Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz im Anschluss an ihre Gespräche im Kreml in Moskau. (Archivbild: Januar 2020)

Merkel zu Russland-Politik "Nach der Krim-Annexion alles versucht"

Stand: 24.11.2022 18:53 Uhr

Altbundeskanzlerin Merkel hat in einem "Spiegel"-Bericht über ihre Russlandpolitik gesprochen - und ihr letztes Treffen mit Präsident Putin. Zuletzt habe sie sich machtlos gefühlt. "Es war Zeit für einen neuen Ansatz", so Merkel.

Altbundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Politik gegenüber Russland und der Ukraine erneut verteidigt. Sie habe sich eine friedlichere Zeit nach ihrem Abschied gewünscht, sagte Merkel dem "Spiegel". Auch weil sie sich während ihrer Amtszeit so stark mit der Ukraine befasst habe, so die CDU-Politikerin.

Bis zuletzt habe sie an einer Lösung gearbeitet und etwa im Sommer 2021 versucht, mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein eigenständiges europäisches Gesprächsformat mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin herzustellen. "Aber ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen, weil ja alle wussten: Die ist im Herbst weg."

Merkel: "Für Putin zählt nur Power"

Merkel war im Dezember 2021 offiziell aus ihrem Amt ausgeschieden. Wenige Monate davor, im August, war sie zu einem Abschiedsbesuch zu Putin nach Moskau gereist. "Das Gefühl war ganz klar: 'Machtpolitisch bist du durch.' Für Putin zählt nur Power", sagte die Altbundeskanzlerin weiter. Bezeichnend sei gewesen, dass Putin zu diesem letzten Treffen auch seinen Außenminister Sergej Lawrow mitgebracht habe. Sonst habe man sich öfter unter vier Augen getroffen.

Der russische Angriff sei nicht überraschend erfolgt. Die von Merkel geführte Bundesregierung hatte gemeinsam mit Frankreich im sogenannten Normandie-Format zwischen der Ukraine und Russland vermittelt, um nach einer Lösung des Konflikts in der Ostukraine zu suchen - dort kämpfen schon seit 2014 ukrainische Regierungstruppen gegen von Russland unterstützte Separatisten.

"Ukraine jetzt wehrhafter als noch 2015"

Merkel war maßgeblich am Minsker Abkommen von 2015 beteiligt, der Friedensplan wurde aber nie vollständig umgesetzt. Wenige Monate nach dem Ende von Merkels Amtszeit überfiel Russland am 24. Februar dieses Jahres die Ukraine.

Dem "Spiegel"-Bericht zufolge glaubt Merkel, beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 und auch später bei den Verhandlungen in Minsk die Zeit gekauft zu haben, die die Ukraine habe nutzen können, um sich einem russischen Angriff besser zu widersetzen. Die Ukraine sei jetzt ein stärkeres, wehrhafteres Land. Damals, sei Merkel sicher, wäre sie von Putins Truppen überrollt worden, so der "Spiegel".

"In Zentralasien bewegt sich viel"

Merkel lobte in dem Gespräch den Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie glaube, dass Deutschland nicht als erste Nation modernste Panzer schicken sollte, weil man in Russland "mit Deutschland immer noch gut Stimmung machen kann".

Zugleich äußerte sie Respekt für den kasachischen Präsidenten Kassim-Schomart Tokajew. Dieser habe sich auf offener Bühne geweigert, Putins Krieg zu unterstützen. "Es kostet, denke ich, so einen Mann unfassbare Kraft, sich gegenüber Russland zu behaupten." In Zentralasien bewege sich etwas mit Blick auf Russland.

"Russland ernst nehmen"

Zugleich warnte Merkel davor, in der Außenpolitik zu hohe Ansprüche zu stellen. "Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Latte nicht so hoch hängen, dass zum Schluss niemand übrigbleibt, der unseren Ansprüchen noch genügen kann."

Sie sei sich ziemlich sicher, dass der verstorbene Altkanzler Helmut Kohl dazu raten würde, jetzt schon an die Zeit zu denken, in der man wieder Beziehungen mit Russland aufnehmen kann, heißt es in dem Artikel. Russland ernst zu nehmen, sei kein Zeichen von Schwäche, sondern von Klugheit, so Merkel.

Kritik von deutschen und ukrainischen Politikern

Merkel sagte zudem, sie bereue es nicht, nicht noch einmal bei der Bundestagswahl als Kanzlerkandidatin angetreten zu sein. Innenpolitisch sei es überreif gewesen, dass jemand Neues antritt. Außenpolitisch sei sie zum Ende ihrer Amtszeit bei so vielem, was ihre Regierung wieder und wieder versucht habe, keinen Millimeter mehr weitergekommen:

Nicht nur, was die Ukraine angeht. Transnistrien und Moldau, Georgien und Abchasien, Syrien und Libyen. Es war Zeit für einen neuen Ansatz.

Sie sei sich mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama in der Einschätzung von Putin einig gewesen. "Wir haben nach der Krimannexion Russlands [2014] alles versucht, um weitere Überfälle Russlands auf die Ukraine zu verhindern, und unsere Sanktionen im Detail abgestimmt", wird Merkel zitiert.

Die Altbundeskanzlerin war in den vergangenen Wochen von ukrainischen wie deutschen Politikern öffentlich kritisiert worden, weil sie keine Fehler in der Russlandpolitik der vergangenen 16 Jahre eingeräumt habe. Sie habe in ihrer Regierungszeit zwar erkannt, dass Putin Europa schwächen und spalten wolle, aber die falschen Handlungsschlüsse gezogen und nur mit "Soft Power" reagiert, sagte etwa der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter.