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analyse

Nach CDU-Vorstoß Warum Asylrecht ein individuelles Recht ist

Stand: 18.07.2023 17:22 Uhr

Der CDU-Politiker Frei fordert, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen und Aufnahmekontingente einzuführen. Dabei regeln Völker- und Europarecht eindeutig: Das Asylrecht ist ein individuelles Recht.

Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Aus dem "Individualrecht auf Asyl" müsse eine "Institutsgarantie" werden, schreibt Thorsten Frei (CDU) in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Nach seinen Vorstellungen hieße das: "Eine Antragstellung auf europäischem Boden wäre nicht länger möglich, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten umfassend ausgeschlossen." Stattdessen sollte die EU eine feste Zahl von Schutzbedürftigen direkt aufnehmen.

Freis Argument: Das bisherige europäische Asylsystem sei "zutiefst inhuman", weil es Alte oder Kranke benachteilige, die es nicht nach Europa schaffen würden. Außerdem sei die EU durch "Migrationsströme" überfordert, es gebe "Sicherheitsrisiken" und "Integrationsprobleme".

Im Grundgesetz ist Asyl ein individuelles Recht

Nach dem Grundgesetz ist das Asylrecht klar ein individuelles Recht. Und wie Verfassungsrechtler Johannes Masing in einem Grundgesetz-Kommentar schreibt: Das Asylgrundrecht steht nicht unter dem "Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens". Denn wie immer im Rechtsstaat: Ob ein Recht gilt, hängt grundsätzlich nicht davon ab, wie der Staat bei der Durchsetzung dieses Rechts finanziell kalkuliert.

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Zu der Frage aber, ob das Asylgrundrecht ganz abgeschafft werden könnte, gibt es widersprüchliche Aussagen des Bundesverfassungsgerichts. In einem Urteil von 1996 hat Karlsruhe gesagt: Der Asyl-Artikel gehöre nicht zum Grundbestand der Verfassung und könnte auch abgeschafft werden.

Ein paar Jahre zuvor hatte das Verfassungsgericht noch geurteilt: Das Asylrecht biete individuellen Schutz und der folge gerade auch aus der Menschenwürde. Wenn das Asylrecht Teil der Menschenwürdegarantie ist, dann käme eine Abschaffung nicht infrage. Auch nicht durch eine Grundgesetzänderung.

Auf Völkerrecht und Europarecht kommt es an

Nur die wenigsten Geflüchteten, die derzeit nach Deutschland kommen, erhalten Schutz nach dem Grundgesetz. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge waren es im vergangenen Jahr nur 0,8 Prozent. Wichtiger ist der Schutz nach dem Europa- und Völkerrecht.

Und auch hier ist die Lage klar: Richtlinien des Europarechts regeln das Asylrecht als individuelles Recht mit einer Einzelfallprüfung. Diese Richtlinien sollen nach den Vorschlägen aus der CDU nun geändert werden. Selbst wenn die EU-Staaten geschlossen ihr Recht ändern würde, wäre sie aber immer noch an Völkerrecht, vor allem an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden.

Das betont Anuscheh Farahat, Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Den Individualanspruch aus Asyl kann man nicht so einfach abschaffen", sagt sie. Die EU und ihre Mitgliedstaaten blieben "aus völkerrechtlichen Gründen verpflichtet, einen individuellen Anspruch auf Asyl vorzusehen."

Individueller Schutz nach dem Völkerrecht

Die Genfer Flüchtlingskonvention ist die völkerrechtliche Grundlage für den Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa. Und gerade im Völkerrecht - in der Genfer Konvention aber auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention - gibt es ein wichtiges Prinzip, den sogenannten Grundsatz der Nichtzurückweisung. Im Fall der Verfolgung hätten Menschen "einen individuellen Anspruch, dass ihr Schutzbedürfnis geprüft wird", erklärt Rechtsprofessorin Farahat.

Im Falle der Schutzbedürftigkeit dürfe kein Staat jemanden dorthin zurückweisen, wo Leben und Freiheit wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bedroht sind. Dieser Grundsatz formuliert einen individuellen Schutzanspruch. Eine "Institutsgarantie" mit festen Kontingenten und Aufnahme-Obergrenzen, wie jetzt aus der CDU vorgeschlagen, würde also gegen Standards des Flüchtlingsschutzes verstoßen. Und dass die EU geschlossen aus der Genfer Flüchtlingskonvention aussteigt, ist politisch kaum vorstellbar. 

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Geflüchtete erster und zweiter Klasse?

CDU-Politiker Frei hat außerdem ein "Antragsrecht" für Menschen vorgeschlagen, die aus unmittelbaren Nachbarstaaten der EU kommen. Bei einem "Massenzustrom wie derzeit im Falle der Ukraine" würde Europa dann "für einen längeren Zeitraum kein Kontingent" von Geflüchteten "aus dem entfernten Ausland mehr aufnehmen." Dieser Vorschlag klingt sehr nach einem System, das zwei Gruppen von Geflüchteten unterscheiden würde.

Das erinnert an eine Debatte direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs kam zum ersten Mal die "Massenzustrom-Richtlinie" zu Anwendung. Ukrainische Geflüchtete erhalten Erleichterungen bei Arbeitserlaubnis, Bewegungsfreiheit und Familiennachzug. Damals wurde diskutiert, ob Europa auf diese Weise Geflüchtete "erster und zweiter Klasse" schaffe und ob es gerechtfertigt, sei Menschen vorrangig zu helfen, die dem Aufnahmeland politisch und kulturell vermeintlich näher seien.

Einige Juristen haben sich für die Möglichkeit unterschiedlicher Schutzstandards ausgesprochen. Daraus aber Rückschlüsse auf die neuen Forderungen aus der CDU zu ziehen, ist kaum möglich. Denn: Völkerrecht und Europarecht sehen eindeutig vor: Flüchtlingsschutz ist ein Menschenrecht und das gibt dem einzelnen Geflüchteten individuellen Schutz - unabhängig davon, ob dieser aus der Ukraine flieht oder aus anderen Teilen der Erde nach Europa kommt. 

"Ein rechtspopulistischer Vorschlag"

Rechtspolitisch gesehen sei der Vorschlag von Thorsten Frei ein "rechtspopulistischer Vorschlag" meint Rechtsprofessorin Farahat. Er sei aus völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Gründen nicht umsetzbar. 

Es gehe auch nicht darum, eine Kleinigkeit im Asylrecht zu ändern, sondern es sei ein "Vorstoß, der das Bekenntnis zu Menschenrechten ganz grundlegend berührt und infrage stellt".

Max Bauer, SWR, tagesschau, 19.07.2023 05:28 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Juli 2023 um 17:00 Uhr.