Nach hitziger Debatte - Bundestag beschließt neues Namensrecht und Selbstbestimmungsgesetz

Fr 12.04.24 | 16:42 Uhr
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Archivbild: Sitzung im Plenarsaal im Bundestag. (Quelle: dpa/Kappeler)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 12.04.2024 | Carsten Krippahl | Bild: dpa/Kappeler

Wer Geschlecht und Vorname im Pass umtragen lassen will, kann dies künftig leichter tun als bisher. Und: Doppelnamen sind nun auch als gemeinsame Familiennamen möglich. Diese Reformen hat der Bundestag auf den Weg gebracht.

  • Geschlechtsumtragungen künftig ohne Atteste und Gerichtsbeschlüsse möglich
  • Jugendliche unter 14 Jahren benötigen Zustimmung der Eltern
  • Ampel-Fraktionen stimmen dafür, Union und AfD dagegen
  • Bundestag beschließt auch Änderungen bei Doppelnamen
  • Mehr Möglichkeiten nun auch für sorbisch/wendische Eheleute

Der Bundestag hat am Freitag das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Bei der namentlichen Abstimmung sprachen sich 374 Abgeordnete für den Entwurf aus, 251 dagegen, 11 enthielten sich.

Das Gesetz soll das seit 1980 existierende Transsexuellengesetz (TSG) ersetzen. Trans- und intergeschlechtlichen Menschen soll laut Entwurf die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag erleichtert werden. Statt wie bisher zwei psychiatrische Gutachten sowie ein Gerichtsbeschluss soll mit dem Selbstbestimmungsgesetz nur noch eine einfache Erklärung bei einem Standesamt notwendig sein. Der Bundesrat muss dem Gesetz nicht mehr zustimmen.

Queer-Beauftragter: "Gesetz ist überfällig"

Junge Menschen, die noch nicht volljährig sind, aber das 14. Lebensjahr vollendet haben, können die Erklärung ohne Beratungspflicht laut Entwurf selbst abgeben, brauchen aber die Zustimmung der Sorgeberechtigten. Im Konfliktfall soll ein Familiengericht eingeschaltet werden. Bei jungen Menschen unter 14 Jahren können nur die Eltern oder andere gesetzliche Vertreter die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen einreichen.

Vor und während der hitzigen Parlamentsdebatte rief Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau zur Sachlichkeit auf. Die Achtung der geschlechtlichen Identität jedes Abgeordneten müsse geachtet werde - ohne Beleidigung und Diffamierung, so Pau.

Von den Grünen sowie der SPD gab es viel Zustimmung. Unrecht werde abgeschafft und die Selbstbestimmung verbessert, hieß es. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), verwies darauf, dass auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sowie Vertreter der evangelischen Kirche das Gesetz unterstützten. Inzwischen hätten 15 Länder weltweit ein solches Gesetz und "gute Erfahrungen damit gemacht". Argentinien habe beispielsweise seit mehr als zehn Jahren ein Gesetz, das Transmenschen mehr Recht auf Selbstbestimmung einräume. "Ängste und Befürchtungen des Missbrauches, die bisweilen vorgebracht werden, sind dort nicht eingetreten", erklärte Lehmann.

CSU: "Ampel-Fraktionen haben sich verrannt"

Von der Union kam laute Kritik am Gesetz. Auch wenn Änderungen am bisherigen Rechtsrahmen nötig seien, sollten sie nicht wie im Gesetz vorgesehen umgesetzt werden. Es drohe Missbrauch, besonders bei Kindern. Diesen Kritikpunkt teilte auch die AfD.

Union und AfD befürchten, dass Geschlechtseinträge künftig willkürlich geändert werden könnten. Die stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sagte am Mittwoch in Berlin: "Die Ampel-Fraktionen haben sich mit diesem Gesetz verrannt und schießen über das Ziel hinaus." Nicht nur der Kinder- und Minderjährigenschutz werde sträflich missachtet: "Die Ampel schafft mit dem Selbstbestimmungsgesetz nun sogar ein echtes Sicherheitsrisiko."

Neues Namensrecht: Doppelnamen sind als Familiennamen möglich

Der Bundestag beschloss am Freitag außerdem ein neues Namensrecht. Die Neuregelung soll Ehepaare und ihren Kindern mehr Freiheiten bei der Wahl ihres Nachnamens geben - unter anderem können Eheleute nun einen Doppelnamen als Familiennamen führen. Die Ampel-Fraktionen, die Unionsfraktion und die Linken-Gruppe stimmten für den Gesetzentwurf, die AfD votierte dagegen. "Ehepaare können ihre Verbundenheit künftig durch einen gemeinsamen Doppelnamen ausdrücken", erklärte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).

Das neue Gesetz soll das aus Sicht der Bundesregierung "gerade im internationalen Vergleich sehr restriktive" deutsche Namensrecht liberalisieren. Zwei Eheleute können künftig auch einen Doppelnamen als Familiennahmen wählen und müssen sich nicht mehr für einen der beiden Nachnamen entscheiden. Der Name kann dann auch zum Geburtsnamen eines Kindes werden. Im Regelfall sollen die Namen durch einen Bindestrich verbunden werden.

Direkte Auswirkungen auf sorbische Nachnamen

In der Lausitz lässt das neue Namensrecht vor allem die sorbische/wendische Bevölkerung aufhorchen. Wie in anderen slawischen Sprachen gibt es im Sorbischen weibliche und männliche Formen von Nachnamen. Die weibliche Form mit der Endung -owa oder -ina darf aber bisher in amtlichen Dokumenten nicht geführt werden. Das soll nun möglich werden.

Auch bei anderen anerkannten Minderheiten gibt es namentliche Traditionen, die im neuen Namensgesetz berücksichtigt werden sollen. So sollen zum Beispiel Angehörige der friesischen Minderheit die Möglichkeit bekommen, abgeleitete Namen zu führen. Es soll beispielsweise der Nachname "Jansen" möglich werden, wenn der Vorname des Vaters "Jan" lautet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.04.2024, 16 Uhr

67 Kommentare

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  1. 67.

    Sicherlich gibt es Fälle, bei denen die Betroffenen geschlechtsangleichende Operationen aus den unterschiedlichsten Gründen bereuen oder damit unglücklich sind. Nur Ihre Behauptung, dass viele Jugendliche ausgenutzt und zu solchen OPs gedrängt wurden, obwohl sie zuvor völlig normal und nur etwas verunsichert waren, müssten Sie schon belegen und nicht nur auf "Berichte auf sozialen Medienplattformen" verweisen.

    Und im Übrigen dienen Ihre hier vorgetragenen Bedenken gegen unnötige Operationen, von denen es in DE jährlich tausende gibt, kaum dazu, dem Thema an sich gerecht zu werden, Herr/Frau "Kinkerlitzchen".

  2. 66.

    Das Leben ist jetzt also doch ein Wunschkonzert geworden……da kann man nur hoffen dass der medizinische Bereich von so einer lockeren Regelung weithin unberührt bleibt, es gibt nämlich immer mehr junge Menschen die ihre Entscheidungen zu denen sie sich laut eigenen Äußerungen gedrängt gefühlt haben bitter bereuen und diese nicht mehr rückgängig machen können, das heißt diese Menschen werden ihr Leben lang leiden weil andere die vollkommen normalen jugendlichen Unsicherheiten ausgenutzt haben und ihnen etwas eingeredet haben. Nur werden diese Menschen leider nie im Fernsehen gezeigt, auf sozialen Medienplattformen häufen sich aber solche Berichte. Wären diese Leute sichtbarer würde das auch Einfluss haben, nämlich über gewisse lebensverändernde Entscheidungen gründlicher nachzudenken was niemand verkehrt finden sollte.

  3. 65.

    So wie Sie es formulieren, dem kann ich zustimmen.
    Bei "die Ängste sind ja gar nicht unberechtigt....", denk ich an die "Betroffenen der Geschlechter", nicht an unbetroffene Frauen die meiner Meinung nach hysterisch Ängste für sich selbst schüren.

  4. 63.

    Sie unterstellen also einer von Ihnen herbeigeredeten, der realen Lebensrealität längst entrückten intellektuellen Avantgarde den Glauben daran, dass man gesellschaftliche Akzeptanz per Gesetz verordnen kann und heucheln dazu noch Mitleid mit den "bedauernswerten Betroffenen" dieses Irrglaubens vor, da diese sich nach dem Ampel-Beschluss ja darauf verlassen würden. Das ist schon nicht wenig diffamierend, was Sie da geschrieben haben, Gisbert.

  5. 62.

    Zitat: "... sondern auch erhebliche Schäden nach sich ziehen."

    Welche "erheblichen Schäden" ausser denen die hier schon vermehrt an die Wand gemalt wurden, also massenhaft krimineller Missbrauch, starke innerfamiliäre Konflikte zwischen Jugendlichen und Eltern u. ä., befürchten Sie denn genau, Steffen?

  6. 61.

    Und auch auf Pauls hysterischen Beitrag blieb mir eine Antwort verwehrt, daher s.u. Wobei ich in diesem noch interessant finde, dass ihn die illegale Einreise von, wie er schreibt, "Tätern" mit geänderter Geschlechtsidentität besonders umzutreiben scheint.

    Zitat: Paul I Berlin I Freitag, 12.04.2024 | 08:07 Uhr: "Die Täter ändern dann einfach ihr Geschlecht, den Namen und das Bild auf dem Pass, dann ist eine Problemlose einreise möglich."

  7. 60.

    'Ihre Ansicht?" Nein, biologischer Fakt. Die Kritik und die Ängste sind ja gar nicht unberechtigt und bestätigen sich aus den Erfahrungen in anderen Ländern, die längst wieder zurück rudern. Aber Deutschland muss immer erst alle Fehler selbst machen, sonst existieren sie nicht. Eine Änderung war überfällig, aber dieses Gesetz schießt weit übers Ziel hinaus und wird nicht nur Verbesserungen sondern auch erhebliche Schäden nach sich ziehen.

  8. 58.

    Nein, die SV Nummer bleibt, der Buchstabe des Geburtsnamen(auch wenn verheiratet) und das Geburtsdatum. Die SV Nummer bleibt ein Leben lang.

  9. 57.

    Bei der Polizei wird gar nicht gelöscht, auch ein Diebstahl aus der Kindheit nicht.

  10. 56.

    Ich verstehe das alles noch nicht so ganz: kann ich mich jetzt auch in Schulze umbenennen? Ich finde meinen Namen nämlich nicht so besonders schön...

  11. 55.

    "Ich möchte auf der Toilette oder in der Umkleide keinem Mann begegnen müssen, nur weil der dieses Jahr sagt eine Frau zu sein". Ihre Ansicht?
    Ich stehe Ihrer Meinung mit Entsetzen gegenüber, vor was haben Sie Angst? Ausgrenzung von Geschlechter, die für ihr Schicksal nichts dafür können? Den Trans- und intergeschlechtlichen Menschen soll es erleichtert werden, keine Vorurteile bitte, die hier abgegeben werden. Die Geschlechter waren schon immer und werden es bleiben - bunt. Das dieses Gesetz noch wacklig ist, da allerdings glaube ich schon. Es muss klar und deutlicher werden für die Menschen, die zulange ausgegrenzt wurden.

  12. 54.

    @Mona
    „Geschlechtsidentitätsstörung“- ich glaube jetzt gehts los! Noch Menschenverachtender kann man keinen Kommentar verfassen!
    Ihre Artikulation setzt voraus, dass es nur Menschen geben darf, welche Ihrer Vorstellung von „Geschlecht“ entsprechen. Welch Egomanie!
    Die Welt ist bunt - auch die der Geschlechter - und das ist gut so!

  13. 53.

    Wenn es den Betroffenen damit besser geht, dann ist es ein guter Weg. Hinter jeder Biographie steht ein langer Weg.
    Bedenken, dass man jetzt willkürlich seine Identität wechselt, sehe ich nicht in einem hohen Ausmaß. Da muß schon einiges zusammen kommen. Wir definieren uns über unsere Wurzeln, unsere Zugehörigkeit und unsere Einzigartigkeit. Selbst die Änderung unseres Nachnamen nach der Eheschließung bedeutet die gefühlte Änderung unserer Zugehörigkeit.


  14. 52.

    Ich als Frau und Mutter finde dieses Gesetz sehr bedenklich so wie es umgesetzt werden soll. Ich möchte auf der Toilette oder in der Umkleide keinem Mann begegnen müssen, nur weil der dieses Jahr sagt eine Frau zu sein. Es tut mir leid für all jene die wirklich eine Geschlechtsidentitäts Störung haben, aber ich befürchte dieses Gesetz wird von vielen Missbraucht werden.

  15. 51.

    Ich bin eine der Betroffenen.
    Warum wollen Sie über mein Leben verfügen?

  16. 50.

    1. geht es nur um eine Dokumentenänderung, also den EINTRAG der Änderung des Geschlechts und des Vornamens.
    2. Medizinische Maßnahmen gehen komplett über ein völlig unabhängiges Verfahren und setzt nach wie vor strenge Kriterien voraus, darunter Ärztliche Untersuchungen (Hausarzt, Endokrinologie, Urologie, eine psychologische Therapie (12 Sitzungen a 50 Minuten in 6 Monaten), dann müssen EIngriffe vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen genehmigt werden. Die Chirourgen werden nur Operieren wenn die Diagnose steht, weil es sonst Körperverletzung ist. All das ist ein langwieriger Prozess und selbst dort sind Beratungen und Voruntersuchung derzeit Pflicht!
    3. Körpereingriffe werden aus dem Grund durchgeführt um Suizid zu verhindern, da verwechseln sie die Reihenfolge! Die Rate liegt davor bei etwa 40% versuchten Suizid und genau darum wird das ganze ja auch gemacht, weil es den Menschen danach besser, über 98% sind damit zufrieden.

  17. 49.

    Na, wenn wir sonst keine Probleme haben, muss ja alles gut sein. Auf den Wuchs der Stilblüten jedenfalls kann man sich ja auch schon mal freuen.

  18. 48.

    Also die Steuer-ID bleibt tatsächlich identisch, hat aber keine geschlechtliche Codierung. Die Sozialversicherungsnummer wird bei einer Personenstandsänderung dem Geschlecht angepasst.

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