Das AfD-Logo am Eingang zum Fraktionssaal der AfD im Deutschen Bundestag.
Kontext

Bundestagsausschüsse AfD bietet Pseudo-Experten eine Bühne

Stand: 25.10.2022 15:14 Uhr

In den einzelnen Ausschüssen des Bundestags laden AfD-Politiker immer mal wieder höchst fragwürdige Experten ein. Videoausschnitte von den Anhörungen geben Verschwörungsideologen regelmäßig Futter.

Von Pascal Siggelkow, Redaktion ARD-faktenfinder

"Physiker entlarvt im Bundestag Klima-Schwindel: 'CO2 hat keinen Einfluss auf das Klima!'" und "Herzstillstand bei Klimaaktivisten - Sachverständige Dr. Hans Peter Vögele zerstört in der ersten Minute alle CO2-Hoffnungen". Auf einschlägigen Webseiten und den sozialen Netzwerken wird ein Video verbreitet, welches den Ausschnitt einer Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Bundestag von Mitte Oktober zeigt. Das Thema: "Klimabedingte Schäden und Verluste: Unterstützung der Menschen in den von der Klimakrise am stärksten betroffenen Regionen bei der Bewältigung".

Zu sehen ist Peter Vögele, der sich selbst als Naturwissenschaftler vorstellt und sich eigenen Angaben zufolge "seit 30 Jahren mit der Klimaproblematik" beschäftigt. In den folgenden Minuten sagt Vögele unter anderem, dass Kohlenstoffdioxid (CO2) keinen Einfluss auf das Klima habe. Dabei ist der Einfluss von CO2 auf das Klima unbestritten, wie unter anderem im IPCC Weltklimabericht von August 2021 festgehalten wird. Dort heißt es auch: Es ist eindeutig, "dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die Landflächen erwärmt hat".

Darauf verweist auch Mojib Latif, Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Von Vögele hingegen habe er noch nie eine wissenschaftliche Publikation zum Thema Klima gelesen.

Auch auf Nachfrage des ARD-faktenfinders nennt Vögele keine eigene Forschung in dem Bereich und verweist stattdessen unter anderem auf das "Europäische Institut für Klima und Energie", das vom Umweltbundesamt bereits 2013 im Bereich der Klimawandelskeptiker verortet wurde mit "Thesen, die dem wissenschaftlichen Konsens widersprechen". Wie kommt es, dass er dennoch als vermeintlicher Klima-Experte bei der Anhörung auftreten kann?

Parteien können Sachverständige benennen

Um zu erfahren, wie es Vögele in diese Runde als Sachverständiger geschafft hat, hilft ein Blick darauf, wie die Experten solcher Ausschussanhörungen ausgewählt werden. Auf der Seite des Bundestags heißt es dazu:

Wie viele Experten geladen und nach welchen Gesichtspunkten sie ausgewählt werden, liegt am Ausschuss. Die Mehrheit kann zwar verhindern, dass ausschließlich der Minderheit genehme Sachverständige zu Wort kommen, aber sie muss es hinnehmen, dass die Minderheit innerhalb der Gesamtzahl aller Experten so viele Fachleute nach eigenem Geschmack einlädt, wie es ihrem Anteil im Ausschuss entspricht.

Mit anderen Worten: "Die Abgeordneten der Bundestagsfraktionen haben das Recht, ihre Expertinnen und Experten in diese Sitzungen und in diese Ausschüsse dazu zu laden", sagt Kai-Uwe Schnapp, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg. Das Kontingent ist dabei abhängig vom Ausschuss, der Größe der Fraktion und der Art der Anhörung. "Wer als Experte gilt, entscheiden die Parteien selbst", sagt Schnapp.

Das bestätigt auch Christoph Hoffmann, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: "Eine Prüfung der Vorschläge der Fraktionen durch den (stellvertretenden) Ausschussvorsitzenden oder das Ausschusssekretariat ist nicht vorgesehen." Allerdings sei aus seiner Perspektive "der Meinungsfindung, der Sache und dem Land am meisten gedient, wenn Fraktionen wissenschaftlich renommierte Experten benennen."

"Auf dem Ticket der AfD-Fraktion"

Welche Partei Vögele zu der Anhörung im Ausschuss als Sachverständigen benannt hat, liege auf der Hand, sagt Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK): "Peter Vögele läuft auf dem Ticket der AfD-Fraktion, die bekanntlich die Fakten zum menschengemachten Klimawandel nicht anerkennt. Seine Argumente sind seit Jahrzehnten bekannt und gründlich widerlegt. Das Tragische ist, dass solche öffentlichen Auftritte immer einen Nachhall in den sozialen Medien erzeugen, wo Wunschdenken deutlich besser klickt als Fakten."

Klimaforscher Latif sieht das ähnlich: "Das ist ja immer das Problem, dass Leute dann eine Stimme bekommen, die gar nicht aus dem Feld kommen, auch wissenschaftlich gar nicht in dem Bereich arbeiten. Und die werden dann sozusagen gleichgestellt mit richtigen Experten."

Auch andere Ausschüsse betroffen

Auch andere Ausschüsse kennen das Problem. Besonders der Ausschuss für Gesundheit wurde in den vergangenen Monaten von der AfD gerne genutzt, um vermeintlichen Corona-Experten eine Bühne zu geben. Videos davon werden auch von der AfD selbst verbreitet. So durfte der Hausarzt Gunter Frank in einer Anhörung beispielsweise vor einem "Contergan-Skandal mit dem Faktor zehn" mit Blick auf die Corona-Impfungen warnen - angesichts der vom Paul-Ehrlich-Institut angegebenen Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen und Impfkomplikationen von 0,3 Meldungen pro 1.000 Impfdosen eine äußerst fragwürdige Behauptung.

Ebenfalls der in verschwörungsideologischen Kreisen häufig zitierte Arne Burkhardt, Pathologe im Ruhestand, war bereits in einer Ausschussanhörung geladen. Burkhardt war unter anderem schon wegen unbelegter Behauptungen zu angeblichen Todesfällen im Zusammenhang mit der Corona-Impfung aufgefallen.

"In Anhörungen des Gesundheitsausschusses äußern sich die von der AfD benannten Sachverständigen zum Beispiel gegen Impfungen, Masken und andere Corona-Schutzmaßnahmen. Dabei wird bewusst provoziert", sagt Kirsten Kappert-Gonther, stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses.

Es werden regelhaft Behauptungen ohne wissenschaftliche Grundierung geäußert oder Studien zitiert, die üblichen wissenschaftlichen Standards nicht Stand halten. Dabei kommen abwertende Äußerungen oder das Tragen von Symbolen aus der Querdenkerszene vor, die schwer erträglich sind und dem demokratisch fachlichen Diskurs schaden.

Seriöser Anstrich als "Bundestagsexperte"

Die Grünen-Politikerin Kappert-Gonther vermutet hinter dem Vorgehen der AfD eine Methodik. "Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Anhörungen vor allem genutzt werden, um anschließend auf Social Media mit dem Bildmaterial zu agieren", sagt sie. Die Mitschnitte, die von solchen Anhörungen dann im Nachhinein oft geteilt werden, sind Material des "Parlamentsfernsehens" des Bundestags. Dadurch bekommen die Videos einen offiziellen und seriösen Anstrich - unabhängig vom Inhalt.

"Die allermeisten Menschen wissen nicht, dass es sich um eine parteiliche Benennung der Sachverständigen handelt", sagt Politikwissenschaftler Schnapp. "Und dadurch entsteht die Interpretation: Das ist ein Bundestagsexperte, was der sagt, muss schon richtig sein."

Ein AfD-Fraktionssprecher teilt auf Anfrage des ARD-faktenfinders mit, dass für die Partei bei der Auswahl von Sachverständigen im Vordergrund stehe, "Experten einzuladen, die aus unserer Sicht zur Klärung wichtiger Aspekte des jeweiligen Themas im besonderen Maße beitragen können." Vögele habe "als erfahrener Naturwissenschaftler in der Anhörung wichtige Impulse geliefert und seine Einwände gegen die Theorie des anthropogenen, CO2-induzierten Klimawandels ausführlich begründet."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die SWR-Landesschau Rheinland Pfalz am 28. August 2022 um 18:10 Uhr.