Die wichtigsten Hintergrundinformationen Präimplantationsdiagnostik - worum geht es?

Stand: 27.10.2010 12:01 Uhr

Nachdem der Bundesgerichtshof das Verbot der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland für unzulässig erklärt hat, streiten die Parteien: Sollen Gentests an künstlich erzeugten Embryonen erlaubt sein oder nicht? tagesschau.de erklärt das Verfahren und die Argumente der Gegner und Befürworter.

Was genau steckt hinter dem Begriff "Präimplantationsdiagnostik"?

Unter Präimplantationsdiagnostik (PID) versteht man Gentests an Embryonen, bevor sie in die Gebärmutter eingepflanzt werden: Sie sind durch In-Vitro-Fertilisation entstanden, also durch künstliche Befruchtung. Üblicherweise wird dafür eine Zelle des Embryos am dritten Tag nach der Befruchtung entnommen. Er befindet sich dann im Vier- bis Achtzellen-Stadium.

Das Genom wird auf Genmutationen oder Chromosomen-Anomalien untersucht. Dies geschieht meistens auf Wunsch von Eltern, die selbst an einer vererbbaren Krankheit oder Behinderung leiden oder zumindest die Veranlagung dafür haben und vorher wissen wollen, ob ihr Ungeborenes auch davon bedroht sein könnte. Nach der PID wird nur ein Embryo ohne Befund in die Gebärmutter eingepflanzt. Die anderen Embryonen werden vernichtet.

Was sagen die Gegner?

Nach Ansicht der Gegner ist bereits durch die künstliche Befruchtung in der Laborschale Leben entstanden, das den vollen Anspruch auf die Grundrechte hat und dessen Würde geschützt werden muss. Mit der Auswahl nur gesunder Embryonen mache sich der Mensch demzufolge zum Herrn über das Leben, lautet zum Beispiel die Kritik der Kirchen, und lebende Behinderte würden verunglimpft. Darüber hinaus besteht die Sorge, dass durch eine Lockerung der Gesetzgebung nach und nach dem "Baby nach Maß" Tür und Tor geöffnet werden.

Eine der prominentesten Gegnerinnen der PID, Kanzlerin Angela Merkel, begründet ihre Forderung nach einem Verbot damit, dass die Abgrenzung zwischen einer schwerwiegenden und einer weniger schwerwiegenden Krankheit unmöglich sei.

Ein weiteres Argument von PID-Kritikern ist die Unmöglichkeit, medizinische Fortschritte vorherzusagen: In Großbritannien zum Beispiel darf ein Embryo "aussortiert" werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent auf Brustkrebs besteht. Dasselbe gilt für Alzheimer. Doch wer weiß heute schon, wie weit die Forschung bis zum Eintreten solcher Krankheiten ist, wie heilbar diese womöglich bis dahin sind.

Was sind die Argumente der Befürworter?

Da eine PID in aller Regel auf Betreiben von Eltern durchgeführt wird, die selbst an einer vererbbaren Krankheit oder einer Behinderung leiden oder zumindest die genetische Veranlagung dafür besitzen, werde ja nicht der komplette Pool Krankheiten an den Embryonen getestet, sondern nur die in Frage kommenden, verteidigen Befürworter die PID.

Hinzu kommt, dass es in Deutschland nach dem Paragraphen 218 bis zur Geburt möglich ist, ein Kind abzutreiben, wenn ein Arzt attestiert, dass die Geburt des Kindes "die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren" bedeuten würde – zum Beispiel aufgrund einer möglichen Behinderung des Ungeborenen.

Als weiteres Argument gilt die Gefahr einer Totgeburt oder eines Versterben des Embryos während der Schwangerschaft. Bei letzterem muss die Geburt eingeleitet werden. Dies kann in Fällen von chromosomalen Mutationen (Trisomien) relativ eindeutig mittels einer PID vorhergesagt werden. Bei Embryonen, die aufgrund von genetisch bedingten komplexen Entwicklungsstörungen nicht "geburtsfähig" sind, liegt etwa eine Trisomie 3, 16 oder 18 vor. Hierbei ist eines der normalerweise doppelt vorhanden Chromosomen dreifach ausgebildet - eindeutig erkennbar in der Diagnostik. Würde man solche Embryonen einpflanzen, würde es mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlgeburt, Totgeburt oder im schlimmsten Fall durch Abstoßungsreaktionen des Körpers zum Tod der Mutter kommen.

Wie ist die Regelung in anderen Ländern?

Die PID ist in wenigen Staaten verboten. In rund 60 Ländern wird sie praktiziert. Auch innerhalb der EU gehört sie zur Realität. Das führt zu einem regelrechten PID-Tourismus: Kliniken in Polen etwa werben teilweise in deutscher Sprache für ihre Dienste. Kritiker bemängeln, dass medizinische Standards möglicherweise nicht eingehalten werden.

Zusammengestellt von Nicole Diekmann und Corinna Emundts, tagesschau.de