Bundesverfassungsgericht hat entschieden Kein Abschuss von entführten Flugzeugen

Stand: 25.08.2007 20:53 Uhr

Die Bundeswehr darf ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug nicht abschießen, um dadurch Menschen am Boden zu retten. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht. Entsprechende Regeln des Luftsicherheitsgesetzes sind verfassungswidrig.

Ein von Selbstmordattentätern entführtes Passagierflugzeug darf auch im äußersten Notfall nicht abgeschossen werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Karlsruher Richter erklärten die im Luftsicherheitsgesetz enthaltene Ermächtigung des Verteidigungsministers zum gezielten Abschuss eines gekaperten Zivilflugzeugs für verfassungswidrig und nichtig. Das gilt auch, wenn das Flugzeug als Waffe eingesetzt werden soll.

Einsatz militärischer Waffen nicht erlaubt

Die abgestuften Bestimmungen des seit Januar 2005 geltenden Gesetzes erlaubten es, ein verdächtiges Flugzeug abzudrängen, zur Landung zu zwingen, ihm Waffengewalt anzudrohen, Warnschüsse abzugeben und als "Ultima ratio" abzuschießen. Die Vorschrift über die "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" wurde nun für nichtig erklärt.

Tötung Unschuldiger Verstoß gegen Menschenwürde

Das Luftsicherheitsgesetz verstoße gegen den Schutz der Menschenwürde, stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil fest. Der Schutz der Menschenwürde ist im Artikel eins des Grundgesetzes als zentrale Richtlinie der deutschen Verfassung festgelegt.

Der Paragraph 14, Absatz drei, des Luftsicherheitsgesetzes, in dem ein Abschuss geregelt wird, sei auch nicht mit dem Artikel zwei des Grundgesetzes vereinbar, erklärte der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen Papier weiter. In diesem Grundgesetz-Artikel wird das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit garantiert.

Passagiere würden zu "Objekten" degradiert

Wenn der Staat den Abschuss eines entführten Luftfahrzeuges billige, behandele er die darin sitzenden unschuldigen Passagiere und Besatzungsmitglieder als Objekte, kritisierte Papier. Sie würden damit "verdinglicht und zugleich entrechtlicht". Dies gelte nicht, wenn sich um den Einsatz eines unbemannten oder nur mit Tätern besetzten Flugzeug handele, stellte Papier zugleich klar.

Schutz des Lebens gilt auch für "Todgeweihte"

Auch das Argument, die Personen in einem von Selbstmord-Attentätern entführten Flugzeug seien sowieso dem Tod geweiht, ließ das Gericht nicht gelten.

Der Schutz des Lebens gelte ungeachtet der vermuteten Dauer der "physischen Existenz des einzelnen Menschen" für alle gleichermaßen, betonte Papier. Zudem sei es äußerst schwer mit Sicherheit vorherzusagen, ob es für die Menschen an Bord einer solchen entführten Maschine noch eine Chance auf Überleben gebe oder nicht.Der Staat dürfe zwar die Mittel auswählen, mit denen er Personen schützen wolle - etwa die Menschen in einem Gebäude, in die Selbstmordattentäter ein Flugzeug steuern wolle. Die Auswahl der Mittel müsse aber auch hier im Rahmen der Verfassung erfolgen - und die erlaube die Tötung Unschuldiger nicht.

Bund fehlt Gesetzgebungskompetenz

Der Gesetzgeber hätte diese weit reichende Anordnung im Luftsicherheitsgesetz zudem gar nicht beschließen dürfen, kritisierten die Verfassungsrichter weiter. Der Artikel 35 im Grundgesetz genehmige einen Einsatz der Bundeswehr nur bei Katastrophen- und Unglücksfällen, stellte das Gericht klar.

Daher sei eine Regelung über den tödlichen Einsatz von militärischen Waffen, die ihre rechtliche Grundlage in diesem Artikel habe, nicht zulässig. Der Bund habe hier "keine Gesetzgebungskompetenz."

Kampfpiloten sehen sich bestätigt

"Das Urteil hat unsere Bedenken gegen das Gesetz bestätigt“, sagte Thomas Wassmann vom Verband der Besatzung strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr gegenüber tagesschau.de. Die Klarstellung sei zu begrüßen.

Die Politik und militärische Führung müssten jetzt klären, wie in Zukunft mit entführten und als Waffen eingesetzten Flugzeugen umgegangen werde. Wassmann beklagte aber, dass die Flugzeuge der Bundeswehr nicht für den Umgang mit solchen entführten Maschinen ausgerüstet seien. Insbesondere fehle es an Leuchtspurmunition, um wirksame Warnschüsse abgeben zu können.

Die Verfassungsbeschwerde war von sechs Klägern eingereicht worden. Unter ihnen sind der frühere Bundestags-Vizepräsident Burkhard Hirsch (FDP), der Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und ein Pilot.