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Corona-Masken Interner Bericht bringt Spahn in Bedrängnis

Stand: 06.06.2025 17:10 Uhr

Die Maskenbeschaffung im Gesundheitsministerium während Corona sorgte für Kritik. Nun bringt ein interner Bericht nach Informationen von WDR, NDR und SZ Ex-Minister Spahn in Bedrängnis. Im Fokus: die Entscheidung für eine Logistikfirma.

Von Markus Grill, WDR/NDR

Der Bericht soll etwa 170 Seiten lang sein und wird bislang unter Verschluss gehalten. Sein Inhalt: politisch brisant. Die Sonderbeauftragte Margaretha Sudhof hat ihn erstellt mit dem Auftrag, die umstrittene Beschaffung von Corona-Schutzmasken der Bundesregierung in den Corona-Jahren unter die Lupe zu nehmen. Denn die war 2020 komplett aus dem Ruder gelaufen und kostete den Staat viel Geld. Massenhaft mussten anschließend Masken vernichtet werden.

Prozesse mit Anbietern und Lieferanten laufen bis heute. Der vertrauliche Bericht gibt nun erstmals einen detaillierten Einblick in die Vergaben und Entscheidungen. Dazu zählt, wie das Gesundheitsministerium unter dem damaligen Minister Jens Spahn (CDU) in der Corona-Pandemie trotz massiver Widerstände das Logistikunternehmen Fiege aus Münster, dem Nachbar-Wahlkreis Spahns, zum zentralen Beschaffer und Verteiler von Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln auserkoren hatte - und wie nach Ansicht der Sonderermittlerin die Logistik der Maskenbeschaffung am Ende "kollabierte".

Bitte des Gesundheitsministeriums

So soll es dem Bericht zufolge abgelaufen sein: Nachdem das Gesundheitsministerium am 13. März 2020 im Corona-Krisenstab der Bundesregierung mitteilte, dass der Logistiker Fiege aus der Heimat von Jens Spahn (CDU) bereits Arbeiten für die Bundesregierung erledige, soll sich das zuständige Beschaffungsamt des Innenministeriums geweigert haben, diese Auswahl nachträglich gut zu heißen.

Schließlich hatte der Krisenstab bereits ein Logistikkonzept erstellt und war mit den Branchenriesen DHL und Schenker in Gesprächen. Daraufhin soll sich das Gesundheitsministerium direkt an das dem Beschaffungsamt übergeordnete Innenministerium gewandt und 'händeringend' darum gebeten haben, 'die Firma Fiege als Logistiker zu beauftragen'."

"Nur für den Dienstgebrauch"

So steht es im Bericht der Sonderbeauftragten Margaretha Sudhof, die der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Juli 2024 beauftragt hatte. Sudhof legte ihren Bericht im Januar 2025 dem Ministerium vor, er ist auf jeder Seite mit der Aufschrift "VS - Nur für den Dienstgebrauch" - gekennzeichnet und liegt in Teilen NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) vor.

Im ZDF erklärte Minister Lauterbach diese Woche zum fertigen Bericht, der im Ministerium ausgewertet werde: "Wenn das Haus die Gelegenheit haben muss, sich zu den vorgetragenen Vorwürfen im Bericht auch zu verhalten, dann ist das angemessen." 

Sudhof habe ihre Arbeit Ende April 2025 beendet, heißt es aus dem Gesundheitsministerium, das einzelne Fragen zum Fall auf Anfrage nicht beantworten und "einzelne Auszüge Ihnen vorliegender Unterlagen  (…) nicht kommentieren" wollte. Zur Beauftragung von Fiege verweist das Gesundheitsministerium auf frühere Stellungnahmen. 

Schutz des Parteikollegen?

Seit Januar erhielt der Bericht nach Angabe von Personen, die mit der Sache vertraut sind, keine inhaltlichen Veränderungen mehr. Dennoch weigert sich das Gesundheitsministerium unter der neuen Ministerin Nina Warken (CDU) bis heute, den Bericht dem Bundestag vorzulegen. "Frau Warken möchte den Bericht zur Maskenaufarbeitung unter Verschluss halten, um Jens Spahn vor dem Ende seiner politischen Karriere zu schützen", glaubt die Haushaltspolitikerin der Grünen, Paula Piechotta.

Warkens Sprecher weist dies zurück und erklärt, künftigen Berichtswünschen etwa aus dem Haushaltsausschuss werde man nachkommen. 

Spahn sah sein Handeln gerechtfertigt

Der ehemalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach will sich zum Bericht seiner Sonderermittlerin nicht äußern. Jens Spahn beantwortete konkrete Fragen nicht. Über einen Sprecher teilte er mit, dass ihm der Sudhof-Bericht nicht vorliege und dass er zudem zu den Akten und Vermerken des BMG seit dreieinhalb Jahren keinen Zugang mehr habe. Man solle sich diesbezüglich an sein ehemaliges Ministerium wenden.

Schon früher hatte Spahn sein damaliges Handeln öffentlich gerechtfertigt: Er verwies auf die große Not, die damals geherrscht habe. "Unsere Leitlinie damals war 'Besser haben als Brauchen'", teilte er auf Anfrage von WDR und NDR im Sommer 2024 mit.

Der FAZ hatte Spahns Büro ebenfalls 2024 mitgeteilt, dass Fiege als "erfahrener Anbieter in der Gesundheitslogistik frühzeitig ein speziell auf kritische Konsumgüter zugeschnittenes Logistikkonzept veröffentlichte und in der damaligen Notsituation  zur sofortigen Umsetzung bereit war".

Keine Ausschreibung?

Warum Spahn sich so für das Logistikunternehmen aus seiner Heimat ins Zeug legte, ist bis heute unklar. In einem Interview mit dem Spiegel im Jahr 2021, das im Sudhof-Bericht ebenfalls erwähnt wird, sagte Spahn zur Auftragsvergabe an Fiege lediglich, "dass es wesentlich besser funktioniert, wenn das Angebot von jemand kommt, den man kennt und einschätzen kann".

Der Vertrag mit Fiege soll "ohne Teilnahmewettbewerb" geschlossen worden sein, wie die Sonderermittlerin in ihrem Bericht schreibt und Leistungen von 1,5 Milliarden Euro umfassen. Der Bericht stellt auch fest, dass ein Vermerk über die Auswahl von Fiege erst "nachträglich im Dezember 2020" erstellt wurde, später sei der Vermerk im Gesundheitsministerium auf den 6. April 2020 vordatiert worden. Der Kontakt zu Fiege sei, so erklärte der Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium gegenüber der Sonderermittlerin, "durch den damaligen Gesundheitsminister zur Verfügung gestellt worden".

Innenministerium zuständig

Der Bericht hält zudem fest, dass Logistikaufgaben "aus guten Gründen" eigentlich in der Zuständigkeit des Innenministeriums liegen und das Gesundheitsministerium weder über die "Sachkompetenz" noch über die "Leistungsfähigkeit und bestehende Fach- und Branchenkenntnisse verfügte". So habe das Innenministerium am 24. März 2020 das Gesundheitsministerium "erneut über die Risiken der zwischenzeitlich beauftragten Fa. Fiege hingewiesen".

Auch das "Kompromissangebot" des Beschaffungsamtes, die Firma Fiege in einer Wettbewerbsvergabe zu berücksichtigen, "lehnte das Bundesgesundheitsministerium ohne Angaben von Gründen ab", wie die Sonderermittlerin schreibt. "Damit entschied der damalige Bundesminister, dass ein Logistikunternehmen abseits des erarbeiteten Logistikkonzepts beauftragt wird".

"Jens Spahn hat mit hoher Wahrscheinlichkeit CDU-nahe Unternehmen aus seiner Region bei Einkauf, Verteilung und Lagerung von FFP-Masken bevorzugt", kritisiert Haushaltspolitikerin Piechotta. "Schlimmer noch: Er hat geeignetere, größere und leistungsfähigere Unternehmen wie Schenker und DHL gegen jeden Rat wahrscheinlich persönlich aus dem Rennen geworfen."  Ein Vorwurf, den Spahn stets bestritten hat.

Flut an Lieferzusagen

In jedem Fall war Fiege schon bald damit überfordert, die enormen Mengen an Corona-Masken, die Händler an den Bund lieferten, zu verarbeiten. Denn nach der Beauftragung an Fiege hatte Minister Spahn eine zweite Entscheidung getroffen, die folgenschwer und bis heute extrem teuer für den Bund ist: Er startete im März 2020 ein so genanntes Open-House-Verfahren.

Dabei garantiert die Bundesregierung jedem, der eine FFP-2-Maske an den Bund liefern wollte, eine Abnahme zum Preis von 4,50 Euro. Das Ministerium wurde nach der Bekanntgabe förmlich geflutet mit Lieferzusagen. Das ursprünglich geplante Budget von 500 Millionen Euro wurde bereits nach wenigen Tagen gesprengt. Der Bund musste plötzlich Lieferungen im Wert von mehr als fünf Milliarden Euro akzeptieren. Geliefert werden sollte die ganze Ware an den Logistiker Fiege aus Spahns Heimat.

Das BMG teilte auf Anfrage mit, dass die Bewertung "insbesondere des Open-House-Verfahrens noch nicht abgeschlossen" sei. Weiter schreibt das Ministerium, dass der Bericht von Sonderermittlerin Sudhof "in diese Bewertung einfließen" werde.

Fiege weist Angaben zurück

Diese findet in dem Bericht deutliche Worte. Demnach soll das Open-House-Verfahren "eine Lieferflut" ausgelöst haben, die nicht mehr handhabbar war". Wörtlich heißt es im Bericht: "All das führte zum vollständigen Kollaps der Logistikketten und löste diverse Folgeprobleme aus, die teilweise bis heute anhalten".

Eine Einschätzung, der Fiege gegenüber WDR, NDR und SZ "ganz entschieden" widerspricht. Das Unternehmen betont, dass es "zur Zeit der Auftragsvergabe über ein fertiges Konzept verfügte" und "in zwei Tagen lieferfähig" gewesen sei. Im Übrigen weise man "die Unterstellungen, der Auftrag sei nur durch gute persönliche Beziehungen zwischen Fiege und dem damaligen Bundesgesundheitsminister zu Stande gekommen" als "geschäftsschädigend" zurück.

Bereits am 13.3.2020 habe Fiege "die ersten Masken in Empfang" genommen. Das Problem sei gewesen, dass im Lauf der Zeit viel größere Mengen als geplant hätten bewältigt werden müssen. "Zu keinem Zeitpunkt wurde diese dramatische Veränderung des tatsächlichen Bedarfs vom Gesundheitsministerium in die Planungen oder Beauftragungen aufgenommen", schreibt Fiege. Das Gesundheitsministerium habe mit Anlieferungen und Versandanfragen dann ein Vielfaches der zuvor vereinbaren Mengen abgefordert.

Suche nach der Wahrheit

Mehr als einhundert Händler klagten seither vor dem Landgericht Bonn und dem Oberlandesgericht (OLG) Köln gegen den Bund. Das Problem für das Gesundheitsministerium ist, dass sie zunehmend Recht bekommen.

Einer von ihnen ist Walter Kohl, der Sohn des ehemaligen CDU-Bundeskanzlers Helmut Kohl, der in der Pandemie ebenfalls Masken für den Bund besorgt hat. "Ich hoffe, dass endlich die volle Wahrheit zur Fiege-Vergabe ans Licht kommt", sagt er auf Anfrage von NDR, WDR und SZ. Kohl hatte ebenfalls gegen das Ministerium geklagt, soll sich aber inzwischen nach jahrelangem Rechtsstreit auf einen Vergleich eingelassen haben.

Nachdem NDR, WDR und SZ im vergangenen Jahr erstmals über die OLG-Entscheidungen enthüllt hatten, dass dem Bund dadurch Kosten in Höhen von mehr als 2,3 Milliarden Euro drohten, war das der Grund für den damaligen Minister Karl Lauterbach, die Probleme mit den Maskengeschäften nun nach vier Jahren aufarbeiten zu lassen und die Sonderermittlerin einzusetzen.

Anmerkung: Der Absatz über den Bericht wurde überarbeitet und mit einem Lauterbach-Zitat ergänzt. Außerdem wurde an anderer Stelle eine weitere Stellungnahme des Gesundheitsministeriums angefügt.