Nataliia Trytenichenko

Deutscher Arbeitsmarkt Warum nur wenige Ukraine-Geflüchtete arbeiten

Stand: 27.04.2024 07:08 Uhr

Die Integration ukrainischer Geflüchteter in den Arbeitsmarkt geht in Deutschland nur schleppend voran. Viele von ihnen wollen zunächst Deutsch lernen. Was könnte für mehr Tempo sorgen?

Die Anweisungen an ihre Yogaschüler kommen Nataliia Trytenichenko auch auf Deutsch schon ganz einfach über die Lippen. Die 39-jährige Ukrainerin gibt in Bonn zwei Mal in der Woche Yogaunterricht. In ihrem Heimatland war das für sie eher ein Hobby, in Deutschland ist es ihr erster Schritt in den Arbeitsmarkt.

Geht es nach ihr, soll es aber nur ein Zwischenschritt bleiben. An fünf Vormittagen in der Woche besucht sie deshalb einen Sprachkurs. "Ich möchte gerne meine Deutschkenntnisse verbessern", sagt Trytenichenko. In der Ukraine habe sie als Buchhalterin und im Controlling gearbeitet, das ist auch in Deutschland ihr Ziel. Derzeit ist sie aber noch auf Sozialleistungen angewiesen, weil das Einkommen aus den Yogastunden nicht reicht.

Mehrheit ist auf Sozialleistungen angewiesen

Damit ist sie nicht allein. Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland gekommen sind, haben bisher keine Arbeit, von der sie leben können. Zwar wird in der Beschäftigungsstatistik nicht nach dem Merkmal "Flucht" unterschieden, sondern nur nach der Nationalität. Die Bundesarbeitsagentur nutzt aber einen statistischen Kniff, um zumindest einen groben Eindruck davon zu geben, wie viele Geflüchtete in Arbeit sind. Sie weist die Veränderung der Bevölkerungs- und Beschäftigungszahlen von ukrainischen Staatsbürgern in Deutschland seit Februar 2022 aus.

Danach lebten zwei Jahre nach dem russischen Überfall 725.000 ukrainische Staatsangehörige im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) mehr in der Bundesrepublik als noch im Februar 2022, dem Monat des Kriegsbeginns. Die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hat sich hingegen um nur 114.000 Personen erhöht. Anhand dieser Zahlen lässt sich errechnen, dass etwa 15,7 Prozent der neu ins Land gekommenen Ukrainerinnen und Ukrainer eine sozialversicherungspflichtige Arbeit haben.

Mehr als ein Viertel der Betroffenen gilt als arbeitslos

Hinzu kommen 36.000 Menschen (rund fünf Prozent) in geringfügiger Beschäftigung. Als arbeitslos gelten 194.000 Personen, also gut ein Viertel. Viele andere arbeiten nicht, weil sie beispielsweise Sprachkurse besuchen.

Ganz exakt sind all diese Zahlen nicht, weil es im gleichen Zeitraum auch Veränderungen bei der Beschäftigung von ukrainischen Staatsbürgern gegeben haben kann, die schon vor 2022 in Deutschland gelebt haben. Dennoch lässt sich gesichert sagen, dass bisher nur ein kleiner Teil der Geflüchteten aus der Ukraine Arbeit gefunden hat.

Erst die Sprache, dann die Jobsuche

Nach Einschätzung von Mariella Falkenhain vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liegt das daran, dass in Deutschland besonders viel Wert auf den Spracherwerb gelegt wurde. Ein Ansatz, den sie mit der Formel "erst Deutsch lernen, dann Arbeit finden" zusammenfasst. Diesem Weg seien die meisten Menschen aus der Ukraine gefolgt.

"Eine logische Konsequenz ist, dass die Arbeitsmarkteffekte deutlich später sichtbar werden", so Falkenhain. Das sei auch und gerade im Vergleich mit anderen Ländern der Fall, die von vornherein auf eine schnelle Erwerbsintegration von Geflüchteten gesetzt hätten.

Vor etwa einem halben Jahr hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Ziel ausgerufen, ukrainische Geflüchtete auch in Deutschland schneller in Arbeit zu bringen. "Job-Turbo" nennt er sein Konzept. Unter anderem sollen die Arbeitsagenturen häufiger mit Geflüchteten in Kontakt treten. Außerdem appelliert Heil an Unternehmen, Menschen auch dann einzustellen, wenn sie bisher nur über "Grundkenntnisse der deutschen Sprache" verfügen.

Unternehmen setzt gezielt auf Geflüchtete

Wie das laufen kann, zeigt das Unternehmen Westenergie. Der Energiedienstleister wirbt gezielt Geflüchtete mit guten Qualifikationen an. So ist auch Oleksandr Orlov ins Unternehmen gekommen. Der Elektroingenieur kam vor knapp zwei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Nach einigen Sprachkursen hat er vor etwa einem halben Jahr angefangen, am Standort Recklinghausen zu arbeiten.

Arbeitssprache ist Deutsch. Anfangs habe ihm das Sorge gemacht, so Orlov. Tatsächlich komme er aber gut zurecht und verbessere im Arbeitsalltag sein Deutsch, auch weil seine Teammitglieder ihn unterstützten. "Wenn ich mit Kollegen spreche, kann ich sie fragen, ob ich etwas richtig gesagt habe oder ob ich es anders formulieren soll", sagt der 38-Jährige.

Oleksandr Orlov

Oleksandr Orlov aus der Ukraine arbeitet bei Westenergie

Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt

Für die Geflüchteten hat Westenergie ein spezielles Programm entwickelt. Zwei Jahre lang werden die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Unternehmen eingeführt und beispielsweise durch berufsbezogene Sprachkurse unterstützt. Danach sollen sie ohne spezielle Förderung regulär mitarbeiten.

Ein Ansatz ganz nach dem Geschmack von Minister Heil. Westenergie wurde für seine Integration von Geflüchteten für den Deutschen Fachkräftepreis der Bundesregierung nominiert. Zunächst ist das Programm mit zehn Teilnehmern gestartet, fünf davon aus der Ukraine. Inzwischen hat das Unternehmen die Zahl der Stellen für Geflüchtete verdoppelt. "Wir waren sehr erstaunt, welches Potenzial dort schlummert", sagt Anna Fliegel, Leiterin der Personalentwicklung. Man habe genau die Fachkräfte gefunden, die in ihrem Unternehmen gebraucht werden.

Eine solche Fachkraft für den deutschen Arbeitsmarkt könnte auch Yogalehrerin und Wirtschaftswissenschaftlerin Nataliia Trytenichenko werden. Ihren Studienabschluss aus der Ukraine lässt sie gerade anerkennen. Für sie steht fest, dass sie sich zunächst noch auf das Deutschlernen konzentrieren will anstatt Vollzeit zu arbeiten. Auf diese Weise hofft sie, bald einen Job zu finden, der ihren Qualifikationen entspricht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. April 2024 um 18:35 Uhr.