Aktivisten der "Letzten Generation" blockieren eine Straße
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Umfrage zu Klimaprotesten Deutsche lehnen Straßenblockaden mehrheitlich ab

Stand: 26.06.2023 05:11 Uhr

Eine große Mehrheit der Deutschen hat für Straßenblockaden von Klimaaktivisten kein Verständnis. Laut einer SWR-Umfrage lehnen 85 Prozent der Befragten diese Protestform ab. Politiker fordern harte Strafen - eine Kriminologin widerspricht.

Von Marcel Kolvenbach, Nick Schader, Kolja Schwartz, SWR

Sie protestieren für mehr Klimaschutz und kleben sich dafür auf den Asphalt stark befahrener Straßen. Regelmäßig legen Klimaaktivisten der "Letzten Generation" auf diese Weise den Verkehr in deutschen Großstädten lahm. Ein Großteil der Deutschen lehnt diese Protestform ab, wie eine repräsentative Umfrage im Rahmen der ARD-Dokumentation "Radikal fürs Klima: Helden oder Kriminelle?" zeigt.

Demnach halten 85 Prozent der Befragten das Blockieren von Straßen und Verkehr für "nicht gerechtfertigt". Nur jeder Achte (13 Prozent) hält derartige Protestaktionen für "gerechtfertigt". Damit ist die Zustimmung von Straßenblockaden gegenüber früheren Umfragen weiter gesunken. 2019 fanden noch 24 Prozent solche Aktionen gerechtfertigt, allerdings waren damals Straßenblockaden bei Weitem nicht so verbreitet wie heute.

Große Unterschiede nach Parteianhängerschaft

Stark unterscheiden sich die Einschätzungen der unterschiedlichen politischen Lager. So betrachtet knapp jeder zweite Grünen-Anhänger (48 Prozent) die Aktionen als "gerechtfertigt", aber nur elf Prozent der SPD-Anhänger. Sechs Prozent Zustimmung gibt es unter CDU/CSU-Anhängern, genau wie bei der AfD. Die stärkste Ablehnung gibt es unter FDP-Anhängern, von denen nur drei Prozent Straßenblockaden für gerechtfertigt halten.

Die bisher verhängten Strafen gegen Klimaaktivisten im Zusammenhang mit ihren Verkehrsblockaden werden in der Bevölkerung mehrheitlich als tendenziell nicht hart genug wahrgenommen (56 Prozent). 25 Prozent finden die Strafen angemessen, elf Prozent dagegen zu hart.

Blockaden sind "strafbare Nötigung"

Die meisten Gerichte in Deutschland würden Straßenblockaden aktuell verurteilen, erklärt der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam: "Sitzblockaden gab es ja schon lange vor der 'Letzten Generation'. Und die Linie in ganz vielen Gerichtsurteilen ist: Das ist strafbare Nötigung. Dass dahinter ein guter Zweck steht, also auf Klimaschutz aufmerksam zu machen, ändert daran in aller Regel nichts."

Es komme aber sehr stark darauf an, wie die Blockade im Einzelfall abgelaufen sei. Und: Es gehe dabei auch um verfassungsrechtliche Fragen wie Demonstrationsfreiheit und Klimaschutz, daher werde sich "bestimmt auch das Bundesverfassungsgericht noch mit genau diesen Fällen beschäftigen", so Bräutigam.

FDP, AfD und Unionsanhänger für härtere Strafen

Befragt zum Umgang der Justiz mit den Klimaaktivisten und ihren Verkehrsblockaden ergeben sich in der repräsentativen Umfrage deutliche Unterschiede, abhängig von der Parteipräferenz der Befragten. So schätzen 43 Prozent der Grünen-Anhänger die verhängten Strafen als "zu hart" ein, 37 Prozent empfinden sie als "angemessen" und nur neun Prozent als "nicht hart genug", während die übrigen Wahlberechtigten die Strafen überwiegend als "nicht hart genug" empfinden.

Die Zahlen im Einzelnen: Unter den SPD-Anhängern finden elf Prozent die Strafen "zu hart", 28 Prozent "angemessen" und 56 Prozent "nicht hart genug". Bei den Befragten, die als Präferenz CDU/CSU angeben, halten vier Prozent die Strafen für "zu hart", 29 Prozent für "angemessen" und 63 Prozent für "nicht hart genug". Unter den Anhängern der FDP geben ein Prozent an, die Strafen seien "zu hart", 25 Prozent halten sie für "angemessen" und 71 Prozent für "nicht hart genug". Bei den Parteianhängern der AfD finden fünf Prozent die Strafen "zu hart", acht Prozent "angemessen" und 81 Prozent halten die Strafen für "nicht hart genug".

Aktivisten wollen sich nicht abschrecken lassen

Micha Frey ist Aktivist der "Letzten Generation". Schon mehrfach hat er sich in Passau und anderen Städten auf die Straße geklebt, wurde dafür sogar schon inhaftiert. Dennoch will er weiter machen, bis die Politik auf die Forderungen der Aktivisten eingeht. Die Forderungen der "Letzten Generation" sind unter anderem: günstiger Nahverkehr für alle, ein Tempolimit und eine Art "Gesellschaftsrat". Letzterer soll aus Sicht der Aktivisten mit zufällig gewählten Volksvertretern besetzt werden und mitbestimmen, wie Deutschland schon bis 2030 klimaneutral werden könnte.

Auch die Aktivisten der Gruppe "Extinction Rebellion" fordern solch einen "Bürgerrat", ebenso ein Tempolimit. Für ihren Protest haben sie in diesem Frühjahr eine "Schilderaktion" gestartet. Dabei haben Aktivisten an zahlreichen Autobahnen insgesamt rund 250 Schilder abmontiert, die das Tempolimit dort normalerweise wieder aufheben sollen - und damit vielerorts eine Art "inoffizielles Tempolimit" geschaffen.

Amelie Meyer, eine der Aktivistinnen, erklärt dazu: "Wir sehen vor allem im Verkehrssektor, dass die Klimaziele nicht eingehalten werden und unser Verkehrsminister seinem Job nicht nachkommt. Deswegen haben wir gesagt, wir machen das, wir nehmen das Tempolimit jetzt selbst in die Hand." Juristisch gesehen könnte die Aktion möglicherweise als "gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr" gewertet werden.       

Kriminologin widerspricht

Wer sich immer wieder an illegalen Aktionen beteilige, müsse mit Haftstrafen rechnen, fordert Bundesjustizminister Marco Buschmann:

Wenn dann fortgesetzt immer wieder Straftaten begangen werden, dann müssen irgendwann auch Freiheitsstrafen verhängt werden, um eben eine echte Sanktionierungswirkung bei den Betroffenen zu haben. Ich glaube, es macht schon Eindruck auf Menschen, wenn sie mal mehrere Monate in einer Justizvollzugsanstalt eingesessen haben."
Bundesjustizminister Marco Buschmann

Die Kriminologin Katrin Höffler von der Uni Leipzig sieht das anders. Sie beschäftigt sich schon länger mit den Aktionen des sogenannten "zivilen Ungehorsams" und sieht Gefängnisstrafen nicht als Lösung:

Härtere Strafen schrecken nicht ab. Auf Resozialisierung brauchen wir hier nicht hoffen. Es geht hier um die tiefste Überzeugung dafür, sich für Klimaschutz einzusetzen. Und ich glaube, einzig sinnvolles Mittel ist hier in die Kommunikation, in den Diskurs zu gehen.
Kriminologin Katrin Höffler

Letzte Generation "kriminelle Vereinigung"?

Auch bei der Diskussion über die Einordnung der "Letzten Generation" als "kriminelle Vereinigung" gehen die Meinungen auseinander. Während CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im SWR-Interview die Einstufung als "kriminelle Vereinigung" klar bejaht, lehnt das die Kriminologin ab - der Begriff der "kriminellen Vereinigung" sei aus ihrer Sicht "reserviert für Mafia, organisierte Kriminalität, rechtsextremistische Vereinigungen". Ob die Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung eingestuft wird, wird am Ende wohl von den Gerichten entschieden.

Luisa Neubauer, Sprecherin von "Fridays for Future", warnt davor, dass sich die Diskussion mittlerweile eher um die richtige Form der Proteste dreht und dabei das Ziel Klimaschutz aus dem Blick gerät:

Stand jetzt hat die Entwicklung von Protestformen, von einigen Bewegungen […] tendenziell dazu geführt, dass Politikerinnen das Gefühl haben, sie profilieren sich eher dadurch, indem sie sich von Klimaschutz, von gutem, stringentem Klimaschutz abwenden, und das ist gefährlich. Und in meinen Augen ein riesengroßes Argument dafür, die Mehrheit nicht aus dem Blick zu verlieren.
Luisa Neubauer, Fridays for Future

Mehr zum Thema sehen Sie in der Story im Ersten: Radikal fürs Klima: Helden oder Kriminelle? - um 22:50 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek