Ein Mitarbeiter hält für die Arbeitszeiterfassung seinen Chip an einen Zeiterfassungsterminal.

Nach "Stechuhr-Urteil" Wo bleibt das Gesetz zur Arbeitszeiterfassung?

Stand: 31.10.2023 08:27 Uhr

Das Bundesarbeitsgericht hatte 2022 grundsätzlich entschieden: Die Arbeitszeit von Beschäftigten muss erfasst werden. Bundesarbeitsminister Heil wollte Details im Frühjahr regeln. Doch das Gesetz steckt fest.

Ginge es nach Mathias Papendieck, dann wäre das Gesetz längst beschlossen. "Der Druck ist da", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg, "es geht um mehrere Millionen Menschen, deren geleistete Arbeit teilweise nicht bezahlt wird." Und zwar, weil die Stunden gar nicht erfasst werden.

Papendieck, vor seiner Zeit im Parlament für eine Supermarktkette tätig, hat es oft erlebt, dass Überstunden nicht vergütet wurden. Für ihn wäre eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung ein richtiges Mittel gegen Lohndumping und für die Einhaltung des Mindestlohns: "Sonst lassen wir viele Menschen im Stich."

Bei den Wirtschaftsverbänden in Deutschland hat die umstrittene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2022 dagegen für Unruhe gesorgt. Das "Stechuhr-Urteil" bringe neue Bürokratie und passe nicht zu einer modernen, flexiblen Arbeitswelt. Das Argument des Gerichts: Anders seien Höchstarbeitszeiten und Ruhestunden nicht zu kontrollieren. Die Details, wie die Arbeitsstunden erfasst werden, könne außerdem die Politik bestimmen.

Der zuständige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte eine zügige, unbürokratische Lösung angekündigt, für das Frühjahr 2023. Im April legt er einen ersten Gesetzentwurf vor. Und seitdem? Ist nichts passiert.

Heil will "flexible Lösungen"

"Ich will nicht, dass wir die Stechuhr wieder einführen", sagte Heil Mitte Oktober auf dem Arbeitgebertag. Er sei für flexible Lösungen. "Das ist ziemlich eingefahren, diese Diskussion", fügte er hinzu, "und es ist übrigens auch nicht mein Hauptthema im Moment."

Eingefahren scheint in der Frage tatsächlich die Lage innerhalb der Ampel-Koalition. Es ist die FDP, die die Pläne des Arbeitsministers nicht mittragen will. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios aus Koalitionskreisen fordert sie im Gegenzug, dass die Ruhezeiten für Beschäftigte flexibler gestaltet werden. Das hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag grundsätzlich vereinbart. Doch da es an dieser Stelle bisher keine Bewegung gibt, gibt es sie auch nicht bei der Arbeitszeiterfassung.

Und es gibt noch ein Problem mit Heils Gesetzentwurf: Denn der sieht vor, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften die Details der Zeiterfassung miteinander vereinbaren dürfen. Für Unternehmen, für die kein Tarifvertrag gilt, sollte dagegen ein starres Modell vorgeschrieben werden: eine tägliche Zeiterfassung für jeden Beschäftigten, und zwar elektronisch.

Da aber die Hälfte aller Berufstätigen in Deutschland inzwischen in Unternehmen ohne Tarifvertrag arbeitet, beträfe das sehr viele. Aus Sicht von CDU und CSU müssten auch für diese Unternehmen flexible Lösungen erlaubt bleiben. "Erfassung muss möglichst bürokratiearm ausgestaltet werden, so dass kleine und mittelständische Unternehmen nicht unter zusätzlicher Bürokratie leiden", sagt der bayerische CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke. "Diese Spielräume müssen auch zwingend genutzt werden."

Bleibt Vertrauensarbeitszeit erhalten?

Dazu gehört für Union und auch die FDP, dass das Modell der Vertrauensarbeitszeit erhalten bleibt, also dass Unternehmen auch weiter ganz darauf verzichten dürfen, zu kontrollieren, wie viele Stunden Beschäftigte wirklich arbeiten. Das betrifft etwa 20 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland.

Den SPD-Abgeordneten Papendieck überzeugt das nicht als Argument gegen die Zeiterfassung. Die könnte ja auch bequem über Apps laufen: "Ich als Arbeitnehmer könnte morgens auf die Arbeitszeiterfassung drücken und abends dann auf Ende, egal ob im Homeoffice oder woanders. Und der Arbeitgeber vertraut mir, dass ich dann in der Zeit auch arbeite."

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert, die Zeiterfassung jetzt endlich verbindlich zu regeln. Der DGB weist darauf hin, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichts aber auch ohne neues Gesetz gilt. Sollten etwa die Arbeitsschutzbehörden in den einzelnen Bundesländern nachfragen, könnten Unternehmen heute schon Bußgelder drohen, wenn sie die Arbeitsstunden ihrer Beschäftigten nicht festhalten.

Arne Hell, WDR, tagesschau, 30.10.2023 12:34 Uhr