlentableau passe gar nicht in die Strategie der Fed, das Tempo aus dem Zinserhöhungszyklus nehmen zu wollen. Betroffen war auch der heimische Markt, wo der DAX nach anfangs flottem Start ins Minus drehte.

"Durch die Bank weg besser als erwartete Konjunkturdaten aus den USA platzten in die vorweihnachtlich positive Stimmung an der Frankfurter Börse. Der amerikanische Konjunkturmotor brummt und der Arbeitsmarkt bleibt robust, während die Preise steigen und die Verbraucher trotzdem shoppen gehen."

Unter den Einzelwerten standen erneut Tesla im Fokus. Der US-Elektroautobauer will in den USA und Kanada mit Rabatten gegen die nachlassende Kauflust ansteuern. Für die Tesla Modelle 3 und Y, die noch in diesem Jahr ausgeliefert werden, sollen in den USA Preisnachlässe über 7500 Dollar gegeben werden und in Kanada über 5000 Dollar, wie Tesla heute mitteilte. Zudem werde das Aufladen der Elektroautos über 10.000 Meilen kostenlos angeboten. Der Konzern hatte im Oktober eingeräumt, sein Absatzziel in diesem Jahr zu verfehlen, spielte aber Bedenken hinsichtlich der Nachfrage herunter.

Allein seit Anfang 2022 steht inzwischen ein Kursverlust von etwas über 60 Prozent zu Buche, womit Tesla einer der schwächsten Werte im Auswahlindex Nasdaq 100 ist, der im selben Zeitraum nur etwa halb so viel verloren hat. Dass der Autobauer US-Käufern seiner zwei günstigsten Modelle deutlich höhere Preisnachlässe gewährt als noch Anfang Dezember, lastet offenbar auf der Stimmung. Tesla-Papiere setzten ihren jüngsten Ausverkauf fort und verloren kräftig um 8,88 Prozent. Zuletzt war das Papier auch wegen der Twitter-Eskapaden des exzentrischen Firmengründers Elon Musk abgestraft worden.

Aus der Bundesregierung wurden Forderungen laut, Twitter in Europa unter direkte Aufsicht der EU-Kommission zu stellen. Damit solle ein wettbewerbswidriges Verhalten von Firmenchef Elon Musk unterbunden werden, teilte Sven Giegold, der für Wettbewerbspolitik im Bundeswirtschaftsministerium zuständige Staatssekretär, mit.

Gestern hoch, heute runter: Anleger am Aktienmarkt brauchen weiter starke Nerven. Denn der DAX konnte am Nachmittag nicht an die jüngste Mini-Erholung anknüpfen und folgte einer schwachen New Yorker Börse ins Minus. Am Ende verlor der deutsche Leitindex 1,30 Prozent und schloss bei 13.914 Zählern. Das Tagestief lag bei 13.890 Punkten nur wenig darunter.

Am Vormittag war der deutsche Leitindex in der Spitze noch um ein knappes halbes Prozent bis auf 14.160 Punkte geklettert, nachdem er schon am Vortag deutlich zugelegt hatte. Aber es fehlten die Anschlusskäufe, so dass es danach stetig bergab ging. Auch die Marke von 14.000 Punkten wurde wieder unterschritten. Die Skepsis über den weiteren Konjunkturverlauf in Europa und das dünne Handelsvolumen vor Weihnachten ließen die Kursgewinne dahinschmelzen, erklärte Marktexperte Andreas Lipkow.

Die "Börsenbullen" (Käufer) hoffen aber trotzdem weiter auf eine Jahresschlussrally, zumal noch morgen und in der kommenden Woche noch viermal gehandelt wird. Hintergrund der statistisch gut belegten Aufschwungphase vor dem Jahresende ist meist der Wille der Investoren, ihren Kunden in den Depots noch höhere Jahresendkurse auszuweisen. In Fachkreisen wird hier von "Window Dressing" gesprochen.

Übergeordnet bleibt der Markt aber in einer Phase großer Unsicherheit. Vor allem der unsichere Fortgang der Zinszyklen der großen westlichen Notenbanken unter der Führung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) bleibt das bestimmende Thema. Hoffnungen, das Schlimmste sei überstanden, sind zuletzt enttäuscht worden, manche Anleger wurden auf dem falschen Fuß erwischt. Die Notenbanker geben sich kämpferisch, was am Markt Sorgen schürt, sie könnten die Konjunktur womöglich abwürgen.

Update Wirtschaft vom 22.12.2022

Klaus-Rainer Jackisch, HR, tagesschau24

Anleger dürften das Börsenjahr 2022 überwiegend in unguter Erinnerung behalten. Seit Jahresbeginn hat der DAX mehr als zehn Prozent verloren. Doch das zeigt nicht die ganze Dramatik - denn zwischenzeitlich lag das Minus sogar bei rund einem Viertel. Aktuelle US-Konjunkturdaten fielen heute uneinheitlich aus und trugen nicht zur Beruhigung bei.

Aktien der großen Autobauer standen am DAX-Ende. Branchenführer Volkswagen gaben rund 4,5 Prozent nach. Innestoren verkauften die Titel nachdem am Morgen bekannt wurde, dass deutsche Autobauer in China, ihrem wichtigsten Markt, Marktanteile verlieren. Dies obwohl sich der Autoabsatz in China kräftig erholt hat. Um rund 15 Prozent legte der Automarkt im Reich der Mitte von Januar bis September dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu, wie Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer mitteilte.

Volkswagen, BMW/Mini und Mercedes-Benz verkauften in dem Zeitraum seinen Zahlen zufolge jedoch weniger Autos als noch 2021. Mit Blick auf die Marktanteile haben die deutschen Hersteller demnach in den ersten neun Monaten ordentlich Federn gelassen. Der Marktanteil von VW schrumpfte von 17,5 auf 14,1 Prozent, bei Mercedes ging es von 4,1 auf 3,4 Prozent nach unten, bei BMW von 4,6 auf 3,5 Prozent.

"Das Wettbewerbsumfeld ist deutlich gestiegen, und die Produkte der Deutschen haben ein Stück weit Glanz verloren", sagte Dudenhöffer. Im Batteriegeschäft seien die Deutschen gerade einmal im Mittelfeld - batterieelektrische Fahrzeuge in China würden vom US-Konzern Tesla oder von den chinesischen Herstellern BYD oder Nio gemacht. Auch bei den in China beliebten Softwarefunktionen und beim autonomen Fahren hinkten die Hersteller aus Deutschland hinterher.

Nach lange Zeit ruhigem Handel hat der Euro im Verlauf seine Verluste ausgebaut und ist unter die Marke von 1,06 Dollar gefallen. Im US-Handel werden am Abend nur noch 1,0577 Dollar bezahlt. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0633 (Mittwoch: 1,0636) Dollar fest. Die robusten US-Konjunkturdaten schüren die Aussicht auf höhere Zinsen in den USA, was dem Greenback zugute kommt. Getrieben von der Zinswende zunächst in den USA und nun auch in Europa hat die Gemeinschaftswährung im Jahresverlauf bereits eine veritable Berg- und Talfahrt hinter sich.

Das Weihnachtsgeschäft ist aus Sicht des deutschen Einzelhandels bislang nur "durchwachsen" ausgefallen. "Nur ein Viertel der Händlerinnen und Händler ist zufrieden mit dem bisherigen Geschäftsverlauf in der Weihnachtszeit, rund die Hälfte der Handelsunternehmen ist unzufrieden", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, der Mediengruppe Bayern. Die Unternehmen hofften nun auf die "traditionell umsatzstarke Zeit zwischen den Jahren". 

Am europäischen Gasmarkt setzt sich der Preisrückgang weiter fort. Zeitweise mussten für eine Megawattstunde Erdgas nur noch 90 Euro bezahlt werden und damit so wenig wie zuletzt im vergangenen Sommer.

Am Ölmarkt hingegen tendieren die Preise wegen der derzeitigen Kältewelle in den USA nach oben. Die US-Sorte WTI und die Nordsee-Sorte Brent steigen um jeweils um rund 0,7 Prozent auf 82,75 beziehungsweise 78,84 Dollar pro Barrel (159 Liter).

Die Baumarktbetreiberin Hornbach Holding hat den Umsatz in ihrem dritten Geschäftsquartal 2022/23 um mehr als zehn Prozent auf 1,55 Milliarden Euro verbessert. Gleichzeitig drückten aber hohe Kosten aufs Ergebnis. Unter dem Strich entfiel auf die Anteilseigner ein Gewinn von 27,2 Millionen Euro, ein Jahr zuvor waren es noch 31,6 Millionen Euro gewesen.

Der Gasimporteur Uniper muss nach seiner Übernahme durch den deutschen Staat den SDAX verlassen. Das Unternehmen werde aus dem Index gelöscht, weil der Streubesitz unter zehn Prozent gesunken sei, teilte der Indexanbieter Stoxx gestern Abend mit. Hintergrund ist die weitgehende Verstaatlichung des Unternehmens, die heute auch formell vollzogen wurde. Ab dem 27. Dezember wird dafür der Brennstoffzellenhersteller SFC Energy in den Index aufgenommen.

Die Lufthansa hält an den Plänen für langfristige Bonuszahlungen an ihre Vorstände fest. Das Unternehmen widersprach entsprechender Kritik der Bundesregierung. Diese hatte für die Zeit des staatlichen Engagements Bonuszahlungen an die Manager ausgeschlossen.

Ausdrücklich wies das Unternehmen am Donnerstag den Eindruck zurück, der Aufsichtsrat habe rückwirkend eine variable Vorstandsvergütung beschlossen. "Das ist nicht der Fall. So ist der Jahresbonus 2021 ebenso wie der für das Jahr 2020 für den Vorstand komplett entfallen", erklärte ein Sprecher in Frankfurt.

Der Rüstungskonzern Rheinmetall liefert derzeit im Auftrag der Bundesregierung 26 fabrikneue Militär-Lkw in die Ukraine. Den Wert der Wechsellader-Fahrzeuge bezifferte der Konzern heute mit 12,5 Millionen Euro.

Der EU-Nutzfahrzeugmarkt wird weiter durch eine schwache Nachfrage nach kleinen Transportern belastet. Während der Absatz neuer Lastwagen im November weiter zulegte, gingen die Neuzulassungen von Nutzfahrzeugen insgesamt den 17. Monat in Folge zurück, wie der europäische Herstellerverband Acea mitteilte. Demnach wurden im November insgesamt knapp 142.000 Nutzfahrzeuge neu zugelassen, 0,6 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Allerdings war der Rückgang im Oktober mit 8,5 Prozent noch deutlich höher ausgefallen.

Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat das Mittel Actemra des schweizerischen Pharmakonzerns Roche zur Behandlung von hospitalisierten, erwachsenen Corona-Patienten zugelassen. Actemra sei damit der erste von der FDA zugelassene monoklonale Antikörper zur Behandlung der Erkrankung, teilte die Roche-Tochter Genentech heute mit.

Unter den US-Einzelwerten gaben die Papiere des größten US-Speicherchipherstellers Micron deutlich um XX Prozent nach. Micron hatte am Vorabend nach Börsenschluss für das erste Quartal des neuen Geschäftsjahres einen Umsatzeinbruch sowie einen hohen Verlust berichtet und sieht im laufenden Quartal wenig Aussicht auf Besserung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 22. Dezember 2022 um 09:05 Uhr in der Börse.