EU-Beitritts Kroatiens Brüssel glaubt an den Musterschüler

Stand: 30.06.2013 18:55 Uhr

Erneut hat sich die Europäische Union vergrößert. Kroatien ist 28. EU-Mitglied, doch von Feierlaune ist wenig zu spüren - weder beim Neumitglied noch bei den Altmitgliedern. Nur in Brüssel ist man überzeugt, diesmal alles richtig gemacht zu haben.

Die Staats- und Regierungschefs haben sich ein besonders originelles Willkommensgeschenk ausgedacht. Sie übergaben dem neuen Vollmitglied in ihrem Kreis ein von allen unterschriebenes Familienfoto der Gipfelrunde. Man kann nicht gerade sagen, dass Kroatiens Premier Zoran Milanovic sonderlich begeistert aussah. In seinen Dankesworten brachte er denn auch das Missbehagen unter, dass die EU sich so lange Zeit gelassen hat bis zu diesem Willkommensgruß. "Das war eine lange Reise, mit viel Überprüfungen, vielen Kontrollen, einer Menge Verhandlungskapitel."

Zehn Jahre dauerte es vom Antrag bis zum tatsächlichen Beitritt. Mit einem absoluten Tiefpunkt 2009, als Slowenien wegen bilateraler Streitigkeiten die Verhandlungen für eine ganze Weile zum Stillstand brachte.

Martin Bohne, M. Bohne, ARD Brüssel, zzt. Zagreb, 27.06.2013 15:32 Uhr

Aber auf die ständigen Kontrollen und Auflagen, die Ministerpräsident Milanovic so nerven, ist der für die Erweiterung verantwortliche Brüsseler Kommissar Stefan Füle durchaus stolz: "Kroatien hat den bisher rigorosesten Beitrittsprozess von allen Kandidaten durchlaufen. Und er ist glaubwürdig." Dieser Prozess sei völlig umgestaltet worden - aus Erfahrung aus der vorigen Erweiterungsrunde. "Dieses Mal haben wir nicht einfach Häkchen gemacht, wenn ein Gesetz verabschiedet oder eine Behörde gegründet war." Es sei vielmehr auf die praktische Umsetzung geachtet worden. "Dann können wir sicher sein, dass nicht nur einfach die Gesetze geändert werden, sondern dass sich die Art und Weise ändert, wie die Leute handeln und denken."

Schlechte Erfahrungen mit Rumänien und Bulgarien

Die vorhergehende Erweiterungsrunde - das waren Rumänien und Bulgarien, die 2007 aufgenommen wurden. Das war nach allgemeiner Einschätzung viel zu früh. Selbst heute sind diese Länder in vielen Bereichen noch weit von den EU-Standards entfernt, so dass sie immer noch unter verschärfter Beobachtung der EU-Kommission stehen. Jährlich berichtet die Behörde über weiterhin bestehende Mängel, und sie erteilt Auflagen.

Im Falle Kroatiens wird auf einen solchen Verifizierungsmechanismus verzichtet, berichtet der Erweiterungskommissar. "Wir hätten einen solchen Mechanisms, wenn es notwendig wäre. Aber wir sehen keine Notwendigkeit dafür."

Kein Zweifel an Beitrittsreife Kroatiens

Die Balkanexpertin des European Policy Center in Brüssel, Corina Stratulat, bestätigt die Wende im Herangehen der EU-Kommission. "Da wurde mit Sicherheit viel mehr Wert auf gute Regierungsführung, auf die politische Dimension der Beitrittskriterien gelegt. Viel mehr als früher. Geht es voran mit der Bekämpfung der Korruption? Sind die Richter wirklich unabhängig? Wird der Berg an unerledigten Justizfällen abgebaut? Werden öffentliche Aufträge nach transparenten Kriterien vergeben?" All das hätten die Beamten aus Brüssel immer wieder hinterfragt. Stratulat hat daher keinen Zweifel, dass Kroatien beitrittsreif ist. Und es sei auch sehr wichtig, dass nach den Misserfolgen der Vergangenheit der kroatische Beitritt zur Erfolgsgeschichte wird, um die aufgewühlten Nerven der Mitgliedsstaaten in Sachen Erweiterung zu beruhigen.

EU-Kommissar Füle glaubt an den Musterschüler Kroatien. "Kroatien ist das beste Beispiel dafür, dass der Beitrittsprozess ein Land und eine Gesellschaft wirklich verändern kann." Und Füle ist überzeugt: "Kroatien wird nicht nur die Mitgliederzahl erhöhen, sondern unsere Union auch stärker machen."

Allerdings ist man vor unangenehmen Überraschungen nicht gefeit. Kurz vor dem Beitritt verstieß das Land gegen europäische Verpflichtungen. Das Parlament in Zagreb stimmte am Freitag für ein Gesetz, das die Auslieferung von Kroaten an die europäischen Partnerländer verbietet, wenn die Straftat mehr als zehn Jahre zurückliegt. Damit wird ein ehemaliger Geheimtdienstmitarbeiter geschützt, der in den 80er-Jahren die Ermordung eines Dissidenten in Bayern eingefädelt haben soll. Das Bundeskriminalamt hatte Josip Perkovic kurz zuvor auf die internationale Fahngungsliste gesetzt.

Ralf Borchard, R. Borchard, ARD Wien, 29.06.2013 21:00 Uhr