Interview

Interview zum Schweinegrippe-Virus "Eine normale Grippewelle ist schlimmer"

Stand: 28.04.2009 18:24 Uhr

Alle Welt ist in Aufregung: die Schweinegrippe grassiert. Ob die Horrorszenarien berechtigt sind, darüber sprach tagesschau.de mit dem Berliner Virologen Detlev H. Krüger. Der hält Panik für unangemessen: "Im Grunde ist das hier nichts Neues."

tagesschau.de: Warum heißt die Schweinegrippe denn Schweinegrippe?

Detlev Krüger: Der Begriff ist eigentlich nicht korrekt. Das Virus A/H1N1 ist ja mittlerweile ein humanes Virus: Es wird von Mensch zu Mensch übertragen, der Mensch erkrankt und nicht das Schwein. Die Bezeichnung "Schweinegrippe" ist deshalb eher irreführend.

tagesschau.de: Woher kommt dann der Begriff?

Krüger: Bestimmte einzelne Gene des Virus sind mit denen von im Schwein zirkulierenden Viren verwandt. Vermutlich kommt der Begriff daher. Das macht ihn aber nicht korrekter. Andere Gene des H1N1-Virus sind mit Genen von im Menschen oder in Vögeln zirkulierenden Viren verwandt. Im Grunde ist das aber auch nichts Neues.

tagesschau.de: Was heißt das?

Krüger: Dass zwischen Vögeln, Menschen und Schweinen Gene des Influenza-Virus ausgetauscht werden, ist schon immer so gewesen. Das führt dann immer wieder zu neuen Influenza-Typen, die beim Menschen kursieren. Neu ist lediglich, dass sich dieser H1N1-Stamm von den bisher im Menschen zirkulierenden H1N1-Stämmen unterscheidet. 

Zur Person

Detlev H. Krüger ist seit 1989 Professor für Virologie und Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Charité der Humboldt-Universität Berlin. Er hat in Berlin Medizin studiert, 1976 in Virusgenetik promoviert und 1981 in Medizinischer Virologie und Molekulargenetik habilitiert. Forschungsaufenthalte unter anderem in Moskau, Basel und Balitmore. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Molekulare Epidemiologie, Diagnostik und Immunprophylaxe von Infektionen mit neuen Viren. Krüger hat unter anderem zu Hantaviren, die von Nagetieren auf Menschen übertragen werden, dem Hepatitis-B-Virus und zur Wirkungsweise von Enzymen der Gentechnik geforscht.

tagesschau.de: Und dieser Austausch von Genen ist dann auch für die Entstehung des neuen Virus verantwortlich?

Krüger: Genau. Diese Viren entstehen immer auf dieselbe Weise: Ein Organismus, beispielsweise ein Schwein oder auch ein Mensch, wird durch verschiedene Influenza-Viren gleichzeitig infiziert. Diese Viren vermehren sich dann im Organismus. Bei der Vermehrung kommt es aber auch zum Austausch von Genen zwischen den verschiedenen Influenza-Virentypen. Dabei entstehen dann Nachkommen-Viren, die die Gene verschiedener Virentypen in sich tragen. In der Fachsprache heißt das Neu-Sortierung.

Unterschied zur Vogelgrippe?

tagesschau.de: Vor drei Jahren sind in Deutschland die ersten Vogelgrippe-Fälle aufgetaucht. Das hat damals für viel Aufregung gesorgt. Was ist der Unterschied zwischen der Vogel- und der Schweinegrippe?

Krüger: Bei der Vogelgrippe werden Vögel von einem aggressiven Virus befallen. Nur in Ausnahmefällen kann sie auch auf den Menschen übertragen werden. Passiert das, hat die Krankheit einen sehr schweren Verlauf, mit einer hohen Sterblichkeitsrate. Im Unterschied zur sogenannten Schweinegrippe ist die Vogelgrippe aber nicht ohne weiteres von Mensch zu Mensch übertragbar. Es ist bisher kein menschliches Virus geworden. Das heißt, dass jeder mit Vogelgrippe infizierte Mensch sich in der Regel direkt von einem Vogel anstecken muss. Danach bricht der Infektionsweg schnell und es gibt nur wenige Fälle einer Weitergabe von Mensch zu Mensch.

tagesschau.de: Demnach birgt die Schweinegrippe eine höhere Gefahr in sich als die Vogelgrippe?

Krüger: Von der Übertragung her ist das richtig. Bei der Sterblichkeit sieht das anders aus. Der Verlauf der Vogelgrippe ist sehr viel schwerer, die Sterblichkeit der erkrankten Menschen liegt bei fast 50 Prozent. Bei der Schweinegrippe scheint das vielfach niedriger zu sein. 

tagesschau.de: Was macht die Behandlung von Influenza-Viren, jetzt konkret dem Schweinegrippen-Virus, so schwierig?

Krüger: Sowohl Bakterien als auch Viren haben die Eigenschaft, resistent zu werden. Das gilt natürlich auch für Grippe-Medikamente: Wenn der Erreger lange in Kontakt mit dem Grippe-Mittel ist, mutiert er irgendwann zur Resistenz. Bisher lässt sich der Erreger H1N1 aber mit neueren Medikamenten wirksam behandeln.

tagesschau.de: Das muss aber nicht so bleiben?

Krüger: Nein. Bei länger anhaltendem Gebrauch dieser Mittel, können dann auch wieder resistente Virus-Varianten entstehen.

tagesschau.de: Klingt bedrohlich…

Krüger: …aber trotzdem sollte man nicht in Panik verfallen. Nur zum Vergleich: Im Schnitt sterben in Deutschland pro Jahr bis zu 20.000 Menschen an der "normalen" jährlichen Grippe. An der Schweinegrippe sind nur wenige verstorben. Wenn man das ins Verhältnis setzt, ist es wirklich unverständlich, warum jetzt eine so große Aufregung herrscht.

"Nicht in Panik verfallen!"

tagesschau.de: Die Gefahr wird also überschätzt?

Krüger: Es gibt schon ein Problem. Man kann bei einem neuen Erreger einfach erst mal nicht richtig einschätzen, wie gefährlich er tatsächlich ist oder bei seiner Ausbreitung noch werden wird. Da kann natürlich schon eine ganz neue Gefahr dahinterstecken. 

tagesschau.de: Manche Experten ziehen jetzt schon Vergleiche mit der Grippewelle von 1918. Die hat etwa 35 Millionen Tote gefordert. Ist das nicht Panikmache?

Krüger: Der Vergleich ist schwierig. Heute sind die Medikamente wirksamer und die Gesundheit der Bevölkerung zumindest in Europa ist deutlich besser. Damals, direkt nach Ende des Ersten Weltkrieges, war die Bevölkerung  in einem gesundheitlich schlechten Zustand. Das ist nicht vergleichbar. Auch war der damalige Erreger - er gehörte übrigens auch zur H1N1-Gruppe - besonders bösartig und aggressiv. Das haben aktuelle Studien, in denen man den Erreger von damals isoliert und studiert hat, bewiesen.

tagesschau.de: Ist das aktuell auftretende Virus denn genauso bösartig und aggressiv?

Krüger: Nach meiner Kenntnis ist das neue Virus im Tierversuch noch nicht getestet worden, um einen direkten Vergleich zu den Eigenschaften des Virus von 1918 zu ermöglichen. Die Gefährlichkeit eines Virus hängt nicht nur von der Empfänglichkeit der Bevölkerung ab, sondern auch von den spezifischen Eigenschaften des Virus.

Und die lassen sich alleine durch die Gabe von Medikamenten nicht voll beherrschen. Jederzeit können resistente Varianten entstehen und nicht nur das: Durch eine weltweite Verbreitung kann es natürlich auch zu unzähligen zusätzlichen Mutationen kommen. Und die können dann wiederum aggressiver sein als das Ursprungs-Virus.

Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de