Hoefesterben 3 min
Video: Landwirte in Sachsen-Anhalt kämpfen ums Überleben - besonders schwer haben es Schweinezüchter. Nun bekommen auch Milchviehhalter Probleme. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Tierhalter geben auf Angst vor Höfesterben in der Landwirtschaft: "Mussten die Notbremse ziehen"

20. März 2024, 10:38 Uhr

Vor zwei Jahren entschloss sich die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf, sich von der Schweineproduktion zu verabschieden – zu groß waren die Verluste wegen dauerhaft niedriger Preise. Der Betrieb ist nicht der einzige, der die Reißleine gezogen hat: Die Zahl der Schweinezüchter ist um fast zehn Prozent zurückgegangen. Nach den Schweinehaltern rollt eine Welle der Marktbereinigung auf die Milchproduzenten zu.

MDR San Mitarbeiterin Annette Schneider-Solis
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

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Wenn Egbert Laaß durch den verwaisten Schweinestall in Köselitz geht, wird er wehmütig. Blitzblank wurde die Anlage verlassen, Sonnenlicht flutet die Ställe, unberührtes Spielzeug hängt an den Gittern. Zwischen Futterspendern und Gittern haben Spinnen erste Netze gebaut. Die Anlage könnte mit wenig Aufwand sofort wieder in Betrieb genommen werden; es ist alles noch da und wartet eigentlich nur auf neue Schweine. Doch für die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf ist das Kapitel Sauenhaltung abgeschlossen.

Sauenhaltung in Cobbelsdorf: Aus nach 40 Jahren

Vor fast genau zwei Jahren, im April 2022, sind die letzten von einst 1.260 Sauen ausgestallt worden. Das Kapitel Schweineproduktion in Köselitz fand damit ein Ende – nach 40 Jahren. Anfang der 1980er-Jahre wurde die Schweinezucht von der Vorgänger-LPG hier aufgebaut, der Betrieb immer wieder modernisiert und ausgebaut. Um die 40.000 Ferkel pro Jahr hat Köselitz verkauft. Doch der Preisverfall ging zuletzt weit über das hinaus, was man unter dem normalen Schweinezyklus versteht, also schwankenden Preisen, die leicht unter oder über der sogenannten Nullllinie der Erzeugerpreise liegen und sich irgendwie wieder ausgleichen.

Spinnenweben in einem leeren Schweinestall.
Leer, aber sofort wieder beziehbar. Nur Spinnen haben sich jetzt hier eingerichtet. Bildrechte: MDR/Annette Schneider-Solis

Preise für Ferkel im Keller geblieben

Die Entscheidung fiel schwer, hing doch die Existenz von 14 Familien an der Arbeit in der Sauenzuchtanlage. Monatelang hat der Vorstand der Agrargenossenschaft Cobbelsdorf sie vor sich hergeschoben, immer in der Hoffnung, dass die Preise für Ferkel wieder steigen würden. Doch sie blieben niedrig. Während die Kosten bei knapp 60 Euro pro Ferkel lagen und mit der Verteuerung von Energie und Futter 2022 auf zirka 80 Euro stiegen, blieben die Preise die Ferkel im Keller.

Ein Graf zeigt den Preis pro Ferkel über mehrere Jahre hinweg an.
Die Grafik zeigt, wie sich der Preis pro Ferkel über die Jahre entwickelt hat. Bildrechte: Agrargenossenschaft Cobbelsdorf

Am Tiefpunkt wurden gerade noch 18 Euro für ein junges Schwein gezahlt. "Wir haben 2021 700.000 Euro Minus allein mit der Schweinehaltung eingefahren. Wenn wir nicht die Notbremse gezogen hätten, wäre es 2022 weit über eine Million gewesen", ist sich der Vorstand der Agrargenossenschaft Cobbelsdorf, zu der die Sauenzuchtanlage gehörte, sicher. "Das kann niemand dauerhaft durchhalten." Zwei Jahre nach dem Aus weiß Egbert Laaß: Es war die richtige Entscheidung.

Wir haben 2021 700.000 Euro Verlust eingefahren allein mit der Schweinehaltung. Wenn wir nicht die Notbremse gezogen hätten, wäre es 2022 weit über eine Million gewesen.

Egbert Laaß Vorstand Agrargenossenschaft Cobbelsdorf

Immer weniger Betriebe, die Schweine halten

Auch wenn die Zahl der Schweine im Land 2023 langsam wieder gestiegen ist und im Herbst mit knapp 972.000 Tieren fast wieder auf Vorjahresniveau lag, so nimmt doch die Zahl der Betriebe weiter ab. Laut Statistischem Landesamt gab es 2023 neun Prozent weniger Schweine haltende Betriebe in Sachsen-Anhalt. Laut Landesbauernverband ist bei seinen Mitgliedern die Zahl der Schweinehalter von 170 auf 150 im vergangenen Jahr gesunken. "Man muss sich nur hier im Landkreis umgucken", sagt Egbert Laaß. "Wenig weiter hat auch eine Anlage in unserer Größe geschlossen, aus den gleichen Gründen, zur gleichen Zeit wie wir."

Eine leere Schweineanlage in Köselitz von außen.
Leer seit zwei Jahren: die Sauenzuchtanlage in Köselitz Bildrechte: MDR/Annette Schneider-Solis

Schwierige Rahmenbedingungen

Es sind die Rahmenbedingungen und die dauerhaft niedrigen Erzeugerpreise, die die Betreiber zur Aufgabe zwingen. Dazu gehören Vorschriften, die teure Investitionen nötig machen, umfangreiche Dokumentationen, Auflagen und nicht zuletzt zunehmender Personalmangel. Die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf hat ihre defizitäre Schweinehaltung lange Zeit mit den besser laufenden Sparten Ackerbau und Milchproduktion sowie mit ihrer Ökodomäne quersubventioniert. Zuvor hatte die Schweinehaltung im Trockenjahr 2018 noch das Minus im Ackerbau ausgeglichen.

Inzwischen sind auch die Getreidepreise nach einem kurzen Hoch 2022 wieder gefallen. Landwirte bleiben auf ihrem Getreide sitzen, weil der Markt gerade geflutet wird mit dem Getreide US-amerikanischer Kapitalgesellschaften. Die haben in der Ukraine wertvollen Schwarzboden und Teile der dortigen Landwirtschaft aufgekauft. Für das dort billig und mit hier verbotenen Chemikalien produzierte Getreide hat die Europäische Union die Zölle erlassen; europäische Landwirte können mit dieser Billigkonkurrenz nicht mithalten. Einer der Hintergründe für die europaweiten Bauernproteste.

Ein Mann steht in einem Stall.
Die Milchpreise stehen ebenfalls unter Druck. Die Agrargenossenschaft will die Milchproduktion trotzdem fortführen, versichert Egbert Laaß. Bildrechte: MDR/Annette Schneider-Solis

Man kann gut und gerne von einer Marktbereinigung sprechen. Es ist immer eine Frage, wie lange man das durchhalten kann. Nach den Schweinen trifft es jetzt die Milchproduzenten.

Egbert Laaß Vorstand Agrargenossenschaft Cobbelsdorf

Marktbereinigung in der Tierhaltung

"Man kann gut und gerne von einer Marktbereinigung sprechen", formuliert Egbert Laaß. "Es ist immer eine Frage, wie lange man das durchhalten kann. Nach den Schweinen trifft es jetzt die Milchproduzenten." Denn auch die Milchpreise sind wieder im Sinkflug nach einem kurzen Hoch um den Jahreswechsel 2022/2023. "Bei uns werden jetzt statt 52 nur noch 42 Cent pro Liter gezahlt. Diese 10 Cent machen 40.000 Euro im Monat aus", rechnet der Vorstand vor, während er durch die 500er Milchviehanlage führt, wo die Kühe gemütlich ihr Futter kauen.

Die Anlage in Cobbelsdorf stehe allerdings nicht zur Disposition. "Wir haben hier vor knapp 20 Jahren einen neuen Stall gebaut, da müssen wir jetzt durch", weiß Egbert Laaß. "Aber wer jetzt investieren muss, der geht dieses Risiko nicht ein und schmeißt das Handtuch." Sicherheit gebe es keine, die Preisentwicklung ist völlig unkalkulierbar, was für neue Auflagen aus der Politik kommen, ist ebenso ungewiss.

"Für Unbefugte Betreten verboten - wertvoller Schweinebestand" steht auf einem Schild.
Der wertvolle Schweinebestand in Köselitz ist seit zwei Jahren Geschichte. Bildrechte: MDR/Annette Schneider-Solis

Gut im Geschäft

Auch wenn die Milchpreise wieder gesunken sind und die Erzeugerkosten durch Preissteigerungen bei Futter und vor allem Energie gestiegen, ist die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf mit diesem Betriebsteil gut im Rennen. "Die Strukturen passen, wir haben gute Flächen und machen weiter", verkündet Egbert Laaß. "Was mich allerdings wundert, ist, dass die Molkereien mitmachen beim Drücken der Preise. Schließlich sind sie ja auf den Rohstoff Milch angewiesen, und der kommt nicht mehr, wenn die Betriebe schließen." Die Marktbereinigung sei eine Preisgeschichte. Wer keine entsprechenden Erlöse habe, der müsse aufgeben.

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MDR (Annette Schneider-Solis) | Erstmals veröffentlicht am 16.03.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 17. März 2024 | 17:00 Uhr

52 Kommentare

Ines W. vor 5 Wochen

Ist schon interessant an was alles die Ausländer schuld sein sollen, egal ob die nun im Ausland leben oder mitten unter uns.

Dumm nur, dass die Probleme der Bauern wohl woanders liegen.
Deutschland ist auch was die Landwirtschaft angeht ein Hochlohnland. Wer also mit teuren Arbeitskräften und vergleichsweise kleinen Flächen versucht mit den Billigheimer zu konkurrieren wird immer nur geringe Gewinne erzielen.
Edle Produkte wo der Bauer nicht nur am Anfang der Wertschöpfungskette, sondern auch noch im Kontakt mit dem Endkunden steht, erzielen da ganz andere Gewinne die es einem auch ermöglichen ohne gigantische Stallgrößen zu existieren.

goffman vor 5 Wochen

Wenn der eine die Umwelt verschmutzt ist es ok, wenn der andere das auch tut?
Wie kommen Sie darauf, ich würde da differenzieren?
Alle Bereiche unserer Gesellschaft müssen sich am Erhalt unserer Lebensgrundlagen, dem Artenschutz, dem Klimaschutz, dem Umweltschutz orientieren. Verkehr, Industrie, Privathaushalte, Kläranlagen und und und.
Und eben auch die Landwirtschaft.

Ines W. vor 5 Wochen

Sie meinen im Sinne von 'Deutsche kauft deutsche Bananen"?

Wir leben nun mal in einer Gesellschaft in der wir über den Weltmarkt alles beziehen und auch alle unsere Produkte, die wir für den Weltmarkt produzieren, auch absetzen können. Warum sollte das bei landwirtschaftlichen Produkten grundsätzlich anders sein?

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