Ein Mann in einem Hoodie mit der Aufschrift "Deutsches Reich"
Analyse

"Reichsbürger"-Szene Gefährliche Mischung

Stand: 08.12.2022 17:26 Uhr

Die Gruppe, die einen Staatsstreich geplant haben soll, ist nicht homogen. Ihre Zusammensetzung ist gefährlich - auch weil Personen mit militärischer Ausbildung und Zugang zu Waffen dabei sind.

Eine Analyse von Michael Götschenberg, ARD Berlin

Unter den Teilnehmenden des Worldwebforums in Zürich im Januar 2019 machte sich hörbar Unruhe breit, während Prinz Heinrich XIII. Reuß auf der Bühne stand und durch sein auf Englisch verfasstes Manuskript stolperte. Er vertrat wirre Thesen, wie sie für "Reichsbürger" typisch sind, wonach die Bundesrepublik kein souveräner Staat sei, sondern nach wie vor von den Alliierten kontrolliert werde. Auch die These, wonach Deutschland in Wahrheit wie eine GmbH geführt werde, kennt man aus dem Fundus der "Reichsbürger"-Ideologie.

Alles Spinnerei? Natürlich, was sonst. Das Problem ist nur, dass diese Menschen glauben, was sie erzählen. Und die Szene wächst stetig: Der Verfassungsschutz zählte zuletzt 21.000 "Reichsbürger", Tendenz steigend. Darunter viele, die Haus und Hof zu einem unabhängigen Staat erklärt haben, und daraus ableiten, dass sie angeblich keine Steuern und Gebühren zahlen müssen.

Die Szene ist alles andere als homogen. Außer Frage steht jedoch, dass man einen Teil als brandgefährlich bezeichnen muss. Insbesondere diejenigen, die über Waffen verfügen. Wie der "Reichsbürger" Wolfgang P., der 2016 in Georgensgmünd auf ein herannahendes SEK schoss und einen Beamten tötete. Oder im April dieses Jahres in Boxberg-Bobstadt, wo ein weiterer "Reichsbürger" auf das SEK schoss, das bei ihm eine Waffe beschlagnahmen wollte.

Entwaffnung der Szene

Der Verfassungsschutz hat sich in den vergangenen Jahren die Entwaffnung der Szene zur Aufgabe gemacht: Bis Ende 2021 wurde 1050 "Reichsbürgern" die Waffenerlaubnis entzogen. Aber 500 "Reichsbürger" verfügen immer noch über Waffen. 2100 gelten als gewaltorientiert.

In diese Kategorie gehört auch der Reußen-Prinz, der nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft Größeres im Sinn hatte: nämlich die politische Ordnung in Deutschland zu beseitigen, die Regierung abzusetzen und selbst die "Regentschaft" zu übernehmen. Ob das realistisch war, ist eine andere Frage. Wer den 71-Jährigen jedoch als Terror-Opa verniedlicht, hat die Brisanz nicht erkannt. Gefährlich war die Gruppe nach Einschätzung der Ermittler vor allem aufgrund der Mischung, die sich zusammengefunden hatte. Die Bezeichnung als "Reichsbürger"-Gruppe greift nämlich zu kurz: neben Esoterikern gehören vor allem "Querdenker" mit Bundeswehr-Hintergrund dazu, die den eigentlich besorgniserregenden Teil der Gruppe ausmachen.

Männer wie der ehemalige Oberst Maximilian Eder, dessen Radikalisierung innerhalb der Corona-Protestbewegung öffentlich zu besichtigen war, wenn er auf einer Veranstaltung dazu aufrief, das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr nach Berlin zu schicken, um dort "ordentlich aufzuräumen". Der Ex-Oberst war am Aufbau des Kommando-Spezialkräfte der Bundeswehr beteiligt, verfügt also über eine Spezialkräfte-Ausbildung.

Polizei und Bundeswehr

Dasselbe gilt für Rüdiger von P., der nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft neben dem Prinzen zweiter Rädelsführer der Gruppe war. Er sollte demnach den militärischen Arm befehligen. P. befehligte ein Fallschirmjägerbataillon, bis es im KSK aufging und er wegen illegaler Waffendeals aus der Bundeswehr entlassen wurde. Auch Marco van H. war in seiner aktiven Bundeswehrzeit beim KSK. In Pforzheim soll er in der Corona-Protestbewegung aktiv gewesen sein, heißt es in Sicherheitskreisen, und dort weitere Mitglieder für die Gruppe rekrutiert haben. Auch der Ex-Polizist Michael F. trat öffentlich bei Corona-Protestveranstaltungen in Erscheinung. Er wurde aus der Polizei entlassen, da er "Reichsbürger"-Thesen verbreitete und bei einer Corona-Demo den Hitlergruß zeigte.

Diese Männer haben einmal einen Eid auf die Verfassung geschworen, sei es als Soldaten oder als Polizisten. Ein mutmaßliches Mitglied ist sogar aktiver Soldat innerhalb des KSK und soll dort als Logistiker eingesetzt sein. Tatsächlich wirft der Anteil an aktiven und ehemaligen Soldaten bzw. Polizisten die Frage auf, ob die Sicherheitsbehörden die Gefahr von radikalisierten Beschäftigten im Sicherheitsapparat ausreichend auf dem Schirm haben.

Eine "intensivierte erweiterte Sicherheitsüberprüfung"

Mit Blick auf die Bundeswehr und die Reservisten ist dort einiges in Bewegung gekommen: Seit 2017 werden alle, die zur Bundeswehr wollen, und an Kriegswaffen ausgebildet werden sollen, sicherheitsüberprüft, wenn auch nur mit der Einstiegsüberprüfung, der sogenannten Ü1. Diese geht dennoch über die Angaben im polizeilichen Führungszeugnis hinaus. Der Fokus ist dabei darauf gerichtet, ob jemand strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, oder ob es Hinweise auf Extremismus oder Gewaltorientierung gibt. Seit Oktober dieses Jahres ist für alle Soldatinnen und Soldaten, die bei Spezialkräften im Einsatz sind, eine "intensivierte erweiterte Sicherheitsüberprüfung" Vorschrift, eine Art Tiefenprüfung, die sogenannte Ü3 plus.

Auch für die Reservisten gilt seit Oktober, dass sie sich einer Ü1-Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen, bevor sie herangezogen werden. Im Falle der Mitglieder der Gruppe, die einen Hintergrund als ehemalige Zeitsoldaten haben, liegt die militärische Ausbildung jedoch bereits Jahre zurück. Sie würde höchstens im Zusammenhang mit einer Wehrübung auffallen.

"Wir sehen also, dass bei solchen Reichsbürger eine große Radikalität vorhanden ist" Peter Frank, Generalbundesanwalt

Brennpunkt 20:15 Uhr

Wie hat sich die Gruppe gefunden?

Unbeantwortet ist die Frage, wie sich der ursprüngliche Kern der Gruppe um den Prinzen Reuß überhaupt gefunden hat. Es scheint, als habe man sich vor allem über persönliche Kennverhältnisse, quasi nach dem Schneeballsystem, gefunden. Die Gruppe passt weder in die Schubladen "Rechtsextremisten" oder "Reichsbürger".

Der Verfassungsschutz hat für das Phänomen, das zunächst bei der Corona-Protestbewegung zu beobachten war, eine neue Kategorie geschaffen, die sich reichlich sperrig "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" nennt. Sie trug der Tatsache Rechnung, dass es zwar viele Rechtsextremisten innerhalb des Protestgeschehens gibt, und Veranstaltungen auch, gerade im Osten, von Rechtsextremisten organisiert werden, die Teilnehmenden aber mitnichten alle rechtsextrem sind.

Mit Blick auf die Gruppe um den Prinzen Reuß sieht der Befund des Verfassungsschutzes so aus: "Das aufgedeckte Netzwerk ist ein Musterbeispiel für die Herausbildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene, in der Reichsbürgerideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Bereich der Delegitimierer und rechtsextremistische Narrative zusammenfließen", erklärt Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang.

Der Generalbundesanwalt muss nun den Beweis erbringen, dass die Gruppe tatsächlich plante, was man ihr vorwirft. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung, auch wenn Untersuchungshaft angeordnet wurde. Ob die Gruppe jemals in der Lage gewesen wäre, das politische System der Bundesrepublik zu beseitigen, darf man bezweifeln. Doch auch ein Umsturzversuch ohne Aussicht auf Erfolg kann erheblichen Schaden für die Demokratie anrichten und Menschenleben kosten.