Wolfgang Schäuble
interview

Zum Tod Schäubles "Konservativ, aber ausgesprochen innovativ"

Stand: 27.12.2023 16:11 Uhr

Schäuble war ein Urgestein der Christdemokraten. Sein politisches Erbe ist bemerkenswert, sagt der Politikwissenschaftler Lietzmann im Interview. Von seiner selbstlosen, oft auch entschlossenen Härte und Klarheit könnten heutige Politiker lernen.

tagesschau.de: Wolfgang Schäuble saß so lange im Parlament wie niemand vor ihm. Welches politische Erbe hinterlässt er?

Hans Joachim Lietzmann: Es ist wichtig zu sehen: Schäuble ist quasi ein Kind der 1960er-Jahre. Das heißt, er kam aus der Turbulenz des Neuaufbruchs der Bundesrepublik hinein in den Bundestag und hat an prominenter Stelle und sehr prägnant - zum Ärger sowohl seiner Freunde als auch seiner Gegner - außergewöhnliche Vorschläge gemacht und Stellung bezogen.

Sehr konservativ in der Struktur, aber auch ausgesprochen innovativ und kreativ und viel selbstkritischer und ironischer, als wir das sonst im parlamentarischen Betrieb kennen - bei aller Härte, die er in diesem Geschäft oder in dieser Tätigkeit auch gezeigt hat.

"Konservativ in der Struktur, aber ausgesprochen innovativ und kreativ", Hans Joachim Lietzmann, Politikwissenschaftler, zum Tod und Wirken von CDU-Politiker Wolfgang Schäuble

tagesschau24, 27.12.2023 12:00 Uhr

tagesschau.de: Wie hat er es geschafft, in so hohe Ämter zu gelangen?

Lietzmann: Er ist Jurist und kennt die Strukturen. Er kommt aus einem politischen Elternhaus. Sein Vater war schon politisch aktiv, seine Brüder sind es auch gewesen. Er hat Wert darauf gelegt, dass, wenn er sich an Politik beteiligt, er das auch mit aller Machtausstattung tun kann. Er war Kanzleramtschef, er ist mehrfach Innenminister gewesen. Aber er hat auch sich sehr früh für Schwarz-Grün eingesetzt. Er hat die Schuldenbremse geschaffen. Und er hat in der Zeit als Bundestagspräsident - fernab der Regierungsämter - sich sehr stark für die Bürgerräte engagiert.

Zur Person

Hans Joachim Lietzmann ist Politikwissenschaftler. Er leitet seit 2004 das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergischen Universität Wuppertal. Seit 2006 ist er wissenschaftlicher Direktor des Institute for European Citizenship Politics - Bürgerschaftliche Politik in Europa. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören demokratische Beteiligungsverfahren in Deutschland und der EU.

tagesschau.de: Warum hat es nie zum Bundeskanzler gereicht?

Lietzmann: Er hat eine sehr dominante Person wie Helmut Kohl im Weg stehen gehabt, der die Ellenbogen sehr breitgemacht und der ihn nicht zu seinem Nachfolger hat werden lassen. Und als die Ära Kohl mit dem großen Krach zu Ende ging, flog eine jahrelange - um nicht zu sagen jahrzehntelange - illegale Spendenpraxis der CDU auf. Da war er als einer der engsten Vertrauten von Kohl, als Kanzleramtschef, als Fraktionsvorsitzender, zum Teil mitgefangen.

Angela Merkel hatte Interesse, selber Kanzlerin zu werden. Und dass er nicht Bundespräsident werden konnte, hat wiederum viel mit Rücksichtnahme auf die FDP und auch auf die SPD zu tun, die ihre eigenen Kandidaten in den Vordergrund stellten.

Ich denke aber, als Bundestagspräsident hat er eine wesentliche Rolle gespielt. Das ist ein parlamentarisches Wirken, also auch ein sehr demokratienahes Wirken. Und das hat er als eine ganz neue Aufgabe mit viel Verve und viel Charisma angenommen.

tagesschau.de: Wie definieren Sie seine Rolle in der Spendenaffäre?

Lietzmann: Die genaue Rolle, die Wolfgang Schäuble in der Annahme von Spenden gespielt hat, ist genauso wenig wie die von Helmut Kohl nie wirklich aufgeklärt worden. Die Versicherung, dass die CDU sich nie hat korrumpieren lassen von diesen Spenden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Spenden gegen das gegen das Gesetz zu Spenden an Parteien gewesen sind.

Das ist ein großes graues Feld, da ist viel Illegales gelaufen und welche seine Rolle dabei genau war, weiß ich nicht. Aber er hat das als Fehler eingeräumt und als bittere Konsequenz, die er schwer bereut hat, den Bruch in seiner politischen Karriere hingenommen.

tagesschau.de: Ein weiteres einschneidendes Erlebnis war das Attentat auf ihn. Wie stark hat das seine politische Arbeit danach beeinflusst?

Lietzmann: In seiner Tätigkeit als Innenminister hat er wirklich sehr drastische und außergewöhnliche Maßnahmen befürwortet, zum Beispiel den Abschuss von Zivilflugzeugen, wenn möglicherweise damit ein Attentat verbunden wäre. Das war nach dem Attentat von 11. September 2001. Da gab es diese Debatte.

Er hat sehr, sehr drastische Einschränkungen auch des Datenschutzes befürwortet. Das haben zwar andere Innenminister wie Otto Schily auch getan. Ich will aber nicht ausschließen, dass die eigene biografische Erfahrung mit einem solchen Attentat auch zu dieser Härte oder zu dieser Entschlossenheit geführt hat.

tagesschau.de: Was würden Sie sagen, war Schäubles größte Leistung?

Lietzmann: Ich denke, die größte Leistung war diese unglaubliche Kontinuität. Er war immer wieder innovativ und hatte jedenfalls in den letzten Jahren einen selbstironischen und selbstkritischen Blick auf die Machtausübung, die lange Zeit sehr pragmatisch und sehr stur und die am Schluss sehr prinzipienträchtig und demokratiepolitisch war. Das sind zwei Facetten, und beiden Facetten hat er seine ganze Erfahrung, seine Entschiedenheit und auch seine ganze Ironie in den Dienst gestellt.

Das ist eine ganz bemerkenswerte Leistung, das mit dieser selbstlosen, auch gegen sich selber entschlossenen Härte und Klarheit zu tun: Einerseits Entschlossenheit und Konzentration und gleichzeitig immer wieder auch Distanz zu sich selber zu finden, ist durchaus vorbildlich für viele Politikerinnen und Politiker, die in der Gegenwart aktiv sind.

Das Gespräch führte Romy Hiller für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Version redigiert und gekürzt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. Dezember 2023 um 17:00 Uhr.