
80 Jahre nach Zweitem Weltkrieg Gedenken, überschattet von einem neuen Krieg
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Der Bundestag gedenkt des Endes der NS-Herrschaft. Russische und belarusische Vertreter sind nicht eingeladen - dies sorgt für Diskussionen.
Gedenken im Bundestag - das ist 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein politisch-historischer Balanceakt. Nicht wegen des damaligen, sondern wegen des heutigen Krieges in Europa. Wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine wurden russische und belarusische Diplomaten nicht eingeladen.
Sie auf der Ehrentribüne sitzen zu haben, ist für Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz von der CSU derzeit undenkbar. "Jemand der gerade selbst einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, der kann nicht zu unserer Gedenkveranstaltung, die auch Teil unserer Erinnerungskultur ist, eingeladen werden", sagt sie. "Das ist aus unserer Sicht ein zu großer Widerspruch."
"Verdanken unsere Freiheit den Amerikanern und Russen"
Ein Widerspruch, der es aber auch schwer macht, des Endes der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in all seinen Facetten zu gedenken - und dabei auch die Rolle der sowjetischen Armee zu würdigen. Denn sie war es, die das Vernichtungslager Auschwitz befreite und in Ostdeutschland und Berlin die NS-Herrschaft beendete. Und es war die Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg die meisten Opfer zählte - etwa 27 Millionen Tote.
Die Historikerin Heike Görtemaker hält es daher für falsch, russische Vertreter von der Gedenkstunde im Bundestag ganz auszuschließen. "Wir verdanken unsere Freiheit heute den Amerikanern und den Russen und würden wahrscheinlich heute noch in braunen Uniformen herumlaufen, wenn es die Russen und die Amerikaner nicht gegeben hätte", sagt sie. "Deutschland und Europa waren nicht in der Lage, sich selbst zu befreien von der brutalen, menschenverachtenden NS-Herrschaft."
Linkspartei für mehr Differenzierung zwischen Kreml und Veteranen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will in seiner Rede im Bundestag die Rolle Russlands würdigen, aber auch daran erinnern, dass in der Roten Armee Millionen Ukrainer gegen die Nationalsozialisten kämpften. Zugleich will er der russischen Propaganda-Erzählung widersprechen, dass der Krieg gegen die Ukraine eine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus sei. Dass der Bundestag keine russischen Vertreter eingeladen hat, trägt Steinmeier mit, heißt es im Bundespräsidialamt.
Oppositionspolitiker wie Jan van Aken von der Linkspartei hätten sich mehr Differenzierung gewünscht. Er plädiere dafür, zu den Feierlichkeiten Überlebende, Veteranen oder auch Vertreterinnen und Vertreter von Freundschaftsgesellschaften zwischen Deutschland und ehemaligen Sowjetstaaten einzuladen. "Es ist nicht der Russe, der die Ukraine überfallen hat, sondern es war der Kreml, die Regierung unter Wladimir Putin, da muss man wirklich differenzieren", sagt van Aken.
Ukraines Botschafter: "Vertreter eines Verbrecherregimes wäre unangebracht"
Wie schwierig Gedenkveranstaltungen sein können, war zuletzt im sächsischen Torgau an der Elbe zu beobachten. Auf Videos sind vereinzelt russische Fahnen zu sehen. Uneingeladen taucht Russlands Botschafter Sergej Netschajew auf. Er trägt deutlich sichtbar das St. Georgs-Band. Die orange-schwarze Schleife ist nicht mehr nur ein Symbol für den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland, sondern auch für die Unterstützung von Putins Krieg gegen die Ukraine.
Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine findet solche Bilder unerträglich. "Ein Vertreter eines Verbrecherregimes, das mein Land jeden Tag mit Raketen, Bomben und Drohnen angreift, wäre unangebracht für ein europäisches Land", sagt er.
Dass der russische Botschafter unangemeldet zur Gedenkstunde im Bundestag auftaucht, ist so gut wie ausgeschlossen. Zugang haben nur geladene Gäste. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist das Gedenken überschattet - von einem neuen Krieg.