Teilnehmer einer Palästinenser-Demonstration in Madrid am 15. Oktober 2023.
europamagazin

Spanien Mehr Nähe zu den Palästinensern als zu Israel

Stand: 31.10.2023 03:34 Uhr

Fast täglich wird irgendwo in Spanien für die Palästinenser demonstriert, teils mit unverhohlenen Hamas-Sympathien. Das Land steht traditionell den Palästinensern näher, insbesondere die extreme Linke fährt einen harten Kurs gegen Israel.

Palästinensertücher und die die palästinensische Flagge prägen Sonntagmittag das Stadtbild im Zentrum von Madrid. Zehntausende ziehen den Paseo de la Castellana hinunter, skandieren "No es una guerra, es un genocidio" - "Das ist kein Krieg, das ist ein Genozid". Sie fordern einen sofortigen Waffenstillstand und "Freiheit für die Palästina". Die Stimmung friedlich, die Plakate eher israelfeindlich als -kritisch. "Vom Fluss bis zum Meer", singen sie und "Palästina wird gewinnen".

Dass dieser Slogan Israels Existenzrecht infrage stellt, scheint die spanischen Regierungsmitglieder unter den Demonstrierenden nicht zu stören. Die Podemos-Vorsitzende und amtierende Ministerin für Sozialrechte, Ione Belarra, spricht von "ethnischer Säuberung" am palästinensischen Volk und fordert von der europäischen Union einen härteren Kurs gegen Israel.

"Wir können handeln, und zwar sofort: Wir können die diplomatischen Beziehungen zu Israel einstellen", so Belarra unterwegs im Demonstrationszug. "Wir können wirtschaftliche Sanktionen gegen den Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und die israelische politische Führung verhängen, wir können ein Waffenembargo vollziehen und wir können Netanyahu vor den internationalen Strafgerichtshof bringen."

Spanien: Kontroverse um Nahost-Politik

Kristina Böker, ARD Madrid, 29.10.2023 12:45 Uhr

"Schwierig, die Demonstrationen zu verstehen"

Zwei Tage zuvor: eine sehr stille und kleine Demonstration vor der Synagoge in Madrid. Jüdische Familien, die um ihre Angehörigen bangen, halten die Fotos der von der Hamas verschleppten Menschen in den Händen. Sie richten einen traurigen Appell an Spaniens Regierung, an Europa, an die Welt: Man möge für die Freilassung der Geiseln kämpfen.

Die Slogans der Demonstrationen für die Palästinenser klingen düster in den Ohren der in Spanien lebenden Jüdinnen und Juden. "Es ist wirklich schwierig für mich, diese Art von Demonstrationen zu verstehen", sagt Isaac Benzaquen, der Vorsitzende der Vereinigung jüdischer Gemeinden in Spanien, "und ich möchte eines klarstellen, auch wenn die Welt das vielleicht nicht verstehen will oder sich nicht dafür interessiert: Israel will Frieden, die Palästinenser wollen Frieden. Israels Krieg richtet sich nicht gegen die Palästinenser. Israels Krieg ist gegen die Hamas."

Mitglieder der jüdischen Gemeinde Spaniens demonstrieren in Madrid für die Freilassung der von den Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln.

Die Geiseln nicht vergessen: Mitglieder der jüdischen Gemeinde Spaniens erinnern an das Schicksal der von den Hamas Verschleppten.

Stärkere Verbundenheit mit den Palästinensern

Die spanische Politik steht traditionell den Palästinensern näher, insbesondere die Linke links der Sozialisten. Und obwohl nur rund 45.000 Juden in Spanien leben und diese offenbar gut integriert sind, werden antisemitische Klischees oder Aussagen kaum verurteilt. Politikwissenschaftler Fernando Vallespin sieht für Spaniens distanzierte Haltung gegenüber Israel historische Gründe, unter anderem aus der Zeit der spanischen Diktatur: "Das Franco-Regime hat in der Zeit der Diktatur Israel nie anerkannt. Und mit Palästina hatten wir immer viele direkte menschliche Kontakte, zum Beispiel kamen immer viele Studenten hierher. Und dazu gibt noch einen historischen Punkt, der - im negativen und übertragenen Sinne - dem der Deutschen ähnelt, das war die Vertreibung der Juden."

Das war 1492. In der jüngeren Geschichte hat Spanien mehrfach versucht, sich als Vermittler zu positionieren. Etwa als Gastgeber einer großen Nahost-Friedenskonferenz in Madrid 1991. Der damalige sozialistische spanische Ministerpräsident Felipe González empfing hochkarätige Gäste: den US-Präsidenten George Bush und den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow. Am Ende blieben die Verhandlungen allerdings ergebnislos.

Demonstration für die Palästinenser in Madrid (Spanien) unter Teilnahme von Arbeitsministerin Diaz (Mitte)

Ganz vorne mit dabei: Arbeitsministerin Yolanda Díaz vom Linksbündnis Sumar

Sánchez drängt auf Friedenskonferenz

Und heute? Steht der geschäftsführende Ministerpräsident Pedro Sánchez beim EU-Gipfel auf der Seite derer, die einen Waffenstillstand wollen. Er wird allerdings überstimmt, unter anderem von Deutschland. Als Vermittler will Spanien sich aber weiter anbieten und schlug in Brüssel eine internationale Friedenskonferenz innerhalb der nächsten sechs Monate vor. "Damit die internationale Gemeinschaft sich für die Lösung des Konflikts verantwortlich fühlt", argumentierte Sánchez am Rande des Gipfels, "und damit wir zu einer Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina kommen können".

Den Weg dorthin wollte Spanien schon 2014 ebnen: Damals stimmte das Parlament parteiübergreifend dafür, die palästinensischen Gebiete als Staat anzuerkennen. Umgesetzt wurde das allerdings nicht. Und so taucht die Forderung nun wieder im Programm für ein mögliches weiteres linkes Regierungsbündnis auf.

Dass darüber hinaus Ministerin Belarra fast täglich gegen Israel poltert, habe mit der schwindenden Bedeutung ihrer Partei in der geschäftsführenden Regierung zu tun, so Politikwissenschaftler Vallespin: "Ich glaube, diese Aussagen sollen einfach Aufmerksamkeit erzeugen nach dem Motto: Wir sind die Radikalen, die sich trauen, Dinge anzusprechen."

Auf den pro-palästinensischen-Demonstrationen dürfte das Vokabular der linken Ministerin dennoch gut ankommen. Etwa 35.000 Menschen waren in Madrid am Sonntag auf der Straße, so die Linken in der spanischen Regierung. Es wird nicht die letzte Demonstration dieser Art in Spanien gewesen sein.