Menschen schauen auf einen Monitor, auf dem eine vorläufige Sitzverteilung angezeigt wird
Interview

Politologin zu Niedersachsen "Wahrscheinlichste Option ist die GroKo"

Stand: 16.10.2017 09:49 Uhr

Die SPD hat in Niedersachsen den Abwärtstrend gestoppt. Weil habe im Wahlkampf den richtigen Ton getroffen, meint Politologin Römmele gegenüber tagesschau.de. Dennoch reiche es wohl nur für eine Große Koalition - es sei denn, die FDP überlegt es sich doch noch anders.

tagesschau.de: Zum ersten Mal seit Gerhard Schröder ist die SPD wieder stärkste Kraft in Niedersachsen. Und das, obwohl sie vor zwei Monaten noch deutlich hinter der CDU lag. Wie hat sie das geschafft?

Andrea Römmele: Echte Wahlkämpfe machen einen Unterschied. Das haben wir gestern Abend gesehen. Ministerpräsident Weil hat im Wahlkampf den richtigen Ton getroffen. Die inhaltliche Auseinandersetzung, die gerade in den vergangenen zwei Wochen noch mal sehr stark geführt wurde, hat Weil die entscheidenden Punkte eingebracht.

Und während bei der CDU die Schlappe bei der Bundestagswahl eine Rolle gespielt hat, konnte der SPD der negative Bundestrend nichts anhaben. Vielleicht im Gegenteil: Es gab zwar sicher keinen Mitleidsbonus für die SPD, aber manchmal denken die Bürger auch in 'checks an balances' - das heißt, es geht ihnen um ein gewisses Gleichgewicht in der Verteilung der Kräfte. Die Regel: Weil man im Bund verloren hat, verliert man auch im Land, gilt nicht immer.

Andrea Römmele, Professorin, Hertie School of Governance
Zur Person

Andrea Römmele ist Professorin für "Communication in Politics and Civil Society" an der Hertie School of Governance. Ihr Forschungsinteresse gilt den Themen politische Kommunikation und politische Parteien, außerdem ist sie Beraterin für politische Kampagnen.

tagesschau.de: Die SPD hat auch viele Nichtwähler gewinnen können. Wodurch hat sie so stark mobilisiert?

Römmele: Dass Nichtwähler deshalb nicht zur Wahl gehen, weil sie desinteressiert seien, ist ja ein Trugschluss. Wir wissen aus der Forschung, dass eine beachtliche Zahl deswegen nicht zur Wahl geht, weil es einen Mangel an politischen Alternativen gibt. Und genau das kam beim Niedersachsen-Wahlkampf zum Tragen: Es gab klare politische Alternativen. Klare Inhalte, um die gefochten wurde und das hat auch Nichtwähler angezogen.

"Landespolitische Themen ausschlaggebend"

tagesschau.de: Die CDU hingegen hat ihr schlechtestes Ergebnis seit 1959 eingefahren: Woran lag das?

Römmele: Zentrales Thema war ja die Bildungspolitik. Dem CDU-Kandidaten Bernd Althusmann, der bis vor vier Jahren Bildungsminister in Niedersachsen war, hat man die schlechte Bildungs-Bilanz des Landes auch persönlich angelastet. Die SPD war bei den entscheidenden Themen insgesamt einfach überzeugender. Und auch Stephan Weil kam aber als Person gegenüber Althusmann bei der Bevölkerung besser an.

Hinzu kam: Der Wechsel der Grünen-Abgeordneten Twesten zur CDU, der ja diese vorgezogenen Neuwahlen erst nötig gemacht hat, wurde der CDU negativ ausgelegt.

"Fehlender Rückenwind aus Berlin"

tagesschau.de: Welche Rolle hat dabei das schwache Abschneiden der CDU bei der Bundestagswahl gespielt, welche Rolle auch Angela Merkel persönlich?

Römmele: Ich glaube, bei diesem Wahlergebnis gaben die landespolitischen Themen den Ausschlag. Der fehlende Rückenwind aus Berlin hat sicher auch etwas beigetragen, aber dürfte nicht allzusehr ins Gewicht gefallen sein.

Viel wichtiger war andersherum, dass die SPD jüngst so klare Kante gezeigt hat, am Wahlabend in Berlin schon erklärt hat, in die Opposition zu gehen und sich auf einmal auch inhaltlich stärker positioniert hat. Das dürfte der SPD in Niedersachsen geholfen haben, während hingegen die Farblosigkeit und Nichtpositionierung Merkels während des Bundestagswahlkampfs und danach auch für die CDU in Niedersachsen negativ durchschlug. Aber es allein Merkel anzurechnen, wäre falsch.

tagesschau.de: Alle anderen Parteien müssen, gemessen an ihren Erwartungen, enttäuschende Ergebnisse wegstecken. Wie erklären Sie sich das?

Römmele: Wenn die beiden großen Parteien sich so ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern und einen inhaltlich so pointierten Wahlkampf führen, leiden die kleinen Parteien darunter. Das sehen wir häufig in der Wahlforschung. Es gab also kein großes Protestpotenzial, was das Abschneiden von Linkspartei und AfD erklärt. Bei der Linken kommt hinzu, dass sie es im Westen traditionell schwer hat, bei der AfD spielten interne Personalquerelen ein Rolle. Bei FDP und Grünen muss man sehen, dass sie von einem ausnahmehaft hohen Ergebnis bei den vergangenen Landtagswahlen kamen. Dass sie da Federn lassen würden, war von vornherein abzusehen.

"Bei Ampel letztes Wort noch nicht gesprochen"

tagesschau.de: Für Rot-Grün reicht es dennoch nicht. Die FDP hat eine Ampel ausgeschlossen, es bleibt also nur die GroKo oder Jamaika. Was ist ihre Prognose?

Römmele: Bei einer möglichen Ampel ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Immerhin ist die FDP immer die Partei, die an die Staatsräson appelliert und betont, dass man immer redebereit sein muss. Jamaika halte ich noch für die unwahrscheinlichste Option. Das wäre auch personell nicht unproblematisch, weil ja der Wechsel einer Grünenabgeordneten zur CDU Grund für diese Neuwahlen war. Auch, dass der Wahlsieger Weil sich das Heft der Regierungsbildung aus der Hand nehmen lässt, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die wahrscheinlichste Option ist die Große Koalition.

tagesschau.de: Die Stellung des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz war nach der Bundestagswahl durchaus wackelig. Ist das jetzt anders?

Römmele: Wenn gestern Abend um 18 Uhr eins klar war, dann: Schulz statt Scholz. Der SPD ist es gelungen, den Abwärtstrend zu stoppen und so geht Martin Schulz gestärkt aus dieser Wahl. Dass die SPD nach diesem verkorksten Wahljahr in Niedersachsen gut abgeschlossen hat, war sehr wichtig für ihn. Jetzt sitzt er erstmal fest im Sattel in der SPD und vorerst wird ihn niemand ablösen.

"Jamaika-Verhandlungen nicht einfacher"

tagesschau.de: Macht das Wahlergebnis die Sondierungsgespräche beziehungsweise Koalitionsverhandlungen zu Jamaika im Bund schwieriger?

Römmele: Ja. Aber nicht nur das Wahlergebnis in Niedersachsen, sondern auch das in Österreich. Dort haben wir gesehen, dass eine FPÖ, die nach rechts rückt, massiv Stimmen gewinnen kann. Und das wird die CSU ab Mittwoch in den Sondierungsgesprächen auch sagen und es Angela Merkel damit schwerer machen.

Und obwohl Landespolitik Landespolitik ist, sitzen ab Mittwoch irgendwie auch die Verlierer aus Niedersachsen mit am Tisch. Nicht nur bei der CDU, sondern auch bei den Grünen. Jürgen Trittin und der linke Flügel sind gestern Abend ebenfalls abgewatscht worden. Das wird die Verhandlungen nicht einfacher machen.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. Oktober 2017 um 09:00 Uhr.