Interview

Interview zum Gefangenenaustausch "Kein Auftakt zu Verhandlungen"

Stand: 18.10.2011 13:56 Uhr

Der Austausch von Schalit und den palästinensischen Gefangenen ist ein Propaganda-Erfolg für die Hamas. Denn offenbar kann man Israel mit Gewalt doch zu Zugeständnissen zwingen, sagt der ARD-Korrespondent Teichmann im Gespräch mit tagesschau.de. Ähnliche Abkommen wird es daher wohl nicht geben.

tagesschau.de: Wie wird der Austausch in Israel bewertet?

Torsten Teichmann: In Israel gab es große Unterstützung für die Entscheidung, Gilad Schalit gegen 1027 Palästinenser auszutauschen. Die Bevölkerung hatte sehr viel Druck gemacht auf die Regierung. Aber auch die Medien hatten das Thema entdeckt und in den vergangenen fünfeinhalb Jahren Druck gemacht und immer wieder erklärt: Dieser Soldat muss lebend zurückkommen. Nicht wie bei anderen Gelegenheiten, als es einen Austausch gab, aber die israelischen Soldaten tot zurückkamen.

tagesschau.de: Und bei den Palästinensern?

Teichmann: Da muss man differenzieren: Im Gazastreifen bewertet die Hamas den Austausch als Sieg über Israel und nutzt den Austausch  als Propaganda-Clou - auch innenpolitisch. Und dann gibt es die Familien, die auf ihre Angehörigen warten. Unter ihnen sind übrigens nicht nur Hamas-Anhänger, sondern auch solche, die eindeutig mit der Fatah zusammenhängen. Und die sehen das weniger euphorisch, sondern mehr die persönliche Geschichte der Familie.

tagesschau.de: Aber was bedeutet dieser Propaganda-Erfolg der Hamas im Machtkampf mit der Fatah? Machmud Abbas galt ja zuletzt als gestärkt durch seine Offensive bei der UNO.

Teichmann: Das ist das große Problem damit, dass sich die Hamas durchsetzen konnte. Denn offenbar kann man Israel mit Gewalt doch zu Zugeständnissen zwingen. Das ist ein verheerendes Bild - und ein Schlag ins Kontor von Abbas, der versucht, durch Verhandlungen Fortschritte zu erreichen. Wenn die Hamas nun ein Abkommen mit Israel erreicht, dann könnte es fast so aussehen, als wäre die Hamas auf dem richtigen Weg. Dieses Symbol kann unmöglich bleiben.

tagesschau.de: Daher die Offensive des Nahost-Quartetts?

Teichmann: Ja, die internationale Gemeinschaft ist nun sehr darum bemüht, Abbas zu stärken. Doch das ist sehr schwierig, da die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Abbas ist nicht bereit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, so lange weiter Siedlungen gebaut werden.

tagesschau.de: Wird die Hamas in Israel nach diesem Abkommen nun als möglicher Gesprächspartner gesehen - oder überwiegt die Abscheu über das Vorgehen, eine Geisel zu benutzen, um Häftlinge freizupressen?

Teichmann: Bei aller Freude über die Freilassung von Schalit - die Abscheu überwiegt in Israel eindeutig darüber, jemanden zu verschleppen um Gefangene freizupressen. Ich glaube auch nicht, dass dies der Auftakt zu Verhandlungen ist. Die Hamas hat das auch bereits ausgeschlossen. Es handelt sich um ein singuläres Abkommen zwischen der Hamas und Israel. Wichtiger wäre auch, dass es nicht erneut solche Abkommen gibt, sondern eine Verständigung zwischen den Regierungen.

tagesschau.de: Wird das Vorgehen der Hamas im Gazastreifen uneingeschränkt unterstützt?

Teichmann: Die betroffenen Familien sehen vor allem die Möglichkeit, dass ihre Angehörigen frei kommen. Es gibt Gefangene, die seit Jahrzehnten im Gefängnis saßen - und jetzt als alte Männer wieder nach Hause kommen.  Das sind alles Familiengeschichten, sehr emotional. Es wird sehr stark auf der persönlichen und familiären Ebene argumentiert - das ist ganz ähnlich wie in Israel. Richtig glücklich ist mit diesem Abkommen aber eigentlich niemand - außer der Hamas.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de

Das Interview führte Torsten Teichmann, BR