Eine Wählerin wirft einen Stimmzettel in eine Drop Box.
Kontext

Midterms in den USA Wie die Wahl beeinflusst werden sollte

Stand: 07.12.2022 14:35 Uhr

Vor den Midterms in den USA haben extreme Kreise der Republikaner dazu aufgerufen, das Wahlsystem zu unterwandern - um so Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Experten sehen das als Testlauf für die Präsidentenwahl.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Bei den Midterms in den USA haben die Republikaner nicht die erhofften Erfolge erzielen können. Zwar konnten sie die knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus holen, im Senat ist es ihnen jedoch misslungen. Viele der von Ex-Präsident Donald Trump unterstützten Kandidaten blieben unter den Erwartungen - und somit auch Unterstützer seiner Verschwörungstheorien rund um die US-Wahl 2020.

"Die einen sagen, es war ein guter Tag für die Demokratie. Und es war auch ein guter Tag für die Demokratie", sagt Huberta von Voss, Executive Director des Institute for Strategic Dialogue (ISD) Germany. "Die sehr extremen Kandidaten haben vielfach verloren - aber eben nicht alle. Das muss man auch immer festhalten." Die USA seien daher noch lange nicht über dem Berg.

Desinformation von inländischen Akteuren

Denn auch bei den Midterms gab es wieder verschiedene Akteure, die versucht haben, Einfluss auf die Wahlen zu nehmen - im Ausland wie im Inland, sagt Katja Muñoz, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Natürlich agieren ausländische Akteure immer noch im Hintergrund. Aber ein großer Teil der Desinformation kommt aus den USA selbst. Dabei geht es meist darum, das Vertrauen in die Institutionen zu schwächen und im Endeffekt die Demokratie zu destabilisieren."

Das ISD hat die inländischen Akteure der Desinformation dieses Jahr genauer untersucht, sagt von Voss. "Wir haben uns besonders die bestehenden extremistischen Kreise in den USA angeguckt - also die verschwörungsideologischen Kreise und die ganzen Organisationen, die entstanden sind, um gegen nicht genehme Wahlergebnisse zu agitieren." Diese Kreise gelten vor allem als Unterstützer von Ex-Präsident Trump und seinen Kandidaten, die dem extremen Rand der Republikaner zuzuordnen sind.

Die Akteure seien sehr strategisch vorgegangen, vor allem in den Sozialen Netzwerken. "Sie haben eine sehr gute Infrastruktur dafür aufgebaut", sagt von Voss. "Und diese Infrastruktur hat schon sehr gut gegriffen. Besonders in den Swing States, den umkämpften Bundesstaaten. Aber sie hat ganz sicherlich nicht zu den Erfolgen geführt, die die entsprechenden Kreise sich erwartet hätten."

Einschüchterung an "Drop Boxes"

Einer der Taktiken ist es nach Analysen des ISD gewesen, die Menschen bei der Abgabe ihrer Wahlunterlagen zu beobachten. Denn in den USA gibt es in einigen Bundesstaaten die Möglichkeit, die Wahlunterlagen in sogenannte Ballot Drop Boxes zu werfen - eine Art Briefkästen, die an einem öffentlichen Ort aufgestellt werden. In den meisten Bundesstaaten dürfen dabei auch die Wahlunterlagen für andere Menschen eingeworfen werden, die beispielsweise nicht mehr mobil sind.

"Um diese Bilder, dass jemand gleich mehrere Umschläge in eine Drop Box einwirft, wurde unheimlich viel Wahldesinformation herum aufgebaut", sagt von Voss. "Der Tenor lautete dann: Hier sieht man mal wieder, wie so und so viele Stimmen illegal abgegeben wurden. Es ist aber nicht illegal, das muss man immer wieder sagen." Dennoch habe es sehr viele Aufrufe gegeben, um die Drop Boxes herum Bürgerwehren aufzubauen - richtig im Schichtbetrieb.

"Das muss man sich vorstellen, wenn man jetzt zu einer Minderheit gehört in den USA, gegen die es auch viel Alltagsgewalt gibt", sagt von Voss. "Wie sich das anfühlt, wenn man auf eine Drop Box zufährt mit seinem Auto und dann sind da mehrere Menschen, die da sitzen, einen anstarren, fotografieren und filmen, obwohl man dort eigentlich nur seine Wahlstimme abgeben will. Das ist ganz klar eine Einschüchterungstaktik."

Neue Narrative in den Verschwörungserzählungen habe es bei den Midterms im Vergleich zu der Präsidentenwahl 2020 nicht gegeben, sagt Muñoz von der DGAP: "Es hat sich angeboten, das Ganze einfach nur neu aufzulegen. Die Narrative existierten ja schon. Als Weiterdreh der angeblich gestohlenen Wahl 2020 sind daher auch diese Milizen aufgetaucht, die unter anderem die Drop Boxes bewacht haben."

"Risiko für Integrität der Wahlen"

Zudem habe es Aufrufe gegeben, sich als Wahlhelfer rekrutieren zu lassen, sagt von Voss vom ISD Germany. "Wenn man sich überlegt, dass diejenigen, die Stimmen auszählen, selber Verschwörungsideologen sind, dann ist das ein Risiko für die Integrität der Wahlen." Die Anhänger der verschwörungsideologischen Kreise seien zudem aufgerufen worden, zu versuchen, sich als Wahlbeobachter oder auch als Wahlherausforderer ernennen zu lassen.

"Es gab auch die Strategie, die Wahlleiter mit falschen Vorwürfen anzufechten", sagt von Voss. Denn diese müssen gewisse Kriterien erfüllen, dürfen zum Beispiel keine Vorstrafen haben. "Und dann kommen zehn Briefe rein, in denen beispielsweise steht, der Wahlleiter ist ein Pädophiler. Und dann muss eine ganze Kaskade an Prüfungen losgehen. Das stört den Wahlprozess extrem, da man diese Vorwürfe ja nicht einfach zur Seite schieben kann."

Die Beispiele würden zeigen, dass das Ziel der Desinformation somit nicht nur die politischen Gegner betreffe, sondern auch den Wahlvorgang an sich. "Daran sieht man die Demokratiefeindlichkeit dieser Gruppen", sagt von Voss. "Wahlen sind eine wichtige Institution, ein Merkmal einer Demokratie und das wird ganz gezielt unterminiert, hochgradig koordiniert mit einer Spannbreite ineinandergreifender Taktiken." Es gebe in den USA jedoch eine ganze Menge von Sicherheitsmechanismen, die verhindert hätten, dass diese versuchte Unterwanderung des Wahlsystems großflächigen Erfolg hatte.

Angst um die Demokratie

Einen möglichen Grund, warum die Verschwörungserzählungen bei den Midterms offenbar keine Wahl-entscheidende Rolle gespielt haben, sieht von Voss auch darin, dass das Thema Desinformation durch die Ereignisse in den vergangenen Jahren in den USA stärker im Fokus der Öffentlichkeit ist. "Umfragen haben gezeigt, dass viele Menschen in den USA Desinformation als große Gefahr für die Demokratie ansehen. Und das könnte auch konservativere Wähler abgeschreckt haben, ihre Stimme für Verschwörungsideologen abzugeben. Aufklärungsbemühungen beginnen zu greifen, aber die Gefahren für die Demokratie bleiben vielschichtig."

Muñoz von der DGAP sieht vor allem den Generationswechsel als Grund für den Erfolg der Demokratischen Partei. Jüngere - dazu zählen alle bis 44 Jahre - seien in den USA deutlich progressiver. "Die jüngeren Menschen haben insgesamt ein großes Interesse am Abtreibungsrecht, an Demokratie und sind wesentlich liberaler als ältere Leute. Und darum haben sie sich dann auch dazu entschieden, demokratisch zu wählen. Und das ist der einzige Grund, warum es nicht zu einem roten Tsunami gekommen ist, wie es alle vorhergesagt haben."

Eine wichtige Rolle könnte nach Ansicht von Muñoz auch gespielt haben, dass Trumps Account bei Twitter gesperrt war. "Das große Narrativ der gestohlenen Wahl wurde stark von Influencern der verschwörungsideologischen Szene initiiert und aufgebaut. Trump mit seiner enormen Reichweite konnte diese Geschichten dann streuen." Mit seiner eigenen Plattform "Truth Social", die er nach seiner Kontosperrung bei Twitter ins Leben rief, erreicht er hingegen nur einen Bruchteil.

"Bedrohungslage bleibt"

Die Ergebnisse der Midterms sieht Jiore Craig, Leiterin der Abteilung für Wahlen und digitale Integrität beim ISD, jedoch keineswegs als Grund für Entwarnung an. "Die Wahlverschwörungen, von denen wir heute hören, wurden in der Vergangenheit und werden auch heute noch durch Verschwörungen ermöglicht, die in Hass, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit wurzeln", sagt Craig.

"Die Bedrohungslage für Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen, die im Zentrum dieser weitreichenden Verschwörungen stehen, bleibt unabhängig vom Wahlausgang fieberhaft - insbesondere solange die politischen Akteure ihre Hauptbotschaft an die Wähler weiterhin auf Desinformationsnarrativen aufbauen, die auf Hass basieren." Das Ergebnis dieser Realität hätten der Anschlag kurz vor den Midterms auf den Mann von US-Politiker Nancy Pelosi, Paul Pelosi, und die Massenschießerei in einem LGBTIQ-Club im US-Bundesstaat Colorado nur wenige Tage nach der Wahl gezeigt.

Von Voss geht davon aus, dass sich die Verbreiter von Desinformation durch den Misserfolg noch stärker ins Zeug legen werden - vor allem mit Blick auf die Präsidentenwahl 2024: "Man hat fast das Gefühl, dass sie sich für die Midterms überlegt haben: Wir probieren jetzt einfach mal alles aus und gucken, wie gut das funktioniert. Das wirkte fast wie ein Testlauf für das, was noch kommt."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 07. Dezember 2022 um 12:00 Uhr.