Kinder spielen auf einem Sportplatz Fußball (Archivbild)

Sexualisierte Gewalt im Sport Ernst nehmen, zuhören, aufarbeiten

Stand: 13.10.2020 17:57 Uhr

Sexuelle Gewalt im Sport ist immer noch ein Tabuthema. Betroffene haben es schwer, Unterstützung zu finden. Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs fordert einen Kulturwandel in den Verbänden.

Von Angela Tesch, ARD Berlin

Es wird sehr still im Raum, als Marie Dinkel, eine erfolgreiche Judoka-Sportlerin, ihre Geschichte per Videoschalte erzählt. Als Sechsjährige beginnt sie, zu trainieren und erlebt sehr schnell, dass ihr Trainer übergriffig wird, sie beim Training auf der Matte überall anfasst. Für sie wäre es wichtig gewesen, eine Trainerin zu haben oder wenigsten ein älteres Mädchen in der Trainingsgruppe, mit der sie die Übergriffe ihres Trainers hätte besprechen können.

Dinkel fordert heute Ansprechpartner in jedem Verein. "In dem Verein, in dem mir das damals passiert ist, gibt es so etwas inzwischen", erzählt sie. "Es gibt zwei Kindeswohl-Beauftragte, eine für Mädchen, eine für Jungen. Allein dadurch, dass es diese Positionen in dem Verein gibt, kann man da schon präventiv arbeiten - einfach, weil es mehr Gehör findet."

Schüler beim Schulsport

Einer Studie zufolge haben viele Leistungssportler sexuelle Übergriffe in der Kindheit erlebt.

Die Täter von damals werden oft noch geschützt

Ernstgenommen werden, zuhören und aufarbeiten - Sportverbände und Vereine täten sich schwer, Missbrauchsfälle, die lange zurückliegen, zu thematisieren und sich mit dem eigenen Versagen auseinanderzusetzen. Oft würden die Täter von damals immer noch geschützt.

Um so wichtiger seien die Geschichten, die nun rund 100 Betroffene der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch aus ihrer Jugend im Sport erzählt haben, sagt Jugend- und Familienministerin Franziska Giffey. "Ihre Erfahrungen und Hinweise werden dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche heute und auch in Zukunft besser geschützt werden können." Es gehe bei sexualisierter Gewalt nicht um Einzelfälle, "sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das wir angehen müssen".

Lernen von Betroffenen

Dessen sind sich auch die Vertreter des Sports bewusst, die bei der Anhörung dabei sind. Präventionsprogramme gebe es inzwischen viele, sagt Petra Tzschoppe, Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Die Veranstaltung gebe den Sportverbänden die Möglichkeit, von den Betroffenen zu lernen, glaubt sie.

Und ich möchte an dieser Stelle, im Namen des organisierten Sports, alle Betroffenen - auch diejenigen, von denen wir bisher noch nicht wissen - für das Leid, das ihnen widerfahren ist, um Entschuldigung bitten.

Unscharfe Grenzen, Trainer in Machtpositionen

Die Wuppertaler Soziologin Bettina Rulofs veröffentlichte 2016 eine erste Studie zu sexualisierter Gewalt im Leistungssport. 37 Prozent der Befragten hätten dabei angegeben, sexuelle Übergriffe erlebt zu haben, berichtet sie. Die Mehrzahl der Täter seien Männer gewesen.

"Körperliche Berührungen als unterstützende Hilfe bei Übungen während des Trainings oder danach bei der Physiotherapie oder bei Massagen sind im Sport an der Tagesordnung", sagte Rulofs. "Unter dem Vorwand einer für das Training notwendigen Kontrolle der körperlichen Entwicklung erhalten Erwachsene sehr leichten Zugang zum Körper von Kindern im Sport - und das erscheint den jungen Menschen als völlig normal." Die Grenzen seien unscharf. Der Druck, beste Leistungen zu bringen und Titel zu holen, schaffe eine Machtposition für Trainer.

Sexueller Kindesmissbrauch im Sport sei noch immer ein Tabu, sagt die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, Sabine Andresen, zum Auftakt der öffentlichen Anhörung in Berlin. Alle Sportarten seien betroffen. Es brauche einen Kulturwandel im Sport, mehr unabhängige Anlaufstellen für Betroffene und die Anerkennung der Folgen des Missbrauchs.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete B5 aktuell am 13. Oktober 2020 um 14:04 Uhr.