Debatte um höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch

Aktuelle Stunde 11.04.2024 42:35 Min. Verfügbar bis 11.04.2026 WDR Von Alexander Klein

Steuererhöhung auf Fleisch: Was das kostet und wem es nützt

Stand: 11.04.2024, 15:50 Uhr

Seit Jahren treffen sich Experten, um die Landwirtschaft zu reformieren. Einer ihrer Vorschläge, der heute bei Bundeskanzler Scholz landet: Die Steuern auf Fleisch sollen steigen.

Von Ingo NeumayerIngo Neumayer

Qualvolle Haltung, Antibiotika-Rückstände im Fleisch, unnatürliches Verhalten, schädliche Auswirkungen auf Umwelt und Klima: Wer einen Blick in manche der Ställe wirft, in denen Schweine, Rinder oder Hühner konventionell gehalten werden, stößt leider immer wieder auf Zustände, die einem den Appetit auf Fleisch verderben können.

Ob es an der mitunter problematischen Haltung liegt, dass die Umsatzzahlen seit Jahren sinken? An der gesamtwirtschaftlichen Lage? Oder daran, dass Veganismus und Vegetarismus en vogue sind? Fakt ist: Laut Landwirtschaftsministerium ist der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch auf 51,6 Kilogramm im Jahr 2023 gesunken. 2018 waren es noch 60,9 Kilo.

"Tierschutz kostet Geld". Und zwar das der Verbraucher

Bauernproteste auf der einen Seite, Kritik an den Haltungsbedingungen auf der anderen: Dass das System Landwirtschaft in Deutschland an vielen Stellen krankt, ist schon länger bekannt. Auch der Politik. Schon Angela Merkel (CDU) setzte 2019 als Bundeskanzlerin die "Zukunftskommission Landwirtschaft" ein. Am Donnerstag sitzt das Expertengremium nun bei Merkels Nachfolger Olaf Scholz (SPD), um seine Vorschläge zu präsentieren.

Einer der Punkte: Die Tierhaltung soll umgebaut werden und mehr Tierschutz berücksichtigen. Doch "Tierschutz kostet Geld", heißt es im Eckpunktepapier der Kommission. Geld, das durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch eingenommen werden soll. Denn derzeit wird auf tierische Produkte nur eine Mehrwertsteuer in Höhe von 7 % erhoben. Diese könnte schrittweise auf den normalen Satz von 19 % steigen, so die Kommission. Finanziert würde der Umbau also von den Verbrauchern.

Fleisch wird teurer, Gemüse dafür billiger?

Das Bild zeigt vier Steaks auf einem Grill.

Wenn Fleischkonsum politisch wird

Ein fiktives Rechenbeispiel mit einem Kilogramm Nackensteak für 15 Euro netto: Bei derzeit 7 % MwSt. zahlt der Verbraucher an der Kasse 16,05 Euro. Bei der vorgeschlagenen Erhöhung auf 19 % MwSt. wären es 17,85 Euro. Ist das jetzt unzumutbar hoch? Werden dadurch einkommensschwache Haushalte so sehr benachteiligt, dass sie sich dann eventuell keinen Sonntagsbraten mehr leisten können?

Auch über diese Fragen hat die Kommission beraten. Als Ausgleich, so der Vorschlag, könnte eine Erhöhung der Grundsicherung fungieren. Oder man senkt die Mehrwertsteuer auf andere Lebensmittel. In einer früheren Version des Eckpunktepapiers der Kommission wurde auch die Idee diskutiert, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse zu senken, wenn man die auf Fleischprodukte erhöht. Im selben Rahmen, in dem Fleisch teurer wird, könnte Gemüse also billiger werden.

"Lehnen jeden Vorschlag ab": Özdemir kritisiert Bauernverbände

Ob und wie die Vorschläge der Kommission umgesetzt werden, wird nun das Bundeskabinett entscheiden müssen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der bereits vor Monaten eine gesonderte Tierwohlabgabe auf Fleisch vorgeschlagen hatte, zeigte sich angetan von der Idee, die Mehrwertsteuer auf Fleisch zu erhöhen und die auf Obst und Gemüse zu senken. Das "hätte auch eine gesundheitsförderliche Lenkungswirkung und unterstützt so auch die Ackerbauern und den Gartenbau", sagte der Grünen-Politiker.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir

Özdemir: Höhere Fleischsteuer wäre "gesundheitsförderlich"

Die Bauernverbände halten allerdings wenig von dem Vorschlag. "Das Geld für den Tierwohlumbau muss aus dem Bundeshaushalt kommen", sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied. Eine Mehrwertsteuererhöhung lehne die Landwirtschaft genauso ab wie einen Tierwohlcent. Özdemir kritisierte diese Haltung: "Was nicht geht, ist, jeden machbaren Vorschlag abzulehnen und keine konsensfähige Alternative vorzulegen."

Sicherstellen, dass Steuereinnahmen bei den Landwirten landen

Wobei am Ende noch die Frage bleibt: Nutzt eine mögliche Steuererhöhung überhaupt den Schweinen, Rindern und Hühnern? Wird das Tierwohl dadurch gesteigert? Der Umweltverband BUND sieht in den Vorschlägen zumindest einen "wirksamen Schritt, die finanziellen Mittel für mehr Tierwohl und für die Zukunftsaussichten der tierhaltenden Betriebe zu schaffen".

Auch die Landwirtin Marie Hoffmann, die einen Ackerbauhof im Kreis Soest führt, ist dafür, dass die Fleischpreise steigen. Dabei sei es wichtig, "dass dieses mehr eingenommene Steuergeld auch bei den Landwirtinnen und Landwirten ankommt", sagte sie dem WDR. Es müsse sichergestellt werden, dass die Einnahmen tatsächlich für den Bau neuer Tierwohlställe oder Freilandkonzepte verwendet würden und nicht im Bundeshaushalt verschwänden.

Tierschutzbund zufrieden mit Kanzlertreffen

Kommissionsmitglied Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, bewertete das Treffen mit Bundeskanzler Scholz positiv. Auf der Regierungsseite sei der Wille erkennbar, die Ratschläge der Experten anzunehmen, hieß es in einer Mitteilung am Donnerstagnachmittag. Für die Ampelregierung könne dies einen Kurswechsel bedeuten: "Weniger Konsum, weniger Produktion tierischer Lebensmittel, mehr Tierschutz und mehr Planungssicherheit für alle Beteiligten." Auch über Finanzierungsfragen sei gesprochen worden, sagte Schröder: "Die notwendigen Fördergelder, um den Landwirten einen Umbau zu ermöglichen, sollen über die Mehrwertsteuer reingeholt werden, auch da hat die Ampel nun einen klaren Fahrplan, den ich sehr begrüße." Bundeskanzler Scholz äußerte sich zunächst nicht zu Inhalten des Treffens.

Unsere Quellen:

  • Bundeslandwirtschaftsministerium
  • Politico
  • BUND
  • AFP
  • dpa
  • WDR-Interview mit Marie Hoffmann
  • Deutscher Tierschutzbund

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 11.04.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.