Konflikt um Nordkorea Fragiles Gleichgewicht des Schreckens
Hochgerüstete Konfliktpartner, tiefstes Misstrauen: Die Lage auf der koreanischen Halbinsel sei durchaus gefährlich, sagt Asien-Experte Hilpert im tagesschau.de-Interview. Doch mit den Drohgebärden wolle Nordkoreas Führung vor allem die USA zu Gesprächen zwingen und so zu Hause punkten. Die Atombombe benötige sie gar nicht.
tagesschau.de: Erst hat Nordkorea den USA mit einem Atomschlag gedroht. Dann kündigte Pjöngjang den Nichtangriffspakt mit Südkorea auf. Das klingt nach Eskalation. Ist das ein Krieg der Worte oder steckt mehr dahinter?
Hanns Günther Hilpert: Es ist in erster Linie eine Eskalation der Worte. Aber zunächst einmal: Es geht nicht um einen Nichtangriffspakt zwischen Nord- und Südkorea, sondern um das Waffenstillstandsabkommen zwischen Nordkorea und den USA, das Südkorea einschließt. Aber Südkorea war kein Vertragspartner, als das Abkommen von Panmunjom 1953 geschlossen wurde und das jetzt Nordkorea für nichtig erklärt, übrigens nicht zum ersten Mal. Das zeigt: Diese Drohungen sind für Nordkorea Diplomatie mit anderen Mitteln.
Hanns Günther Hilpert ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Länder Nord- und Südkorea, China und Japan.
Ich erwarte nicht, dass es zu einer bewussten Eskalation oder einem Angriffskrieg kommt. Gleichwohl ist die Situation gefährlich. Schließlich gibt es an der Demarkationslinie die größte Waffen- und Truppenkonzentration weltweit. Derzeit halten beide Seiten Militärmanöver ab und das rote Telefon ist abgestellt. Man kann sich vorstellen, was da passieren könnte.
tagesschau.de: Besteht also die Gefahr, dass die Lage, auch ungewollt, außer Kontrolle gerät und ohne das rote Telefon keine unmittelbare Entschärfung möglich ist?
Hilpert: Ja. Es kann eine Spirale der Gewalt einsetzen. Beide Seiten trauen einander nicht über den Weg. Insofern ist die Lage nicht ungefährlich.
Die gegenseitige Abschreckung wirkt
tagesschau.de: Wäre denn Nordkorea in der Lage, einen Atomschlag gegen die USA durchzuführen?
Hilpert: Ein Atomschlag ist sehr unwahrscheinlich. Die Trägerrakete, die Nordkorea kürzlich getestet hat, hat eine geringe Nutzlastfähigkeit und keinen Hitzeschild. Nordkorea hat auch noch keinen eigenen Atomsprengkopf entwickelt. Insofern ist das eine leere Drohung.
Gleichwohl arbeitet Nordkorea daran, diese Systeme Schritt für Schritt zu entwickeln. Erst haben sie nukleare Sprengfähigkeit bewiesen. Dann haben sie eine Langstreckenwaffe entwickelt. Das Ganze zu vereinen und einsatzfähig zu machen, wird der nächste Schritt sein. Perspektivisch kann man sich vorstellen, dass Nordkorea die USA mit einem nuklearen Erstschlag mit Langstreckenraketen bedrohen kann.
Eigentlich benötigt Nordkorea diese Waffe aber gar nicht. Sie haben ja schon ein ausreichendes konventionelles Drohpotenzial. Sie können den Großraum Seoul mit ihren Raketenwerfern und Artillerie unter Feuer setzen. Der Verlust an Menschenleben und an Infrastruktur ist gar nicht auszudenken. Sie können auch mit ihren Kurzstreckenraketen Japan und US-Militärbasen in Okinawa oder Guam angreifen.
tagesschau.de.: Wenn es also zu einer Eskalation kommen sollte, dann eher mit konventionellen Waffen?
Hilpert: Ja, wobei sich beide Seiten gegenseitig konventionell abschrecken. Das ist ein Gleichgewicht des Schreckens. Wer rational agiert, wird davor zurückschrecken. Das haben beide Seiten in der Vergangenheit immer getan, sowohl Nordkorea als auch Südkorea und die USA.
Nordkorea will die USA an den Verhandlungstisch zwingen
tagesschau.de: Was bezweckt Nordkorea mit den Drohgebärden?
Hilpert: In erster Linie möchte Nordkorea die USA zu Gesprächen zu seinen eigenen Bedingungen zwingen. Das strategische Ziel ist ein Friedensvertrag mit den USA und der Abzug der amerikanischen Truppen von der koreanischen Halbinsel. Das ist kurzfristig nicht zu erwarten. Aber zumindest Gespräche mit den USA allein werden das Regime nach innen legitimieren. Vielleicht springt auch die eine oder andere Hilfe in Form von Nahrungsmitteln und Energiehilfen heraus.
Hinzu kommt, dass es in Südkorea eine neue Regierung gibt. Wir sind es aus der Vergangenheit gewohnt, dass jede neue Amtszeit eines südkoreanischen Präsidenten mit Konflikten mit Nordkorea einhergeht. Gewissermaßen wird Frau Park Geun Hye jetzt mal getestet.
Tiefes Misstrauen auf allen Seiten
tagesschau.de: Ist denn davon auszugehen, dass sich die USA auf diese Bedingungen einlassen?
Hilpert: Die Situation zwischen Nordkorea und den USA ist sehr vertrackt. Beide Seiten sprechen nicht miteinander, weil man sich misstraut und man sich gegenseitig die schlimmsten Dinge vorwirft. Der Punkt ist, dass die amerikanische Seite Verhandlungen mit Nordkorea als sinnlos ansieht, seitdem das Regime klargemacht hat, dass es nicht auf Nuklearwaffen verzichtet.
tagesschau.de: Sind die Forderungen Nordkoreas an die USA im Interesse Chinas?
Hilpert: Gegen Hilfen an Nordkorea hätte China sicher nichts. Ich bin aber nicht sicher, ob ein Abzug der US-Truppen in Chinas Interesse wäre. Das könnte zu einer Destabilisierung der koreanischen Halbinsel beitragen. Es wäre ungewiss, wie sich Nord- und Südkorea verhalten würden. China geht es aber in erster Linie um den Status Quo und um Stabilisierung. Da sind Änderungen nicht unbedingt erwünscht.
Auch China will Reformen
tagesschau.de: China und Russland haben den neuen Sanktionen gegen Nordkorea zugestimmt. Ist das nicht bemerkenswert?
Hilpert: Ja, das war nicht immer der Fall. Nach den nordkoreanischen Angriffen auf die Fregatte "Cheonan" und der Beschuss südkoreanischer Inseln im Jahr 2010 hat China einer Verurteilung Nordkoreas nicht zugestimmt, sondern sich sehr neutral verhalten und nur allgemein zu einer Deeskalation aufgerufen.
In diesem Fall ist es anders, weil China Nordkorea im Vorfeld gewarnt und dazu aufgefordert hat, diese Rakete nicht abzuschießen und auch keinen Atomtest durchzuführen. Jetzt muss Nordkorea gewissermaßen auch aus chinesischer Sicht bestraft werden. Das geschieht durch diese Sanktionen. Das ist aber in erster Linie ein symbolischer Akt.
Das Regime ist in einer Sackgasse
tagesschau.de: Will sich Kim Jon Un mit den Drohgebärden auch im Inland profilieren?
Hilpert: Selbstverständlich. Er ist ja ein relativ junger, noch unerprobter Führer. Er braucht eine Legitimation nach innen. Da haben ihm der Start der Satellitenträgerrakete und der Atomtest geholfen. Ein direktes Gespräch mit den USA wäre natürlich eine weitere Legitimation.
tagesschau.de: Nordkorea isoliert sich immer weiter. Schadet das Land sich damit nicht selbst am meisten?
Hilpert: Das ist das Dilemma des Regimes in Pjöngjang. Es kann auf Dauer mit seinem System und seinem Verhalten nicht gewinnen. Würden es sich öffnen und reformieren, wäre es wahrscheinlich auch sehr bald vorbei. Da bleibt nur die andere Möglichkeit: Eine zunehmende ideologische Vereisung und Abschottung sowie der Versuch, die Fronten nach innen zu schließen.
tagesschau.de: Sind also auch unter dem jungen Kim Jong Un keine Öffnung und keine Reformen zu erwarten, weil er sich sonst die eigene Machtbasis zerstört?
Hilpert: Er hat Reformen angekündigt. Möglich wäre es dann, Kapital und Technologie nach Nordkorea zu holen und dem Regime zum Atemholen zu verhelfen. Sollten allerdings die Reformen soweit greifen, dass eine marktwirtschaftliche Entwicklung in Gang kommt und damit neue Interessensgruppen entstehen, die nicht unbedingt von der Partei, vom Militär und von der Familie des Führers abhängig sind, wird das Machtmonopol des Systems untergraben. Dies wird man früher oder später in Nordkorea unterbinden.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de