Migranten, die von der tunesischen Marine im Mittelmeer aufgegriffen wurden, warten im Hafen von Sfax.
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Vorschlag von CDU-Politiker Frei Was hinter dem Asyl-Vorstoß steckt

Stand: 19.07.2023 17:41 Uhr

Der Asyl-Vorstoß aus der CDU hat eine alte Debatte neu entfacht. Ist sie mehr als heiße Luft im Sommerloch? Die Kritik ist laut, die Unterstützung verhalten - ein Überblick.

Die Ausgangslage

Als "Sommerloch"-Thema hat Außenministerin Annalena Baerbock den Vorstoß aus der CDU für einen grundlegenden Systemwechsel in der Asylpolitik bezeichnet. Unabhängig von der Jahreszeit ist jedoch unbestritten, dass die Bundesregierung bei einer Asylreform auf EU-Ebene vorankommen will, trotz der Bedenken vor allem der Grünen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) setzt vor allem auf die Verhandlungen über eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Insbesondere die geplanten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen lehnen viele Grünen-Politiker ab.

Die Union verweist darauf, dass durch die geplante Reform kurzfristig nicht weniger Asylsuchende nach Deutschland kämen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres wurde beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für rund 150.000 Menschen erstmalig ein Asylantrag gestellt. Das waren 77 Prozent mehr Erstanträge als im Vorjahreszeitraum. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine erhalten gemäß einer EU-Richtlinie Schutz und müssen daher keinen Asylantrag stellen.

Die CDU sieht in der Migrationspolitik Handlungsdruck. Vermutlich auch mit Blick auf die hohen Zustimmungswerte der AfD platzierte nun Thorsten Frei seinen radikalen Vorschlag via "FAZ". Kernpunkt: Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion will die Möglichkeit, in Deutschland Asyl zu beantragen, praktisch abschaffen. Stattdessen solle Europa jedes Jahr ein Kontingent an Flüchtlingen aufnehmen, die bereits im Ausland ausgewählt würden. Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kämen, um Asyl zu beantragen, sei erkennbar zu groß, pflichtete ihm etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bei.

Wie reagiert die Bundesregierung auf den Vorstoß?

Ziemlich schnörkellos. Sie machte deutlich, dass sie am individuellen Anspruch auf Asyl nicht rütteln will. Regierungssprecher Steffen Hebestreit antwortete auf die entsprechende Frage eines Journalisten:

Solche Überlegungen sind mir innerhalb der Bundesregierung nicht bekannt, Komma, und würden mich auch überraschen, Punkt.

Ein Sprecher des SPD-geführten Bundesinnenministeriums verwies darauf, dass es die Aufnahme von Flüchtlingen über Kontingente und das sogenannte Resettlement bereits gibt. Zu Schwierigkeiten bei der Rückführung abgelehnter Asylsuchender sagte er, Abschiebungen seien grundsätzlich eine Aufgabe der Bundesländer.

Außenministerin Baerbock hatte bereits am Dienstag auf den Vorschlag von Frei reagiert: "Offensichtlich sind wir schon im Sommerloch." Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat kritisierte: "Mit solchen Debatten befeuert die Union die Forderungen rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien und Regierungen nach einer faktischen Abschaffung des Flüchtlingsschutzes nur weiter."

Frei dementiert einen Zusammenhang mit hohen AfD-Zustimmungswerten. Er schaue nicht so sehr auf die politischen Werte anderer Parteien. "Sondern ich mache das, wofür Politiker aus meiner Sicht da sind: Wir haben ein objektives Problem, das viele Menschen bei uns im Land als eine große Herausforderung und ein großes Problem identifizieren. Und dann ist es unsere Aufgabe, Vorschläge zu machen, wie man damit umzugehen hat."

Gerald Knaus, Migrationsforscher, zu CDU-Vorschlag von Asyl-Aufnahmekontingente

Morgenmagazin, 19.07.2023 07:00 Uhr

Was sagen Migrationsexperten?

Aus Sicht des Migrationsforschers Gerald Knaus würde eine Abschaffung des Individualrechts auf Asyl die aktuellen Probleme bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa nicht lösen. Es fehlten Vereinbarungen, um Ausreisepflichtige aus der Europäischen Union zurückzubringen, sagte der Vorsitzende der Berliner Denkfabrik "European Stability Initiative" im ARD-Morgenmagazin. Auch müssen Menschen in sichere Drittstaaten zurückgeschickt werden, um zum Beispiel Mittelmeerflüchtlingen eine Rückkehr nach Libyen zu ersparen. Nur mit Migrationsabkommen sei es möglich, jene Menschen schnell zurückzuschicken, die keinen Schutz brauchen, und Staaten außerhalb Europas einen Anreiz zur Kooperation zu geben.

Die EU-Kommission hatte vor wenigen Tagen ein Abkommen mit Tunesien unterzeichnet, das Fluchtbewegungen über das Mittelmeer einschränken soll. Wegen des aktuell fragwürdigen Umgangs Tunesiens mit Migranten ist die Vereinbarung allerdings auch umstritten.

Der Migrationsexperte Daniel Thym sagte der "Welt", Freis Vorstoß hätte bei einer Umsetzung schwerwiegende Folgen. Es kämen dann weiter Menschen nach Deutschland, die kein Asyl beantragen und nicht arbeiten könnten und bestimmte Leistungen nicht erhielten. "Droht ihnen Gefahr in den Herkunftsländern, dürfen wir sie nicht abschieben. Im Ergebnis würde Herr Freis Vorschlag also bedeuten, eine große Schicht prekär lebender Personen in Deutschland zu schaffen", sagte der Konstanzer Ausländerrechtsexperte.

Scharfe Kritik an Frei kam vom Rat für Migration. "Der Vorschlag ist ein Angriff auf den nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz und widerspricht den europäischen Werten und europäischem Recht", erklärte der Zusammenschluss von 220 Migrationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum. Eine Umsetzung der Vorschläge des CDU-Politikers würde die Abschaffung des Artikels 16a des Grundgesetzes sowie den Austritt aller EU-Staaten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und aus der Genfer Flüchtlingskonvention erfordern.

Ähnlich äußerte sich auch der Jesuiten-Flüchtlingsdienst. "Der individuelle Anspruch eines verfolgten Menschen auf Aufnahme und Schutz ist in zahlreichen internationalen Verträgen festgelegt und gilt auch für Europa", erklärte die Organisation auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Menschen können nicht wie Apfelsinenkisten einfach anhand von Quoten auf die einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verteilt werden."

Was steht im Grundgesetz und in internationalen Verträgen?

Asylsuchende können sich in Deutschland auf das Grundgesetz berufen. "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht", heißt es in Artikel 16a. Es wird individuell bei jedem und jeder einzelnen Asylsuchenden geprüft, ob eine politische Verfolgung vorliegt. Um den Artikel zu ändern, wäre eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.

Auch die Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des deutschen Rechts. Das ist in Artikel 25 des Grundgesetzes festgelegt. Die Genfer Flüchtlingskonvention etwa schützt Menschen, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung oder wegen ihrer politischen Überzeugungen außerhalb ihres Heimatlandes befinden, vor der Ausweisung in ein Land, in dem Verfolgung droht. Zudem müssen sich Behörden und Gerichte in Deutschland an Europarecht halten, selbst wenn dem das nationale Recht eventuell entgegenstünde. Das regelt Artikel 23 des Grundgesetzes. Die EU-Staaten haben sich über die EU-Verträge dazu verpflichtet, sich an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Charta der Grundrechte zu halten. Aus diesen ist auch ein Schutz für Geflüchtete abzuleiten.

Bekommt Frei denn auch Unterstützung?

CDU-Chef Friedrich Merz signalisierte Zustimmung. Man werde sich über das ganze Thema eines europäischen Asylsystems nochmals von Grund auf unterhalten müssen, sagte er. "Und dazu leistet der Beitrag von Thorsten Frei einen guten und wichtigen Beitrag." Frei spreche ein Problem an, für das es "im Augenblick keine wirklich guten und überzeugenden Lösungen" gebe. Auf die Frage, ob dieser Vorstoß mit ihm eng abgestimmt sei, ergänzte der CDU/CSU-Fraktionschef: "Gehen Sie mal davon aus, wenn führende Mitglieder unserer Fraktion Namensbeiträge veröffentlichten, dass ich das vorher weiß."

Positiv äußerten sich auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer und der innenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Alexander Throm (CDU). Frei habe zu Recht darauf hingewiesen, "dass unser Migrationssystem derzeit völlig falsche Zustände verursacht".

Aus der CSU klangen die Reaktionen verhaltener. Von einem "spannenden Vorschlag" sprach CSU-Chef Markus Söder und ließ damit eine gewisse Reserviertheit erkennen. Söder zweifelte vor allem an der Umsetzbarkeit. Die Forderungen Bayerns wie verstärkte Grenzkontrollen brächten "einen schnelleren Ertrag".

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt formulierte es so: Der Vorstoß von Frei sei ein "Langfristprojekt". Es gehe darum, wie man langfristig in Europa zu einem veränderten Asylsystem kommen könne. Der CSU gehe es aber akut darum, wie man aktuell eine Begrenzung der Zuzugszahlen hinbekommen könne, sagte Dobrindt. Dabei handele es sich um Instrumente, die im bestehenden System möglich seien, wie etwa ein stärkerer Schutz der EU-Außengrenzen, Asylverfahren schon an diesen Grenzen, das Reduzieren von Anreizen bei Asylleistungen und mehr Abkommen mit Transitländern von Flüchtlingen.

Wie groß sind die Chancen auf eine Umsetzung?

Minimal. Nicht nur, weil die Union in der Opposition ist und es in Deutschland für Freis Idee derzeit keine politische Mehrheit gibt. Auf nationaler Ebene hat sich Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Migrationspolitik umzukrempeln. Dazu gehören das im Dezember beschlossene Aufenthaltsrecht, ein vom Kabinett im Mai verabschiedeter Entwurf zu vereinfachten Einbürgerungen und das im Juli beschlossene Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung.

Auch auf europäischer Ebene wird ein Ansatz wie von Frei vorgeschlagen nicht verfolgt. Hier geht man eher den Weg der Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und einer besseren Verteilung der Menschen in Europa. Plus die Abkommen mit Staaten wie Tunesien, um Menschen an der Überfahrt über das Mittelmeer zu hindern.

Wie geht es jetzt weiter?

Vermutlich gar nicht. Frei hat eine Debatte angestoßen, die allerhöchstens kurzfristig das Sommerloch befüllt, aber sonst im politisch luftleeren Raum verharrt. Politisch fehlen Mehrheiten für eine Umsetzung und auch die rechtlichen Hürden wären kaum zu überwinden. Frei muss sich den Vorwurf des "realitätsfernen Populismus" gefallen lassen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 19. Juli 2023 um 07:00 Uhr.