Ein Blick von oben auf Bad Neuenahr während der Flutkatastrophe im Ahrtal.

Flutkatastrophe im Ahrtal "Ein Schlag ins Gesicht für die Opfer"

Stand: 18.04.2024 17:48 Uhr

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat entschieden, dass es kein Verfahren wegen zu später und unzureichender Warnungen vor der Flutkatastrophe im Ahrtal geben wird. Was sagen die Betroffenen dazu?

Wenn Michael Lentz auf den Balkon im vierten Stock seines Hotels tritt, blickt er direkt auf die Ahr. Friedlich plätschert das Flüsschen durchs Kurviertel von Bad Neuenahr. Kaum zu glauben, dass hier vor fast drei Jahren eine Wasserwalze durchs Tal toste, die Tod und Verwüstung brachte.

Die Spuren sind allerdings noch deutlich sichtbar. Das Hotel Central ist noch immer eine Baustelle. Direkt davor ein Baustofflager, riesige Rohre für die Kanalisation, drinnen sind Zementsäcke gestapelt, Stromleitungen hängen aus den Wänden.

"Warum das hier noch so aussieht?" Lentz rollt mit den Augen. "Wir haben das erste Dreivierteljahr über gar keine Infrastruktur verfügt. Es gab keine Straße mehr - nur zwei Meter Abgrund. Wir haben vor allem in Eigenregie wieder aufgebaut." Sieben Zimmer sind inzwischen so weit renoviert, dass Lentz sie wieder vermieten kann. Er wird noch lange mit den Folgen der Flut leben müssen.

Enttäuschung und Entsetzen im Ahrtal nach Einstellung der Ermittlungen gegen Landrat

Peter Sonnenberg, SWR, tagesthemen, 18.04.2024 22:15 Uhr

Dass die Katastrophe für den seinerzeit verantwortlichen Landrat Jürgen Pföhler kein Nachspiel hat, macht ihn sprachlos. "Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Opfer, die Angehörigen und alle, die betroffen sind. Man wartet, dass irgendwas entschieden wird, und die Sache verläuft im Sande."

Fassungslosigkeit bei vielen Betroffenen

Auch der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen, kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. "Ich bin mehr als enttäuscht", sagt Orthen. "Viele Menschen müssen nach wie vor die Folgen der Flut, den Verlust von lieben Menschen und Verletzungen an Leib und Seele tragen und ertragen."

Sie hätten sich durch ein gerichtliches Verfahren eine Aufklärung der Geschehnisse des folgenschweren 14. Juli erhofft. "Die Staatsanwaltschaft hat ihre rechtliche Bewertung vorgenommen. Eine andere Entscheidung der Staatsanwaltschaft wäre aus meiner Sicht ein wichtiges Signal für die Menschen der Region gewesen", so Orthen.

Schlussstrich oder nicht?

Ein paar Dörfer weiter flussaufwärts in Dernau sieht Sebastian Tetzlaff das ganz anders. Der Schreiner erlebte in der Flutnacht, wie seine Schwiegermutter im Nachbarhaus ertrank. Er selbst konnte sich retten, sein damals frisch renoviertes Haus musste abgerissen werden.

Der Wiederaufbau des Dorfes liegt ihm am Herzen. Dass der Ex-Landrat nicht vor Gericht muss - ihm ist das egal. "Wem hätte das was gebracht, wenn der vielleicht ein paar Jahre ins Gefängnis geht. Der Mann hat seine Strafe schon bekommen, sein Leben, wie es mal war, ist zerstört."

Auch Stimmen wie diese hört man im Ahrtal immer wieder. Es sei Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen.

Eine Einstellung, die Inka und Ralf Orth nicht nachvollziehen können. Ihre Tochter Johanna ertrank in der Flutnacht in ihrer Wohnung in Bad Neuenahr. Auf einer Pressekonferenz am Vortag sagte Ralf Orth: "135 Menschen haben ihr Leben gelassen. Ein Landrat, der glaubt, alles delegieren zu können beziehungsweise zu dürfen, obwohl er dafür bezahlt wird, macht sich eindeutig des Organisationsverschuldens schuldig."

Sein Vorwurf: Die ermittelnden Staatsanwälte seien befangen. "Es scheint eindeutig der politische Wille zu sein, dass die Verantwortlichen für den Tod unserer Tochter nicht zur Rechenschaft gezogen werden sollen und eine Aufklärung nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfolgt." Sein Kommentar nach der heutigen Entscheidung: "Ein Justizskandal."

Eine Frage der Moral

Schon am Nachmittag des 14. Juli hatte die damalige Bürgermeisterin von Altenahr, Cornelia Weigand, das Landratsamt gebeten, den Katastrophenalarm auszulösen. Erst sieben Stunden später kam es dazu. In ihrer Gemeinde starben zehn Menschen, 80 Prozent der Häuser wurden beschädigt, fast alle Brücken zerstört.

Als parteilose Kandidatin wurde Weigand im Januar 2022 zur Nachfolgerin von Pföhler gewählt. Ihr Programm: Wiederaufbau des Ahrtals und Weiterentwicklung der Region. In einer Stellungnahme betonte sie, es sei wichtig, dass die Staatsanwaltschaft sich mit der Flutkatastrophe auseinandergesetzt habe - auch wenn die Entscheidung nicht für jeden befriedigend sein könne.

Es sei daher sehr verständlich, dass Angehörige und Hinterbliebene der Opfer ihre weiteren rechtlichen Möglichkeiten prüfen werden. Unabhängig von der strafrechtlichen Fragestellung gebe es aber auch eine große moralische Verantwortung.

"Bei einer Katastrophe dieser Dimension hätte sicher niemand fehlerfrei agiert", sagt Weigand. "Aber gar nicht zu handeln ist aus meiner Sicht keine Option. Von einem Landrat, einer Landrätin erwarte ich, selber vor Ort zu sein und zu tun, was in der eigenen Macht steht, um Menschen zu helfen."

Dämpfer für den Optimismus

Die Frage der Moral treibt auch Elke Wolber um. Sie wohnt selbst nicht im Ahrtal, ist aber mit den Menschen vor Ort gut vernetzt und hat vom ersten Tag an als Freiwillige bei der Versorgung der Flutopfer geholfen.

"Für mich ist das die Katastrophe nach der Katastrophe", sagt Wolber. "Als klar denkender Mensch kann man das nicht begreifen, dass bei so einem großen Unglück und so einem Nichtstun von dem Landrat so was rauskommen kann. Ich hatte gehofft, dass der Herr Pföhler für seine Untätigkeit verurteilt wird."

Noch strömen die Touristen nicht wieder in so großer Zahl ins Ahrtal wie vor der Flut. Für den Hotelier Michael Lentz bedeutet das große Unsicherheit, was die Buchungslage angeht. Daher hat er auch noch kein Personal eingestellt. Das Putzen der Gästezimmer übernehmen er und seine Frau.

"Wir machen bewusst nur am Wochenende auf", so Lentz. "Ich weiß nicht, wie das Geschäft die Woche über laufen würde. Wenn keine Veranstaltungen sind, ist der allgemeine Tourismus an der Ahr noch verhalten." Er blickt mit Hoffnung in die Zukunft, setzt auf den Wiederaufbau, auch wenn der heutige Tag einen deutlichen Dämpfer bringt.

"Das Ahrtal ist in der großen Gemeinschaft geeint, aber diese Entscheidung wird eine gewisse Trostlosigkeit nach sich ziehen", sagt Lentz. Der Mensch braucht nun mal einen Abschluss. So hängt man wieder in den Seilen und hat gar nichts mehr, woran man glauben kann."

Mehr zu diesem Thema sehen Sie in der ARD-Dokumentation "Die Flut - Chronik eines Versagens" in der ARD-Mediathek.