Fahrzeuge hinter einem Grenzzaun, im Hintergrund Trümmer

Militäroperation im Gazastreifen Bundesregierung will Israel-Kurs überdenken

Stand: 27.05.2025 16:32 Uhr

Angesichts der Kriegsführung der israelischen Armee im Gazastreifen ändert die Bundesregierung ihren Ton. Kanzler Merz will Konsequenzen nicht mehr ausschließen. Aus der SPD werden abermals Stimmen laut, Waffenexporte zu stoppen.

Israel geht mit unverminderter Härte gegen die Hamas im Gazastreifen vor. Hundertausende Menschen hungern. Die Bundesregierung will ihren bisherigen Kurs gegenüber Israel unter diesen Vorzeichen offenbar überdenken. Laut Bundeskanzler Friedrich Merz sollen Gespräche über mögliche Konsequenzen geführt werden.

Er sehe "sehr, sehr kritisch, was da in den letzten Tagen geschehen ist", sagte Merz am Rande eines Treffens des Nordischen Rats in Finnland. "Wir sind bestürzt über das Schicksal und das furchtbare Leiden der Zivilbevölkerung“. Merz kündigte an, Gespräche darüber mit der israelischen Regierung zu "intensivieren und auch versuchen zu helfen".

Wadephul sieht keine "Zwangssolidarität"

Konkrete Konsequenzen von deutscher Seite ließ er jedoch offen. "Wie weit unsere Hilfe reicht, ist Gegenstand auch interner Beratungen der Bundesregierung", die noch nicht abgeschlossen seien, sagte er. Auch würden Entscheidungen, wenn sie dann getroffen werden, "nicht öffentlich sein". 

Außenminister Johann Wadephul sagte auf dem WDR-Europaforum, dass über Waffenlieferungen an Israel aktuell nicht entschieden werde. Wenn es darüber wieder vertrauliche Gespräche geben sollte, spiele das Völkerrecht eine entscheidende Rolle: "Wo wir Gefahren sehen, dass es verletzt wird, werden wir dagegen einschreiten und schon gar nicht Waffen liefern."

Zugleich machte er deutlich, dass es keine "Zwangssolidarität" mit Israels Regierung geben werde. Es sei wichtig, zwischen dem israelischen Volk und der Regierung zu unterscheiden. Beim Kampf gegen den Terror müsse es "auch eine Verhältnismäßigkeit geben". Diese sei "überschritten in der Dauer, in der Härte, in der Konsequenz, wie die israelische Armee dort vorgeht".

Mützenich will Aussprache mit Parlament

In den vergangenen Tagen war in Deutschland schon mehrfach über einen Stopp von Waffenlieferungen an Israel diskutiert worden. Besonders innerhalb der SPD wurden solche Forderungen laut. In diesen Chor stimmte nun auch der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich ein.

"Ich glaube, es wäre eine richtige Entscheidung, grundsätzlich von Waffenlieferungen jetzt abzusehen", sagte Mützenich im Deutschlandfunk angesichts des harten Vorgehens der israelischen Armee im Gazastreifen. Die Bundesregierung müsse dies mit dem Parlament eingehend besprechen. Am Ende entscheide der Bundessicherheitsrat. 

Prosor: Nehmen die Kritik ernst

Bundeskanzler Merz war bereits am Montag deutlich auf Distanz zum Agieren Israels gegangen. Beim WDR-Europaforum in Berlin sagte er: "Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht, ich verstehe - offen gestanden - nicht mehr, mit welchem Ziel. Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen."

Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, versicherte, seine Regierung werde sich mit den kritischen Worten auseinandersetzen. "Wenn Friedrich Merz diese Kritik gegenüber Israel erhebt, dann hören wir sehr gut zu, weil er ein Freund ist“, sagte er im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF.

Prosor betonte zugleich, dass Israel weiter das Ziel verfolge, die "Hamas als Terrororganisation zu beseitigen". Man habe es mit jemandem zu tun, der das israelische Volk auslöschen wolle. Der Diplomat sprach von einem Teufelskreis, in dem Israel versuche, in den Gazastreifen verschleppte Geiseln zu retten, humanitäre Hilfe zu leisten und gleichzeitig Terroristen zu bekämpfen. "Leicht ist das nicht."

Tödlicher Angriff auf Schule

Israel hatte seit Anfang März sämtliche Hilfslieferungen nach Gaza blockiert und kurz darauf auch die Waffenruhe mit der islamistischen Hamas beendet. Damit sollte der Druck auf die Terrororganisation erhöht werden, die im Gazastreifen weiter festgehaltenen Geiseln freizulassen.

Seit dem 17. Mai verstärkte Israel seine Offensive. Laut Vereinten Nationen sind inzwischen 81 Prozent des Gebiets unter der militärischen Kontrolle Israels. Premier Benjamin Netanjahu hat einen Plan vorgestellt, im Süden des Gazastreifens für Hunderttausende Palästinenser eine "sterile Zone" einrichten, in der es keine militanten Islamisten geben soll. Beobachter haben den Verdacht, dass die Menschen in den Süden vertrieben werden sollen.

Weiterhin gibt es im Küstengebiet tägliche Luftangriffe auf dortige Hamas-Ziele. Bodentruppen rücken weiter vor. Dabei wurde am Montag offenbar auch ein Schulgebäude zerstört, das als Zufluchtsort für vertriebene palästinensische Familien diente. Dabei starben auch Kinder. Israel sprach von einem Angriff auf eine Kommandozentrale der islamistischen Hamas.

Von der Leyen nennt Angriff abscheulich

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Ausweitung der israelischen Militäreinsätze, bei denen zivile Infrastrukturen ins Visier genommen würden, als abscheulich. Sie hatte sich bisher mit allzu deutlicher Kritik an Israel zurückgehalten. "Diese Eskalation und der unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten können nach internationalen und Menschenrechten nicht gerechtfertigt werden", erklärte sie nun.

Konkret forderte von der Leyen die israelische Regierung dazu auf, die derzeitige Eskalation sofort zu stoppen. Zudem verlangte sie, dass Israel unverzüglich die Lieferung humanitärer Hilfe im Einklang mit den humanitären Prinzipien unter Mitwirkung der Vereinten Nationen ermöglichen müsse.

Im Gazastreifen leben etwa zwei Millionen Menschen. Sie sind nach Einschätzung von UN-Experten von einer Hungersnot bedroht. Zwar ließ Israel seit vergangener Woche wieder Lastwagen mit Hilfsgütern in das Gebiet, doch laut den Vereinten Nationen ist dies nicht ausreichend. Am Wochenende bezeichnete UN-Chef Antonio Guterres die Lieferungen als einen "Teelöffel" der nötigen Hilfe.

Deutschland pocht auf Ausweitung der Hilfe

Bundeskanzler Merz sagte zur Ernährungssicherheit im Gazastreifen, hier werde derzeit durch Israel "die Zivilbevölkerung im Übermaß in Mitleidenschaft gezogen". Auch Außenminister Wadephul sagte, es sei völlig inakzeptabel, dass die Menschen im Gazastreifen nicht mit Grundnahrungsmitteln und Medikamenten versorgt würden.

Deutschland stehe zum Staat Israel und habe für diesen auch eine besondere Verantwortung, sagte Wadephul. "Aber wir stehen auch zu den Menschen im Gazastreifen." Zugleich mahnt er, es müsse jetzt auch über die Zeit nach einer Waffenruhe gesprochen werden.

Mit Informationen von Jan-Christoph Kitzler, ARD-Studio Tel Aviv