Jessy Wellmer und Kristin Joachim in den tagesthemen während eines Schaltgesprächs
faktenfinder

Desinformation Manipuliertes tagesthemen-Video geht viral

Stand: 01.03.2024 11:58 Uhr

In den sozialen Netzwerken wird ein manipuliertes tagesthemen-Interview verbreitet, um Stimmung gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland zu machen. Dabei geht es in dem Beitrag in Wahrheit um Polen.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

In den sozialen Netzwerken macht seit einigen Wochen ein Video die Runde, das einen vermeintlichen tagesthemen-Beitrag zeigt. Zu sehen ist ein Interview, in dem die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland als parteilich und staatsnah dargestellt werden. So seien dort Lügen, Hass und Hetze gegenüber Minderheiten und der Opposition verbreitet worden, wie die interviewte Person sagt.

"Wer glaubt das? GEZ-Sender wollen anfangen, unabhängig zu berichten. Wenigstens geben sie es mal zu das sie nicht unabhängig sind" - mit diesen Worten wird das Video unter anderem auf TikTok verbreitet. Doch das ist aus mehreren Gründen falsch. Denn zum einen wurde das Interview manipuliert, zum anderen handelt es gar nicht von Deutschland. Auch Correctiv berichtete bereits darüber.

Im Original-Video geht es um Polen

Das tagesthemen-Gespräch zeigt Moderatorin Jessy Wellmer und die ARD-Korrespondentin in Warschau, Kristin Joachim. Das Original-Video wurde bereits am 11. Dezember des vergangenen Jahres veröffentlicht. Dabei geht es um den Machtwechsel in Polen nach den dortigen Wahlen Mitte Oktober. Dort hatte eine Koalition um den neuen Regierungschef Donald Tusk die bisher amtierende rechtsnationalistische PiS-Partei von der Macht abgelöst. Nach einem Beitrag zu dem Thema befragt Wellmer die Korrespondentin zur aktuellen Lage in Polen.

Auf die Frage, wie die neue Regierung in Polen die politische Spaltung im Land überwinden möchte, antwortet Joachim wörtlich: "Das wird nicht einfach werden. Aber ein Mittel könnte sein, und dazu will Donald Tusk auch sehr schnell greifen, die öffentlich-rechtlichen Medien zu reformieren, neu aufzustellen, also wieder unabhängig zu machen, wieder ausgewogen berichten zu lassen. Denn die PiS hatte ja vor allem den Fernsehsender TVP in den letzten acht Jahren ihrer Regierungszeit zu einem Propaganda-Organ der Regierung ausgebaut."

Weiter sagt Joachim: "Da wurden jeden Abend Lügen, da wurden Unwahrheiten, da wurde Hass und Hetze gegenüber Minderheiten, gegenüber der Opposition verbreitet. Und all das hat dazu geführt, ist ein wichtiger Teil gewesen, warum die Gesellschaft hier im Land so gespalten ist."

"Er wird ein Partner auf Augenhöhe sein", Kristin Joachim, ARD Warschau, zum zukünftigen polnischen Regierungschef Tusk

tagesthemen, 11.12.2023 22:15 Uhr

Kürzungen manipulieren Aussage

In dem in den sozialen Netzwerken verbreiteten Video wurden jedoch die Passagen, die den Kontext zu Polen nahelegen, herausgeschnitten. Dort lautet der Text dann nur noch: "Das wird nicht einfach werden. Aber ein Mittel könnte sein, die öffentlich-rechtlichen Medien zu reformieren, neu aufzustellen, also wieder unabhängig zu machen, wieder ausgewogen berichten zu lassen. Da wurden jeden Abend Lügen, da wurden Unwahrheiten, da wurde Hass und Hetze gegenüber Minderheiten, gegenüber der Opposition verbreitet. Und all das hat dazu geführt, ist ein wichtiger Teil gewesen, warum die Gesellschaft hier im Land so gespalten ist."

Am Ende des Videos folgt eine Collage von Ausschnitten aus Meinungsbeiträgen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Thema Corona-Impfungen. Dadurch wird ein vermeintlicher Zusammenhang zwischen Joachims Aussage zu Hass und Hetze gegenüber Minderheiten und den Ungeimpften als Betroffene hergestellt.

"Das Interview ist offenbar sinnentstellt zusammengeschnitten", sagt Marcus Bornheim, Chefredakteur von ARD-aktuell. "Die Kollegin Joachim ist unsere Korrespondentin in Warschau und redet über die polnische Innenpolitik und die Rolle des Rundfunks in Polen." All diese Bezüge seien entfernt worden, um den Kern des Interviews zu verschleiern. "In dieser Form hat das Interview nie stattgefunden. Mit der Situation in Deutschland hatte das Interview nichts zu tun", so Bornheim.

Seiner Meinung nach soll mit dem Video das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschädigt werden. "Das dahinter liegende Ziel ist natürlich die Spaltung der Gesellschaft, da es ja nicht mehr um Fakten geht, sondern lediglich Emotionen bedient werden sollen", sagt Bornheim.

Viele weitere manipulierte Videos im Umlauf

Dass Beiträge von öffentlich-rechtlichen Medien manipuliert oder aus dem Zusammenhang gerissen werden, ist in der Vergangenheit bereits öfter vorgekommen. So wurde beispielsweise im Oktober vergangenen Jahres ein Video verbreitet, das die Neutralität der ARD-Berichterstattung zum Krieg in Nahost infrage stellen sollte. Darin wurden Aussagen der freigelassenen israelischen Geisel Yocheved Lifschitz zu zwei verschiedenen Sachverhalten aneinandergeschnitten, um den Eindruck zu erwecken, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einseitig pro Israel berichten würden.

Auch ein tagesthemen-Kommentar des Leiters und Moderators des Politmagazins Monitor, Georg Restle, wird seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine immer wieder verkürzt verbreitet. So wird lediglich der Teil seines Meinungsbeitrags hochgeladen, in dem Restle das ukrainische Militär beschuldigt, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Vor allem pro-russische Akteure nutzen diesen Ausschnitt, um die Ukraine zu diskreditieren.

Im Originalbeitrag, der bereits im Juli 2014 erschienen ist, geht Restle jedoch zunächst auf die damalige Situation im Osten der Ukraine ein. Zudem spricht er auch davon, dass westliche Politiker den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Recht aufforderten, die Unterstützung für die pro-russischen Terrormilizen zu beenden. Dies alles wird in dem verkürzten Video in den sozialen Netzwerken unterschlagen.

KI-generierte Fakes nehmen zu

Immer wieder verbreiten sich auch gefälschte, KI-generierte Audio- oder Videodateien, die vermeintlich von seriösen Nachrichtensendern stammen. So wurden mit KI erstellte Audiodateien von tagesschau-Sprecherinnen und -Sprechern etwa auf Demonstrationen in Dresden abgespielt, die den Eindruck erweckten, die tagesschau entschuldige sich für angebliche Lügen in der Berichterstattung. Mittlerweile ermitteln diesbezüglich der Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft Dresden. Es bestehe laut Justiz der Anfangsverdacht der Verleumdung und Beleidigung, in einem Fall gehe es auch um Volksverhetzung.

Die Glaubwürdigkeit von Nachrichtensprecherinnen und -sprechern wird auch für gefakte Anlage-Empfehlungen, sogenannte Scams, missbraucht. Es machten etwa KI-generierte Videos von tagesschau24-Sprecher André Schünke oder "ZDF heute-journal"-Sprecher Christian Sievers die Runde, in denen sie vermeintlich Werbung für dubiose Finanzanlagen machten. Nachrichtensprecherinnen und -sprechern werden dabei gerne genommen, da von ihnen viel Material vorhanden ist, wodurch KI-generierte Fakes produziert werden können.

Durch den Einsatz von KI hat nach Angaben von Bornheim die Verbreitung manipulierter Videos mit Bezug auf die tagesschau und tagesthemen zugenommen. "Inzwischen erreichen uns fast täglich Hinweise zu manipulierten Videos oder Audios mit tagesschau-Inhalten", sagt Bornheim. "Wir sind im Zeitalter von KI auf einer völlig neuen Stufe angelangt."

ARD-aktuell gehe dagegen jedoch vehement vor, so Bornheim. "Wir geben alle diese Hinweise an unsere Juristen, die dann prüfen, welche rechtlichen Schritte zu gehen sind. Das ist nicht immer einfach und dauert manchmal, aber wir lassen da nicht locker."

Plausibilität hinterfragen

Da es in Zukunft generell immer einfacher werden wird, mithilfe von Künstlicher Intelligenz Fakes zu produzieren, ist davon auszugehen, dass diese weiter zunehmen werden. In vielen Fällen ist es nicht so einfach, echte von falschen Audio- oder Videodateien zu unterscheiden, weshalb es vor allem wichtig ist, die Plausibilität der Inhalte zu überprüfen. Auch kann auf der jeweiligen Nachrichtenseite überprüft werden, ob beispielsweise ein Video tatsächlich veröffentlicht worden ist und ob die Inhalte übereinstimmen.

Wer sich unsicher ist, ob das Material seriös und authentisch ist, kann immer überprüfen, ob es dazu Faktenchecks gibt. Google bietet dafür eine spezielle Suche nach Stichworten und Sprachen an.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 21. November 2023 um 12:00 Uhr.