Touristen fotografieren den Sonnenuntergang nahe Oia auf Santorini (Griechenland)
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Trotz Lieferkettengesetz Ausbeutung im Urlaubsparadies?

Stand: 20.06.2023 15:10 Uhr

Für viele Deutsche hat die Urlaubssaison begonnen. Hotelangestellte in Urlaubsregionen leiden Recherchen von Report Mainz zufolge unter prekären Arbeitsbedingungen. Dabei soll das deutsche Lieferkettengesetz das eigentlich verhindern.

Von David Meiländer und Philipp Reichert, SWR

Der Griff zur Pille. Er gehört für Julia zur täglichen Feierabendroutine. Die Spanierin arbeitet als Zimmermädchen auf Teneriffa. Wie jeden Abend steht sie vor einer Kiste voller Schmerzmittel. Paracetamol, Antalgin, Ibuprofen - alles hat sie und alles nimmt sie. "Anders ist das für mich nicht mehr auszuhalten", sagt die Mitte-30-Jährige. "Die Schmerzen sind immer da. Ich habe sie in den Armen, im Rücken, in den Beinen. Es ist so schlimm, dass ich nachts davon aufwache."

"Überstunden und fehlende Pausen"

Julia heißt eigentlich anders. Ihren Namen hat die Redaktion geändert. Denn sie hat Angst, ihren Job zu verlieren, weil sie Vorwürfe gegen ihren Arbeitgeber erhebt, ein Ferienhotel auf der Urlaubsinsel Teneriffa. Mehrmals in der Woche mache sie Überstunden, ohne Ausgleich oder Bezahlung. Ihr Arbeitgeber weise ihr so viele Zimmer und Betten zu, dass sie oft auch auf ihre Pause verzichten müsse. All das wären Verstöße gegen den örtlichen Tarifvertrag und teilweise auch gegen europäisches Arbeitsrecht.

Und Julia ist kein Einzelfall. Über Wochen hat das ARD-Politikmagazin Report Mainz zu Arbeitsbedingungen an den Lieblingszielen der Deutschen recherchiert, insbesondere zu Hotels, die über deutsche Reisekonzerne buchbar sind - nicht nur auf den Kanaren, auch auf Santorini. Eine griechische Trauminsel, bekannt für ihre Hotels mitten in den Klippen malerischer Orte. Doch während es sich hier Tausende Deutsche jedes Jahr gut gehen lassen, beklagen Angestellte auch hier prekäre Arbeitsbedingungen.

Gewerkschaft kritisiert Wohnverhältnisse

Einer von ihnen ist Dimitris Katsalas, er ist Vizepräsident der örtlichen Hotelgewerkschaft. Auf Santorini, sagt er, seien die Bedingungen für das Hotelpersonal besonders schlimm. Denn auf der kleinen Insel fehle es an bezahlbarem Wohnraum. Viele Hotels würden ihre Angestellten deshalb in umfunktionierten Baucontainern oder in Mehrbettzimmern unterbringen, auf engem Raum, ohne Privatsphäre. "Das ist wie im Gefängnis und niemand will darüber sprechen", sagt Katsalas.

Dimitris Katsalas (rechts)

Auf Santorini seien die Bedingungen für das Hotelpersonal besonders schlimm, sagt Gewerkschafter Katsalas.

Wer auf Santorini genau hinschaut, findet solche Unterkünfte tatsächlich überall. Sie stehen abseits großer Landstraßen, zwischen abgelegenen Feldern, zum Teil aber auch am Rande von Parkplätzen größerer Städte. Klimaanlagen, sanitäre Anschlüsse und Wäscheleinen vor der Tür verraten, dass hier tatsächlich Menschen leben. Report Mainz ist es gelungen, mit einer Bewohnerin zu sprechen. Nach eigenen Angaben arbeitet sie für ein Hotel, das mit TUI kooperiert. Im Gespräch beklagt sie nicht nur die Wohnverhältnisse, sondern auch die hohe Arbeitslast. Oft müsse sie sieben Tage am Stück arbeiten, ohne Pause.

Auch das sei kein Einzelfall, sagt die Hotelgewerkschaft. Fast alle auf der Insel müssten jeden Tag ran. Dabei steht Angestellten nach europäischem Recht mindestens ein Ruhetag pro Woche zu. Doch was die Hotelangestellte und die Gewerkschaft beschreiben, scheint auf Santorini tatsächlich Alltag zu sein. Über mehrere Tage hat Report Mainz mit vielen Hotelmitarbeitern gesprochen: mit Zimmermädchen, Kellnerinnen, Kofferträgern. Sie berichten ebenfalls davon, ohne freien Tag arbeiten zu müssen. Einige sprechen von nur zwei bis drei freien Tagen in der ganzen Saison.

Lieferkettengesetz verpflichtet deutsche Konzerne

Insgesamt hat Report Mainz Vorwürfe zu mehr als 15 Hotels in Spanien und Griechenland zusammengetragen. Sie alle sind buchbar über TUI, den größten deutschen Reisekonzern. Und immer geht es um mögliche Verstöße gegen örtliche Tarifverträge und europäische Arbeitsschutzstandards.

Diese Vorwürfe könnten für TUI jetzt zu einem Problem werden. Denn seit Januar gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es zwingt Konzerne ab einer Größe von 3000 Mitarbeitern, auf der gesamten Lieferkette für die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsschutzstandards zu sorgen. Andernfalls drohten empfindliche Strafzahlungen, so Wirtschaftsanwalt Stefan Altenschmidt.

Altenschmidt ist Partner einer großen Kanzlei in Düsseldorf und hat ein Buch über das Gesetz geschrieben. "Früher hat die Bundesregierung an deutsche Unternehmen appelliert, heute ist das eine gesetzliche Verpflichtung", sagt Altenschmidt. Das Gesetz sei ein Paradigmenwechsel.

Unternehmen müssen vor Ort recherchieren

Im schlimmsten Fall müssten große Reiseveranstalter ihre Beziehungen zu Hotels beenden, in jedem Fall aber müssten sie auch unbewiesenen Vorwürfen nachgehen und eigenständig ermitteln.

Dabei dürften sich die Unternehmen aber nicht rein auf Erklärungen der Arbeitgeber vor Ort verlassen, sondern müssten breiter recherchieren, etwa in lokalen Medien. "Daneben müssen in solchen Fällen zwingend Gespräche mit Gewerkschaften und mit anderen NGOs geführt werden", so Altenschmidt.

Report Mainz hat TUI einen ausführlichen Fragenkatalog geschickt, um zu erfahren, ob und wie der Konzern diesen Anforderungen nachgekommen ist. Auch, weil es seit Wochen in griechischen Medien Berichte über prekäre Arbeitsbedingungen gibt. Wie ist der Konzern damit umgegangen?

TUI: "Kommen Verpflichtungen nach"

Allgemein erklärt TUI, man komme den Verpflichtungen nach. Die Einhaltung von Standards sei Teil der Geschäftsbedingungen, die alle Hotels akzeptieren müssten, heißt es. Viele konkrete Fragen ließ TUI hingegen unbeantwortet. Zu den konkreten Verdachtsmomenten gegen Hotels schreibt der Konzern, solche Vorwürfe hätten ihn bisher nicht erreicht. Man nehme sie ernst und bemühe sich um Klärung.

Ob TUI Kontakt mit Gewerkschaftern suchte, um sich aktiv über die Arbeitsbedingungen zu informieren, ließ der Konzern offen. Report Mainz allerdings hat mit Gewerkschaften und Arbeitnehmervereinigungen auf Santorini und Teneriffa gesprochen: Gemeldet habe sich TUI bislang nie.

Und der Bundesarbeitsminister? Hubertus Heil hatte das Gesetz im Bundestag als Meilenstein bezeichnet. Doch die konkreten Recherchen wollen weder sein Ministerium noch die zuständige Kontrollbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kommentieren. Man könne sich zu diesen Einzelfällen grundsätzlich nicht äußern, heißt es.

Mehr zu diesem und anderen Themen sehen Sie heute um 21:45 bei Report Mainz im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD-Sendung "Report Mainz" am 20. Juni 2023 um 21:45 Uhr.