Syrer beerdigen Opfer der Giftgasattacke in Chan Scheichun

Giftgaseinsatz in Chan Scheichun BND-Analyse soll syrisches Regime belasten

Stand: 18.05.2017 15:12 Uhr

Der Bundesnachrichtendienst geht davon aus, dass das syrische Regime hinter dem Giftgaseinsatz in Chan Scheichun steckt. Nach ARD-Informationen untersuchte der BND Bodenproben vom Ort der Attacke. Doch Experten sehen darin noch keinen Beweis.

Von Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Der Angriff mit Giftgas in Chan Scheichun geht nach Informationen des Bundesnachrichtendienstes auf das Konto des syrischen Regimes. Nach ARD-Informationen untersuchte der BND Bodenproben aus der Stadt, in der bei der Attacke Anfang April mehr als 80 Menschen getötet worden waren.

Wie der ARD-Terrorismus-Experte Michael Götschenberg erfuhr, habe der BND sich mit nachrichtendienstlichen Mitteln die Bodenproben besorgt und diese auf die enthaltenen chemischen Substanzen untersucht. Aufgrund von Vergleichswerten und in Verbindung mit weiteren Faktoren sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass das syrische Regime für den Giftgasangriff verantwortlich sein müsse.

Die "Welt am Sonntag" hatte zudem berichtet, der BND habe erfahren, dass der Angriff von dem syrischen Stützpunkt aus erfolgt sei, den die USA danach mit Marschflugkörpern angegriffen hat. Ob Präsident Baschar al-Assad selbst den Angriff angeordnete habe, sei allerdings unklar.

Van Aken: "Kein Beweis"

Dass das eingesetzte Giftgas aus den Beständen des syrischen Regimes stammte, davon geht auch Jan van Aken aus, Politiker der Linkspartei und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Dennoch beweise dies nicht, wer das Sarin eingesetzt habe. Im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder sagte der ehemalige Biowaffeninspektor bei den Vereinten Nationen, er halte es als Fakt gegeben, dass am Morgen des 4. April 2017 in Chan Scheichun Sarin eingesetzt worden sei. "Dies wurde durch OPCW-Analysen an Opfern in der Türkei zweifelsfrei nachgewiesen." Höchstwahrscheinlich habe dieser Angriff nahe der zentralen Bäckerei im nördlichen Chan Scheichun stattgefunden, so van Aken. Diese Information beruhe zwar "ausschließlich auf Augenzeugenberichten von vor Ort, aber es gibt wohl kaum einen Grund, warum eine ganze Stadt den Ort des Geschehens bewusst verschleiern sollte".

Zudem habe es am Morgen des 4. April einen Überflug durch ein syrisches Kampfflugzeug gegeben, das mehrere Bomben abgeworfen habe. "Dafür sind bislang zwar noch keine eindeutigen Beweise vorgelegt worden, aber zum einen wird die US-Regierung nicht einen Plot der Flugroute veröffentlichen, wenn sie im Hintergrund (als Beleg für befreundete Geheimdienste) nicht wasserdichte Daten dafür hätten. Zum anderen sind die Fotos der vier Explosionen recht eindeutig", so van Aken.

"Türkei-These extrem unwahrscheinlich"

Offen sei für van Aken hingegen die Herkunft des Sarins: "Die wahrscheinlichste Variante ist, dass es aus den Beständen des Regimes stammt." Von der Terrorgruppe "Islamischer Staat" sei bekannt, dass sie in der Lage sei, kleine Mengen Senfgas selbst herzustellen. Bislang sei ihm aber keine Quelle bekannt, die nahelegen würde, dass eine Rebellentruppe in Syrien auch Sarin selbst herstellen könne, sagte van Aken. Er halte dies für unwahrscheinlich.

Auch eine Lieferung aus einem anderen Land - beispielsweise die Türkei-These - halte er für "extrem unwahrscheinlich, da kaum vorstellbar ist, dass ein Land Chemiewaffen an Terrorgruppen weitergibt, selbst wenn es diese mit konventionellen Waffen versorgt - was für die Türkei belegt ist". Am Ende sei diese Frage aber gegenstandslos, denn die Herkunft des Sarins sage nichts darüber aus, wer es eingesetzt habe. So habe van Aken selbst einmal eine Milan-Rakete in Syrien gefunden, die vom IS eingesetzt wurde und nachweislich aus den Beständen von Assad stammte.

Zentraler Augenzeugenbericht

Die Kernfrage sei, ob die eingesetzte Waffe aus einem Flugzeug abgeworfen oder am Boden gezündet worden sei. "Für die Theorie, dass die Waffe aus dem Flugzeug abgeworfen wurde, haben auch die USA bislang keinen Hinweis vorgelegt", betont van Aken. In einem Bericht von Human Rights Watch gebe es genau einen Hinweis darauf: den Augenzeugenbericht von einem Mann namens Al Helou, der berichtet habe, dass er in der Nähe der Bäckerei eine Bombe habe fallen sehen, ohne dass diese laut explodiert sei. Er habe zudem einen "gelben Rauch" beschrieben.

Van Aken erklärte weiter, im Kontext mit Augenzeugenberichten stehe man vor einem Dilemma:

Zum einen ist bekannt, dass etwa 90 Prozent von Augenzeugenberichten in Kriegssituationen nicht korrekt sind. Zum anderen sind zehn Prozent aber korrekt. Und gerade wenn es um den Einsatz von Chemiewaffen geht, müssen wir jeden Augenzeugen ernst nehmen. Deshalb wäre es falsch, diesen einen Augenzeugenbericht als falsche Erinnerung oder Vermischung mehrerer Erinnerungen einfach abzutun. Aber lässt sich andererseits darauf eine Schuldfrage gründen? Ich habe da meine Zweifel.

Entscheidend sei daher, dass die UN-Inspekteure nach Chan Scheichun reisen dürfen, betont van Aken. Auf deren abschließendes Urteil sei er gespannt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandradio am 20. April 2017 um 12:29 Uhr.