
Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin Kafka und Kaufhaus-Visionen - Salman Schockens Vermächtnis
In den 1930er-Jahren war Salman Schocken als Verleger und Besitzer einer Kaufhauskette prominent - heute ist er kaum noch bekannt. Das Jüdische Museum Berlin erinnert an ihn in einer ungewöhnlichen Ausstellung. Von Oliver Kranz.
Als Unternehmer war Salman Schocken ein Visionär. "Gleiche, gute Leistungen bei allen Waren, zu jeder Zeit für jeden Käufer", war sein Slogan. Er lieferte gute Qualität zu niedrigen Preisen – auch dank vieler Schocken-Eigenmarken. 1930 war sein Kaufhauskonzern der viertgrößte in Deutschland.
Gleichzeitig liebte Schocken die Literatur. Er sammelte Bücher, gründete ein Institut zur Erforschung der hebräischen Poesie und 1931 den Schocken-Verlag, der unter anderem die Weltrechte am Werk von Franz Kafka besaß. Schocken konzentrierte sich auf die Bücher jüdischer Autoren, die er auch noch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in großen Auflagen zu günstigen Preisen herausbrachte. Erst 1938 wurde der Verlag geschlossen. Die Schocken-Warenhäuser waren schon zuvor "arisiert", also zu Spottpreisen an deutsche Unternehmen verkauft worden.

Sprechende Objekte
Salman Schocken selbst konnte rechtzeitig nach Palästina fliehen. Dort kaufte er die Tageszeitung Ha'aretz und gründete das Schocken Publishing House. 1945 folgte Schocken Books in New York, ein Verlag, der für englischsprachige Juden weltweit von enormer Bedeutung war.
In der Ausstellung kann man diese Entwicklung an einem wellenförmigen Tisch nachvollziehen, auf dem Bücher der verschiedenen Schocken-Verlage aufgereiht sind. Daneben stehen Vitrinen mit Waren aus den Schocken-Kaufhäusern, die wie Kunstwerke präsentiert werden – ein Kleid, eine Handtasche, eine Cremedose. Und diese Objekte "sprechen": Auf den Etiketten gibt es QR-Codes, über die die Audiodateien heruntergeladen werden können. Der Text der Cremedose beginnt so:
Because the face, too,
deserves
renewal.
Restore what time steals -
without illusions.
Wer sich entscheidet, ist frei,
weil er vor das Angesicht
getreten ist.
He who decides is free, for
he has approached the face.
Spiel mit Bedeutungen und Zitaten
Der US-amerikanische Autor und Pulitzer-Preisträger Joshua Cohen verleiht den Exponaten eine Stimme. Er hat poetische Texte geschrieben, die auf Tafeln im Raum hängen oder als Audiodateien aufs Smartphone geholt werden können. Sie sind witzig, vielschichtig und verwirrend. Und lassen Salman Schockens Persönlichkeit auf ganz andere Weise greifbar werden, als das im Museum normalerweise geschieht.
Joshua Cohen spielt mit Bedeutungen und Zitaten. Deutsch und Englisch sind miteinander verschränkt, wobei das Deutsche nicht einfach die Übersetzung ist. Der Text bewegt sich in Schleifen, mal klingt er nach Kalauer, mal hochphilosophisch. Der Satz über das "Angesicht" stammt aus Martin Bubers "Ich und du", die Aufforderung, das wiederherzustellen, was die Zeit stiehlt, aus einem Werbespot. Das ist witzig und zugleich eine Auseinandersetzung mit der Person Salman Schocken.

Eine Geschichte wird nicht erzählt
"Er war ein Geschäftsmann, und als Geschäftsmann macht man sich die Hände schmutzig", erklärt Joshua Cohen. "Gleichzeitig hat Salman Schocken die mystischste und spirituellste Kunst gefördert, die man sich vorstellen kann." Das wolle Cohen mit seinen Texten zeigen. Tatsächlich wird die Cremedose mit einer solchen Vielzahl von Bedeutungen aufgeladen, dass es eine reine Freude ist. Und das geschieht auch mit anderen Objekten der Ausstellung.
Nur eine wichtige Geschichte wird nicht erzählt: Die von Cohens persönlicher Beziehung zu Schocken Books. Seine Großmutter hat als Übersetzerin für den Verlag gearbeitet. Er ist umgeben von Schocken-Büchern aufgewachsen. Daher schmerzt es ihn, dass der Verlag seit einiger Zeit in einen Dornröschenschlaf versunken ist. Er gehört nicht mehr der Schocken-Familie, sondern dem Verlag Penguin Random House, der wiederum zum Bertelsmann-Konzern gehört. Dort will man sich mit jüdischen Texten zurzeit offenbar nicht die Finger verbrennen.
Kaufangebot an Bertelsmann
Joshua Cohen versuchte, mit einigen Geldgebern Schocken Books zu übernehmen und den Verlag wieder zu einer Heimstatt jüdischer und israelischer Autoren machen. Sein Kaufangebot wurde abgelehnt, aber es sorgte für so viel Wirbel, dass auch das Jüdische Museum in Berlin davon Notiz nahm. So entstand die Idee für die Ausstellung, die nicht nur an Salman Schocken erinnert, sondern ihre Exponate auch geschickt mit poetischer Bedeutung auflädt.
Sendung: Radio3, 21.05.2025, 08:20 Uhr