Besucherinnen fotografieren das Gemälde "Mönch am Meer" mit ihren Smartphones.

Berlin Ausstellungskritik zu 250 Jahre Caspar David Friedrich: Der deutsche Stimmungsmacher

Stand: 19.04.2024 10:51 Uhr

Die Sehnsuchtsbilder des deutschen Malerstars ziehen Menschen weltweit in die Museen. Dabei berühren die Ikonen der "Unendlichen Landschaften" in der Alten Nationalgalerie nicht nur die Seele des Publikums, sondern wirken politisch bis in die Gegenwart hinein. Von Julia Sie-Yong Fischer

Wer kennt sie nicht, die atmosphärischen Szenenbilder Caspar David Friedrichs (1774-1840), in denen Menschen von hinten vor atemberaubender Landschaft gezeigt werden? Bis in die heutige Zeit wirkt seine Ikonographie hinein, selbst auf Instagram zitieren private Urlaubsbilder vor Sonnenuntergängen Friedrichs Bildsprache.
 
Die Begeisterung und der Hype um die Naturansichten des bekanntesten deutschen Romantikmalers scheint jedenfalls nicht abzuebben. Zum 250. Jahrestag seines Geburtstags fndet nun endlich die seit 2017 geplante Werkschau mit über 120 Gemälden und Grafiken in der Alten Nationalgalerie in Berlin statt - der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf dem Werkprozess und der Bildentwicklung.

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Abstraktion und weggeschnittene Augenlider

Die bekanntesten Werke der weltweit größten Friedrich-Sammlung, "Mönch am Meer" (1808-10) und "Abtei im Eichwald"(1809-10), bilden den Ausgangspunkt der Berliner Präsentation. Beide wurden 1810 von dem preussischen König Friedrich Wilhelm III. angekauft, ein erster Ritterschlag für den Maler Friedrich.
 
Das Gemälde "Mönch am Meer" ist kunsthistorisch wegweisend, da es durch die starke Vereinfachung der großen Farbflächen die Abstraktion zeitlich vorwegnimmt. "Als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären", so schildert 1810 Friedrichs Zeitgenosse Heinrich von Kleist die Effekte der für ihn schwer erfassbaren, ausufernden Landschaftsabbildung. Aber auch für heutige Sehverhältnisse ist dss Gemälde durch seine Reduktion und Farbgebung eine durchaus komplexe und zeitlose Malerei.

Ein Werk, das zunächst anders geplant war

Dass dieses Bild von Friedrich ursprünglich anders geplant war, zeigen die neueren Erkenntnisse des Restaurierungsteams am Haus: In der Vorskizze waren Segelschiffe angelegt, die Friedrich in einem letzten Schritt übermalte. Weitere Einblicke in seinen künstlerischen Prozess geben außerdem die zahlreichen in der Natur gefertigten, akribischen Holzschnitte und Skizzen, geliehen vom Kooperationspartner, dem Kupferstichkabinett Berlin.
 
Erstaunlich farblos leicht und fast comic-haft erscheinen sie im Vergleich zu den Ölbildern. An den Meisterwerken arbeitete der Künstler nur in seinem Atelier, dabei rekonstruierte er sie anhand seiner Erinnerung und seiner Aufzeichnungen aus der freien Natur.
 
Die Ausstellung gibt viel Aufschluss darüber, wie er mit seinen wichtigen Bildmotiven wie etwa Küste und Gebirge umging, welche Farben und Pauszeichnungen er einsetzte, aber auch wie andere ihn kopierten oder porträtierten.

Caspar David Friedrich:Das Eismeer, 1823/24  Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm  Hamburger Kunsthalle/bpk.(Quelle: Elke Walford)

Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823/24 Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm

Ein japanischer Künstler als Gegenwartsposition

Doch nur allein das Wissen um seine Malweise mag sicherlich nicht ausreichen, um die anhaltende Faszination zu erklären. "Auge, Herz und Verstand" sind laut der Ausstellungsmachenden gleichermaßen gefragt, um einen persönlichen Zugang zu den stillen Bildern fnden zu können.
 
Die dramatischen Lichtstimmungen von zahlreichen Sonnenauf- und -untergängen sowie Nebelschwaden und Dämmerungen laden zur Kontemplation vor dem Bild ein, geben genügend Raum für eigene tiefgründige Gedanken.
 
Ergänzt wird die Schau durch eine Gegenwartsposition: Der japanische Künstler Hiroyuki Masuyama (*1968) rekonstruierte mit Fotomontagen Friedrichs Werke auf Leuchtkästen. Fast genauso zeitgenössisch wirkt das aus Hamburg geliehene, überraschend realistische "Eismeer" (1823-24), auch weil es an die visuelle Ästhetik aus Computerspielen erinnert.

Die aktuelle Klimakrise und ihre Folgen konkret für die von Friedrich dargestellte Natur sind angesichts der Waldbrände 2022 in der sächsischen und böhmischen Schweiz hochbrisant. Diese Aufmerksamkeit nutzten auch Umweltaktivistinnen, die im März 2023 versuchten, das Bild "Der Wanderer über dem Nebelmeer" (1818) in der Hamburger Kunsthalle zu überkleben.

"Dafür kann ja Friedrich nichts!"

Und auch sonst ist das Oeuvre des Malers und seine Wahrnehmung politischer als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag. Historisch durch den Nationalsozialismus für germanischen Patriotismus instrumentalisiert, aber auch später von der DDR-Kulturpolitik rehabilitiert, wurde Friedrichs Kunst als Projektionsfläche für politische Ideologien genutzt.
 
Obwohl er sich selbst als deutschen Patrioten begriff, ist man seitens der Ausstellungsproduzent:innen bemüht, sein Werk von jeglicher Deutschtümelei zu befreien. Direktor Ralph Gleis sagt dazu beinahe etwas genervt: "Dafür kann ja Friedrich nichts!" Dennoch räumt er ein, dass Melancholie und Sehnsucht durchaus als deutsche Eigenschaften gelesen werden könnten.
 
Eine inhaltliche Aufarbeitung von Friedrichs Rezeptionsgeschichte wäre im Rahmen der Blockbuster-Ausstellung sicherlich auch für die gegenwärtigen Debatten rund um die Rolle der Kunst für die Politik durchaus aufschlussreich gewesen. Aber in Berlin wird schnell klar: Bitte nicht die Geburtstagsparty stören!
 
Wer sich dennoch in den bewegenden Stimmungen des Malerstars ganz unpolitisch verlieren und ausführlich zu seinem Schaffen informiert werden möchte, ist in den beeindruckenden Räumen der Alten Nationalgalerie sehr gut aufgehoben.

Sendung: Radio3, 19.04.2024, 15:00 Uhr