Foto von Elon Musk auf einem Smartphone, das auf Papier-Logos des Kurznachrichtendienstes Twitter liegt
Kontext

Twitter Files Wie Elon Musk Verschwörungsmythen fördert

Stand: 05.01.2023 15:42 Uhr

Mit großem Getöse hat Musk die sogenannten Twitter Files angekündigt - angebliche Enthüllungen darüber, wie auf Twitter unliebsame Meinungen zensiert worden seien. Laut Experten sind die Erkenntnisse nicht neu - verraten aber viel über Musk selbst.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Die Öffentlichkeit hat verdient zu erfahren, was wirklich passiert ist", schrieb der Twitter-Inhaber und Multimilliardär Elon Musk Ende November auf der Plattform, die er im Oktober für 44 Milliarden US-Dollar übernahm. Musk spielte damit auf die Veröffentlichungen der sogenannten Twitter Files an - eine Reihe interner Dokumente des Sozialen Netzwerks, die Musk ausgewählten Journalisten zur Verfügung gestellt hat.

Doch der große Skandal blieb bislang aus. Vor allem außerhalb der USA sorgten die Twitter Files für wenig Aufmerksamkeit - mit Ausnahme von verschwörungsideologischen Kreisen. Dort wird Musk als vermeintlicher Aufklärer gefeiert, der "die Korruption von Twitter" aufgedeckt habe, um das "große Erwachen" möglich zu machen. Aber worum geht es in den Twitter Files überhaupt?

"Das meiste ist schon lange bekannt"

Die Twitter Files bestehen aus bislang zwölf nacheinander veröffentlichten Berichten (sogenannten Threads), die auf Twitter von den von Musk auserwählten Journalisten veröffentlicht wurden. Inhaltlich behandeln sie jeweils eigene Themenaspekte, wovon sich einige jedoch überschneiden. Gemein haben sie jedoch alle, dass sie aufzeigen sollen, wie bei Twitter vermeintlich unliebsame Meinungen und Nutzer mindestens in ihrer Reichweite eingeschränkt wurden und wie Twitter dabei auch mit Geheimdienstorganisationen und staatlichen Akteuren zusammengearbeitet hat.

Dieses Narrativ, das in den USA von verschwörungsideologischen und rechten Kreisen bereits seit Jahren verbreitet wird, bediene Musk mit den Twitter Files ganz bewusst, sagt Katja Muñoz, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Inhaltlich bringen sie kaum neue Erkenntnisse. Das Meiste ist schon lange bekannt."

Der Laptop von Hunter Biden

So wird in den Twitter Files unter anderem die Geschichte mit dem Laptop von Hunter Biden, dem Sohn von US-Präsident Joe Biden, wieder aufgewärmt. Die "New York Post" hatte während des Präsidentenwahlkampfs 2020 einen Artikel über brisante Dokumente eines Laptops berichtet, der von Hunter Biden in einem Computerladen abgegeben und nie wieder abgeholt worden sei. Aus E-Mails ginge hervor, dass Hunter Biden Geschäftsbeziehungen in der Ukraine und China unterhielt, die vom politischen Einfluss seiner Familie profitierten. Über die Echtheit des Laptops und der Dokumente gab es lange Zeit heiße Debatten, mittlerweile gilt sie jedoch als gesichert.

Auf Twitter wurden seinerzeit jedoch Links zu dem Artikel der "New York Post" unterbunden, der Account der Zeitung wurde vorübergehend gesperrt. Begründet hatte das Unternehmen das Vorgehen mit den eigenen AGBs: Die Verbreitung von Informationen, die durch Hacking beschafft wurden und private Dateien enthalten, ist verboten. Für Twitter hagelte es daraufhin Kritik. Der damalige Twitter-Chef Jack Dorsey entschuldigte sich später, wies eine politische Parteinahme aber zurück. Die Sperrung des Accounts wurde aufgehoben, der Link konnte wieder verbreitet werden.

Musk schrieb dennoch im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Twitter Files dazu, Twitter habe auf Anordnung der Regierung gehandelt. Dafür gibt es jedoch selbst nach Aussagen des Journalisten Matt Taibbi, der diesen Part der Twitter Files bearbeitet hat, keine Beweise. Zudem war Joe Biden zu dem besagten Zeitpunkt noch gar nicht US-Präsident.

Meinungsfreiheit versus Desinformationsbekämpfung

"Wirklich interessant an den Twitter Files ist eigentlich vor allem, einen Einblick in die internen Debatten des Unternehmens bei den wirklich schwierigen Momenten zu erhalten", sagt Muñoz. Aus den Files ginge hervor, wie schwer sich das Unternehmen getan habe, Entscheidungen wie die damalige Sperre des Kontos von Ex-Präsident Donald Trump nach dem Sturm auf das Kapitol zu fällen. "Dass intern zum Teil sehr hitzig diskutiert wurde, zeigt auch, dass Musks Vorwürfe einer politischen Zensur durch Twitter ins Leere laufen."

Auch Mareile Ihde, Leiterin Digitale Kommunikation beim politischen Beratungsnetzwerk polisphere, hält den Erkenntnisgewinn der Twitter Files für überschaubar. "In einer Zeit, in der so viel Desinformation verbreitet wird in den Sozialen Netzwerken, ist es logisch, dass dort eine entsprechende Moderation stattfindet." Dass große Soziale Netzwerke wie Twitter auch mit Geheimdiensten in Kontakt stünden, sei wenig verwunderlich. Auch dass sich die Administrationen von Trump und Biden an das Unternehmen wendeten, um beispielsweise Desinformation zur Corona-Pandemie zu bekämpfen, sei nachvollziehbar.

Die Twitter Files würden vielmehr zeigen, wie schwer es für die Sozialen Netzwerke sei, den Spagat zwischen Meinungsfreiheit auf der einen und der Bekämpfung von Desinformation auf der anderen Seite hinzubekommen.

Vorwürfe des Shadow-Banning

Das gelte auch für die Vorwürfe des sogenannten Shadow-Banning (engl. für Schattensperre), sagt Miro Dittrich, Senior Researcher bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie). "Unter Shadow-Banning wird verstanden, dass bestimmte Nutzer oder Tweets in ihrer Sichtbarkeit und somit ihrer Reichweite eingeschränkt werden, ohne dass sie darüber informiert werden." Vor allem in konservativen Kreisen wird in diesem Zusammenhang oftmals der Vorwurf politischer Zensur laut.

Für politische Zensur gebe es in den Twitter Files jedoch keinerlei Anhaltspunkte, sagt Dittrich. "Die Accounts, die in ihrer Sichtbarkeit eingeschränkt wurden, hatten zuvor gegen die Richtlinien von Twitter verstoßen." Alle großen Plattformen würden Algorithmen nutzen, um Inhalte zu sortieren. Dabei verwendeten sie viele unterschiedliche Marker, um zu sehen, was zur Diskussion beiträgt und was nicht. "Die Marker sind aber nicht politische Überzeugungen. Es sei denn, man zählt Verschwörungserzählungen wie die gestohlenen Wahlen dazu."

Die Aufregung über das Thema erklärt sich Dittrich daher vor allem mit der Unkenntnis vieler Menschen über die Mechanismen Sozialer Netzwerke. Auch Musk ist sich dessen offenbar nicht bewusst. Denn er selbst hatte nach seiner Übernahme von Twitter geschrieben, die neue Twitterrichtlinie sei "freedom of speech, but not freedom of reach" ("Meinungsfreiheit, aber keine Reichweitenfreiheit").

"Das ist exakt das, was bei Twitter und anderen Sozialen Netzwerken umgesetzt wurde und wird", sagt Dittrich. "Es ist sozusagen die Weiterentwicklung aus der frühen Phase der Beitragsmoderation, wo es nur die Entscheidung gab: Beitrag oder Account löschen oder nicht löschen. Die Sozialen Netzwerke haben gesehen, dass sie mehr Möglichkeiten brauchen." Den Begriff Shadow-Banning wies Twitter bereits 2018 als unpassend zurück, da die betroffenen Inhalte nach wie vor auffindbar seien. Bei "echtem" Shadow-Banning könne laut Definition hingegen niemand außer dem Nutzer selbst seine Inhalte sehen.

"Das ist eine politische Kampagne"

Dittrich glaubt, dass Musk mit den Twitter Files eine eigene Agenda verfolgt: "Das ist eine ganz klare politische Kampagne." Denn anstatt wirklich auf Transparenz zu setzen, habe er zum einen nur Journalisten für die Twitter Files ausgesucht, die seine politischen Ansichten teilten. Zum anderen habe er auch nicht alle Dokumente freigegeben, sondern nur ausgewählte.

"Im Prinzip machen die Journalisten PR für Musk", sagt Dittrich. "Transparent wäre es, wenn Journalisten ganz frei in den Daten nach möglichen Geschichten suchen könnten." Auch der ehemalige CEO und Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey kritisierte Musk dafür und forderte ihn auf, alle internen Dokumente auf einmal und "ohne Filter" zu veröffentlichen.

Musk reaktivierte rechtsextreme Accounts

In einer E-Mail an die Twitter-Mitarbeiter drohte Musk damit, jeden Angestellten zu verklagen, der interne Inhalte an die Medien weitergibt, wie die Journalistin Zoë Schiffer berichtete - genau das, was er mit den Twitter Files gemacht hatte. Musk ließ zudem auf Twitter ihm unliebsame Accounts sperren, darunter mehrere Journalisten von etablierten Medien.

"Musks politische Positionierung ist ja eigentlich relativ deutlich - von der rechteren libertären bis hin zur rechtsextremen und verschwörungsideologischen Ecke", sagt Ihde von polisphere. "Die Veröffentlichungen passen in sein Weltbild, dass die Regierungen hinter verschlossenen Türen irgendwelche heimlichen Absprachen treffen. Er stützt damit die Narrative vieler Verschwörungserzählungen, die in den USA kursieren."

Musk reaktivierte unter anderem zahlreiche Accounts von Rechtsextremisten und Antisemiten wie die von Kanye West oder Andrew Tate. Einer Untersuchung der britischen NGO Center for Countering Digital Hate (CCDH) zufolge stieg die Zahl rassistischer, homophober und frauenfeindlicher Tweets unter seiner Ägide rasant an. Ihde hält diese Entwicklung für sehr gefährlich: "Das kann dazu führen, dass Menschen sich radikalisieren und der Hass dann letzten Endes auch in Taten mündet."