Rettungsschirm für Italiens antikes Erbe Die EU will Pompejis zweiten Untergang stoppen
Die Ruinen von Pompeji sind zum Sinnbild für den Niedergang Italiens geworden. Häuser stürzen ein, Jahrtausende alte Kunstwerke sind unwiederbringlich verloren. Die einst stolze Kulturnation Italien schafft es nicht, ihr antikes Erbe zu bewahren. Nun hat die EU 105 Millionen Euro für die Sanierung des Weltkulturerbes bereitgestellt.
Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom
In Italien scheint entgegen dem Klischee nicht immer die Sonne. Im Herbst und Winter kann es oft tagelang regnen, wahre Sturzbäche. Das sind dann die Momente, in denen Antonio Varone, Direktor der Ausgrabungen von Pompeji, den Atem anhält. Bei einer solchen Sintflut nämlich sind im vergangenen Herbst in Pompeji Mauern eingestürzt. Schon wieder, nachdem 2010 die berühmte Gladiatorenschule, von Regenmassen aufgeweicht, zusammenbrach.
"Die gute Nachricht ist", sagt Varone, "das meiste konnte gerettet werden". Und er meint damit die wertvollen Fresken der Gladiatorenschule. Das, was von diesem einzigartigen Bau noch übrig ist, steht in der "via dell’ abbondanza", in der Straße des Überflusses, im antiken Pompeji.
Von allem zu wenig - nur Touristen gibt es zu viele
"Das ist die Einkaufsstraße. Hier von der Kreuzung aus kann man sehen, wie groß Pompeji war. Da unten sieht man, wo Pompeji aufhört", erklärt der Archäologe Tsao Cevoli. Er führt durch diese einzigartige Ruinenstadt, die im Jahre 79 vom Vulkan Vesuv zerstört, verschüttet und so für die Nachwelt konserviert wurde.
Die antike Stadt war 66 Hektar groß, hatte mehr als 20.000 Einwohner. Die Straße des Überflusses zeugt von ihrem Reichtum, ein Haus schöner als das andere, die Wände sind mit prächtigen Fresken ausgestattet.
"Wunderbare Wandfresken“, schwärmt Cevoli, "nur leider von Vandalen verschmiert." Es ist nicht immer nur der Regen, der dem antiken Gemäuer gefährlich wird, es sind auch die Vandalen der Moderne. 2,5 Millionen Touristen besuchen Pompeji Jahr für Jahr - eine gigantische Menge. Von allem anderen gibt es zu wenig: zu wenig Wächter, zu wenig Restauratoren, zu wenig Gärtner, zu wenig Archäologen.
Der Absturz begann unter der Berlusconi-Regierung
"Sicher ist das Fehlen einer regelmäßigen Instandhaltung der Hauptgrund für die Einstürze hier in Pompeji", sagt Cevoli. "Als vor Jahren der damalige Wirtschaftsminister Giulio Tremonti die Gelder gekürzt hat, haben wir gewarnt: Es ist so, als ob einem chronisch Kranken keine Medizin mehr gegeben wird. Und danach hat es mit den Einstürzen begonnen, nicht nur in Pompeji, das ist nur die Spitze des Eisberges."
So wie Pompeji für den Niedergang der Kulturnation Italien steht, so steht Cevoli für eine verlorene Generation. Der junge Archäologe ist arbeitslos wie so viele seiner Altersgenossen. Dabei gäbe es in Pompeji Arbeit ohne Ende. Doch Pompeji wurde nicht unter archäologischen Gesichtspunkten gesehen, sondern unter dem Nutzwertaspekt: Wie können wir möglichst viel Profit aus den Trümmern schlagen? Wenn überhaupt, dann werden Restaurierungen von einfachen Maurern durchgeführt.
"Hier in Kampanien kann kein Abwasserkanal gebaut werden, ohne dass ein Archäologe hinzugezogen wird, der die Arbeiten kontrolliert. Wenn dieselben Arbeiten in Pompeji gemacht werden, passiert das nicht. Klingt paradox, ist aber so", sagt Cevoli resigniert.
Ein EU-Rettungsschirm für Pompeji - nicht nur bei Regen
Im benachbarten Herculaneum hat ein amerikanischer Sponsor dafür gesorgt, dass 30 Archäologen und Restauratoren Arbeit finden und das antike Erbe erhalten. In Rom will der Schuhfabrikant della Valle das Kolosseum retten. Und auch der Direktor von Pompeji, Antonio Varone, würde sich nicht gegen Investoren wehren: "Die Unterstützung von privaten Investoren ist natürlich hoch willkommen, aber innerhalb einer Struktur, die sie nicht zu Hauptakteuren oder Betreibern eines öffentlichen Kulturgutes machen. Dieses muss und wird in der öffentlichen Hand verbleiben."
Also braucht Pompeji einen Rettungsschirm, nicht nur bei Dauerregen. Und die Europäische Union hat den Hilferuf Italiens gehört und stellt 105 Millionen Euro zur Verfügung. Die Sanierungsarbeiten sollen noch in diesem Monat beginnen.