Christian Lindner
analyse

Neue Steuerschätzung Keine Entlastung für die Politik

Stand: 26.10.2023 19:06 Uhr

Wenn die Steuerschätzer tagen, hoffen Politiker in der Regel auf höhere Einnahmen. Denn diese sorgen für einen größeren Spielraum in den öffentlichen Haushalten. Die neuen Zahlen bringen allerdings keine Entlastung.

Eine Analyse von Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin

Christian Lindner gibt sich zufrieden: Die Einnahmen entwickelten sich im Rahmen der Erwartungen, das sei doch eine gute Nachricht. Für den Finanzminister und FDP-Vorsitzenden sind die neuen Zahlen tatsächlich eine Hilfe: Hätten die Steuerschätzer deutlich schlechtere Zahlen präsentiert, wäre sein mühsam aufgestellter Haushaltsentwurf jetzt Makulatur. Deutlich bessere Zahlen wiederum hätten schnell Begehrlichkeiten hervorgerufen - schließlich gibt es innerhalb und außerhalb der Ampelkoalition viele (teure) Wünsche.

Lindner: Es gibt keine neuen Verteilungsspielräume

So jedoch lautet Lindners Hauptbotschaft an diesem Tag: Es gibt keine zusätzlichen Verteilungsspielräume. Und wer sich an einer Stelle höhere Ausgaben des Staates wünscht, der muss sagen, wo er an anderer Stelle sparen will.

Dabei finden sich in dem aktuellen Bericht des Arbeitskreises Steuerschätzung durchaus zusätzliche Milliarden: Für den gesamten Beurteilungszeitraum von 2023 bis 2027 rechnen die Steuerexperten für Bund, Länder und Gemeinden sowie die EU mit einem Plus von 23 Milliarden Euro im Vergleich zur Steuerschätzung vom Frühjahr. 2025 dürften die gesamten Staatseinnahmen sogar erstmals mehr als eine Billion Euro betragen, die Prognose liegt bei 1.017 Milliarden Euro.

Viele Begehrlichkeiten

Nur: Den sprudelnden Steuereinnahmen stehen weiterhin stark steigende Staatsausgaben gegenüber. Dazu kommen zahlreiche Ideen zum Geldausgeben: Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen wünscht sich Subventionen für energieintensive Unternehmen - Stichwort "Industriestrompreis". Die Kommunen hoffen auf mehr Geld vom Bund zur Unterbringung von Migranten. Und es gilt als sehr wahrscheinlich, dass der Bund beim Treffen mit den Ministerpräsidenten Anfang November einige Milliarden locker macht.

Lindner selbst gibt zu, dass er Sympathien dafür hat, die Mehrwertsteuer für das Essen in Restaurants weiter bei sieben Prozent zu belassen und sie nicht - wie bislang vorgesehen - zum Jahreswechsel wieder auf 19 Prozent zu erhöhen. Doch allein die Verlängerung dieser ursprünglich coronabedingten Maßnahme würde die öffentlichen Haushalte 3,4 Milliarden Euro jährlich kosten.

In Steuerschätzung prognostizierte Mehreinnahmen sichern Haushaltspläne des Bundes für 2024

Iris Sayram, ARD Berlin, tagesschau, 26.10.2023 20:00 Uhr

Schwerpunkte setzen - nur welche?

Umschichten, priorisieren, Schwerpunkte setzen - so lautet auch die Konsequenz für Haushaltspolitiker wie Dennis Rohde. Der SPD-Politiker selbst wird nicht konkreter. Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch will "klimaschädliche Subventionen" abbauen und das Geld in Investitionen stecken. Gesine Lötzsch fordert dagegen weitere Entlastungen angesichts der hohen Energiepreise. Die Ampel, so die Kritik der Linken-Politikerin, halte auch ihr Versprechen nicht ein, die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung über ein Energiegeld an die Bürgerinnen und Bürger zurückzugeben.

Für Lindner wiederum ist der Schwerpunkt klar: Es müsse alles getan werden, um die Wirtschaft anzukurbeln, damit würden dann ja auch die Steuereinnahmen steigen. Anstelle eines Industriestrompreises kann er sich eine Senkung der Stromsteuer und die Verlängerung des so genannten Spitzenausgleichs vorstellen, mit dem energieintensive Unternehmen bei der Stromsteuer entlastet werden - eine Maßnahme, die nach aktuellem Stand Ende des Jahres ausläuft. Freilich: Konkrete Vorschläge zur Gegenfinanzierung macht Lindner selbst nicht.

Allerdings hat er noch einen Vorschlag, welchen Beitrag die Länder leisten könnten, um die Bauwirtschaft zu stützen: die Senkung der Grunderwerbsteuer. Die Einnahmen daraus sind übrigens zuletzt eingebrochen - ein Zeichen für die Schwäche des Immobilienmarktes.

Wegen schwächerer Konjunktur sind mehr Schulden erlaubt

Auch der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Haase, wirbt für eine "breit angelegte Wachstumsagenda". Haase kritisiert aber zugleich die weiter steigenden Schulden. In der Tat darf Finanzminister Lindner im kommenden Jahr zusätzliche Kredite aufnehmen, ohne die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu verletzen.

Verantwortlich dafür ist die "Konjunkturkomponente" der Schuldenbremse: Je schlechter es der Wirtschaft geht, desto mehr Schulden darf der Bund aufnehmen. Das bedeutet tatsächlich etwas mehr Spielraum für die Aufstellung des Haushalts für das kommende Jahr - im Unterschied zu den neuen Zahlen der Steuerschätzung.

Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, tagesschau, 27.10.2023 05:19 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. Oktober 2023 um 19:01 Uhr.