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Lebensversicherungen in der Krise Wie sicher ist das Geld fürs Alter?

Stand: 26.01.2016 04:56 Uhr

Das Zinstief zeigt sich nicht nur auf dem Konto - sondern längst auch bei der Altervorsorge. Betreibt die EZB auf unsere Kosten "finanzielle Repression", wie Allianz-Chef Bäte meint? Ist die Lebensversicherung noch sicher? Eine Einordnung.

Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Über 90 Millionen Lebensversicherungen gibt es in Deutschland - also mehr, als die Republik Einwohner zählt. Das mag absurd klingen, ist aber leicht zu erklären: Viele Bundesbürger haben gleich zwei oder drei Verträge abgeschlossen. Sicher ist sicher.

Bloß: Wie sicher ist die Lebensversicherung eigentlich noch? Anders als der Name suggeriert, geht es bei der normalen Lebensversicherung ja nicht primär darum, sich für den Todesfall abzusichern. Sondern darum, fürs Alter vorzusorgen. Das Prinzip: Ein Leben lang zahlt man ein. Und dann, im Alter, bekommt man das Geld zurück - und zwar ordentlich verzinst. So war es jedenfalls in der Vergangenheit.

Nun aber schlagen ausgerechnet die Versicherungskonzerne Alarm. Tenor: Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank gefährdet die private Altersvorsorge - und das in einer Zeit, in der das gesetztliche Rentenniveau ohnehin sinkt, weil immer weniger junge Menschen für immer mehr alte zahlen müssen.

"Wir nähern uns einem Punkt, an dem die negativen Effekte der Geldpolitik ihren Nutzen eindeutig überwiegen. Was die EZB betreibt, ist finanzielle Repression", meint Oliver Bäte, Chef des größten deutschen Versicherers, im "Spiegel"-Interview. Konsequenz: Die Ersparnisse würden "entwertet".

Doch stimmt das überhaupt? Und wer, wenn ja, ist wie stark betroffen? Müssen wir uns wirklich Sorgen machen?

Was hat die EZB-Politik mit der Altersvorsorge zu tun?

Die EZB beeinflusst die Zinsen und damit die Altersersparnisse auf zweierlei Weise. Erstens haben die Währungshüter die (kurzfristigen) Leitzinsen sukzessive gen Null gesenkt. Das heißt: Die Banken können sich bei der EZB das Geld "kostenlos" leihen - und sind immer weniger auf das Geld der Sparer angewiesen. Das ist der einfache Grund, warum die Spareinlagen auf Giro- und Tagesgeldkonten kaum noch Zinsen abwerfen.

Zweitens kaufen die Notenbanker im großen Stil europäische Staatsanleihen. Diese künstliche Nachfrage drückt die (langfristigen) Anleihezinsen immer weiter. Zehnjährige Bundesanleihen zum Beispiel bringen nur noch eine Rendite von 0,5 Prozent. Die Leidtragenden sind Versicherer und Pensionskassen, die einen Großteil der Kapitals, das die Beitragszahler monatlich überweisen, genau in solche Wertpapiere investieren. Wenn ein Lebensversicherer für eine Bundesanleihe nur 0,5 Prozent Rendite bekommt - wie soll er seinen Kunden dann eine Verzinsung von drei oder vier Prozent gutschreiben?

Schlägt sich das Zinstief jetzt schon nieder?

Der Effekt tritt verzögert ein. Das liegt daran, dass sich in den Büchern von Versicherern und Pensionskassen viele Anleihen befinden, die aus Zeiten stammen, als die Zinsen noch deutlich höher waren. Ein Beispiel: Anfang 2007 wurden zehnjährige Bundesanleihen noch mit gut vier Prozent verzinst. Eine Versicherung, die die Papiere damals kaufte, bekommt ebenjene vier Prozent darum noch bis 2017 jährlich gutgeschrieben.

Nun ist es aber so, dass das allgemeine Zinsniveau nicht nur seit 2011 sinkt - sondern dass auch nicht absehbar scheint, wann es wieder auf das früher übliche Niveau steigt (und ob das jemals wieder der Fall sein wird). Mit anderen Worten: Die Effekte des Zinstiefs sind jetzt schon spürbar, werden sich in den kommenden Jahren noch deutlich verstärken - und auf absehbare Zeit auch nicht wieder verschwinden.

Wie reagieren die Lebensversicherer?

Die spürbarste Reaktion kommt bislang vonseiten der Politik: Sie hat den sogenannten Garantiezins, den ein Lebensversicherer seinen Kunden mindestens zusichern muss, von vier Prozent im Jahr 2000 auf inzwischen nur noch 1,25 Prozent gesenkt. Die Zinsen, die die Versicherer ihren Kunden (ohne Garantie) in Aussicht stellen, liegen zwar weiterhin deutlich darüber (bei der Allianz sind es zum Beispiel momentan 3,1 Prozent). Angebote von sechs Prozent und mehr, wie sie früher üblich waren, gibt es allerdings schon lange nicht mehr.

Lassen sich die Zinsverluste quantifizieren?

Dem Analysehaus "Morgen & Morgen" zufolge hat sich die laufende Verzinsung einer durchschnittlichen Lebensversicherung in den zurückliegenden 15 Jahren auf rund 2,8 Prozent halbiert - Tendenz weiter fallend.

Einige besonders krasse Einzelfälle beschreibt das Verbrauchermagazin "Finanztest" in seiner aktuellen Ausgabe. Einer der Leser habe 1989 eine Police abgeschlossen, die bis Laufzeitende 2020 einmalig rund 196.000 Euro abwerfen sollte. Stattdessen werden es nach jetzigem Stand nur noch rund 110.000 Euro sein. Einer Leserin, die 1996 eine private Rentenversicherung abschloss, wurden damals 518 Euro Rente monatlich in Aussicht gestellt. Stattdessen erhält die Frau, wenn der Vertrag im Dezember dieses Jahres fällig wird, lediglich 266 Euro im Monat.

Solche Einzelbeispiele lassen sich zwar nicht eins zu eins verallgemeinern. Allerdings vermitteln sie einen Eindruck davon, wie stark die Einschnitte in extremen Fällen jetzt schon sind - und was für die Zukunft zu erwarten ist.

Die Versicherungslobby GDV, gebeten um eine quantitative Einschätzung zu den Auswirkungen der Niedrigzinspolitik, schreibt: "Sinkt der langfristige Zins um einen Prozentpunkt, muss ein Bürger 15 bis 20 Prozent mehr aufwenden, um das Niveau seiner Altersvorsorge stabil zu halten."

Welche Rolle spielt die Inflation?

Mit derselben Wucht, wie der Zins die Ersparnisse mehrt, frisst sich die Inflation in sie hinein. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn die Inflation auch nur annähernd so niedrig bleibt, wie sie das momentan ist, wird dies die nominalen Verluste merklich abfedern.

Wie gravierend dieser Effekt ist, lässt sich an einem einfachen Beispiel illustrieren: Als im vergangenen Jahr erste Banken überlegten, einen negativen Zins auf Spareinlagen zu verhängen, war der Aufschrei groß - Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer "Enteignung" der Sparer. In Wirklichkeit aber, so zeigen langfristige Zahlen der Bundesbank, liegen die Sparzinsen seit den 70er-Jahren regelmäßig im Minusbereich - jedenfalls dann, wenn man die Inflationsverluste in die Rechnung einfließen lässt.

Nun weiß natürlich niemand, wie sich die Inflation in den nächsten Jahren entwickeln wird. Tendenziell ist es aber so, dass niedrige Zinsen mit vergleichsweise niedriger Inflation einhergehen.

Die geringe Teuerug hilft übrigens auch allen, die sich im Ruhestand in erster Linie auf ihre gesetzliche Rente verlassen wollen: Die Rente orientiert sich nämlich an der Entwicklung der Bruttolöhne. Und auch die stiegen zuletzt stärker als die Preise.

Gibt es auch Profiteure des Zinstiefs?

"In jedem Fall", sagt der Rentenexperte und Ökonom Reinhold Schnabel von der Universität Duisburg-Essen. "Schließlich gibt es auch Anlageklassen, in denen die Renditen in den vergangenen Jahren außergewöhnlich hoch waren, zum Beispiel bei Immobilien und Aktien."

In der Tat setzen offenbar wieder mehr Bundesbürger bei der Altersvorsorge auf die eigenen vier Wände. So deuten Bundesbankzahlen darauf hin, dass das Gesamtvolumen an privaten Baufinanzierungen 2015 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent gestiegen sein dürfte. Die EZB-Politik befördert diesen Trend: So liegt der Zins für ein zehnjähriges Baudarlehen nach Angaben des Kreditvermittlers Interhyp in vielen Fällen bei nur noch 1,5 Prozent.

Der langjährige Aktienhausse hingegen geht an den meisten Bundesbürgern schlicht vorbei. So waren nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts Ende 2014 hierzulande gerade einmal 8,4 Millionen am Aktienmarkt engagiert - selbst wenn man indirekte Investments in Form von Aktienfonds mitzählt. Auf einen Aktionär kommen also statistisch gesehen elf Lebensversicherte. "Hier rächt sich, dass sich die Deutschen traditionell nicht trauen, in Aktien zu investieren", so Schnabel.

Eine andere Folge des Zinstiefs kommt hingegen praktisch jedem zugute: "Dadurch, dass die Zinsen so niedrig sind, können Bund und Länder ihre Anleihen viel günstiger emittieren, als das normalerweise der Fall ist", sagt Schnabel. "Das mindert letztlich die Steuerlast jedes Einzelnen - was wiederum finanziellen Spielraum schafft, um mehr Geld in die private Altersvorsorge zu investieren."

Wozu raten Verbraucherschützer?

Auch Verbraucherschützer können nicht in die Glaskugel blicken. Denn wer weiß schon, wie sich beispielsweise in Hamburg, Hanau oder im Harz die Immobilienpreise entwickeln? In einem Punkt sind sich allerdings viele Experten einig: "Die klassische Lebensversicherung war schon immer ein schwieriges Produkt, ist heute aber definitiv ein Auslaufmodell", wie Dorothea Mohn, Finanzexperten der Bundesverbraucherzentrale, sagt.

Der Grund: Die eingebaute Garantie schützt den Kunden zwar vor Verlusten. Sie führt aber auch dazu, dass die Versicherer angehalten sind, überwiegend in sichere, niedrig verzinsliche Wertpapiere zu investieren. "Eine Altersvorsorge baut man sinnvollerweise über 25, 30 oder gar noch mehr Jahre auf", sagt Dorothea Mohn. "Über solche Zeiträume bringt aber ausgerechnet die Anlageklasse die höchste Rendite, in die Lebensversicherer kaum investieren - nämlich Aktien." Übrigens: Dasselbe "Garantie-Paradoxon" gilt auch für die meisten Riester-geförderten Produkte.

Wer bereits eine Lebensversicherung besitzt, sollte sie trotzdem behalten, rät Mohn. Das gilt gerade für Altverträge mit einem Garantiezins von 3,25 oder gar vier Prozent. Denn die einmal vereinbarte Garantie bleibt gültig, egal, wie lange die Zinskrise noch anhält.

Kann mein Versicherer zusammenbrechen?

Ja. Und angesichts der üppigen Zinsen, die die Gesellschaften ihren Altkunden weiterhin zahlen müssen, ist das in manchen Fällen gar kein so unrealistisches Szenario. Allerdings: Sorgen um sein angespartes Kapital braucht sich kein Versicherter zu machen. Sollten einzelne Gesellschaft pleitegehen, springt ein Sicherungsfonds ein. Und falls die ganze Branche in die Krise gerät, gehen die meisten Experten davon aus, dass der Staat einschreitet - so wie damals bei den Banken.