Zwei französische Flaggen wehen bei einem Protest gegen die geplante Rentenreform im Wind.
Kommentar

Rentenreform in Frankreich Alle Beteiligten gescheitert

Stand: 16.03.2023 20:37 Uhr

Monatelang wurde protestiert, Tausende Änderungsanträge eingereicht. Dass Frankreichs Regierung die geplante Rentenreform nun der Abstimmung entzogen hat, war falsch. Die Präsidialdemokratie hat verloren.

Ein Kommentar von Julia Borutta, ARD Paris

Jetzt gibt es nur noch Verlierer. Den schwersten Schaden trägt die Regierung davon: Trotz aller Beteuerungen, den Dialog zu pflegen und das Land einen zu wollen, hat sie es nicht geschafft, einen tragfähigen Kompromiss auszuhandeln, hinter den sich das eigene Bündnis und die im Grunde reformwilligen konservativen Republikaner hätten scharen mögen.

Anstatt das Risiko einer Abstimmung einzugehen und dann eine mögliche Schlappe - mit Haltung - einzustecken, hat die Regierung den Joker 49.3. gezogen. Verfassungskonform, aber illegitim. Denn schließlich handelt es sich um eine tiefgreifende Sozialreform, die hier zur Debatte steht. Dieses Abwürgen des demokratischen Prozesses wird der Regierung bei kommenden Reformprojekten wie Blei anhängen und für tiefes Misstrauen sorgen.

Macron schwer angeschlagen

Auch Präsident Macron, der am Ende alleine die Entscheidung für 49.3 fällte, hat verloren. Sein Image ist schwer angeschlagen, er hat wieder einmal nicht auf sein Volk gehört. Dieser Vorwurf wird seine restliche Amtszeit schwer belasten. Aber auch die Oppositionsparteien sind Verlierer.

Vor allem das Linksbündnis NUPES hat sich in einem unwürdigen Schauspiel selbst diskreditiert. Seine Tausenden Änderungsanträge haben dazu geführt, dass die Nationalversammlung über wichtige Punkte des Reformgesetzes gar nicht debattieren konnte. Das war falsch und kindisch. Nun bleibt den Oppositionsparteien noch der Misstrauensantrag, um die Reform aufzuhalten und die Regierung zu stürzen. Aber da sie sich untereinander spinnefeind sind, wird auch das nicht klappen.

Protest war womöglich umsonst

Unterhaken können sich allenfalls die Gewerkschaften. Sie haben in bemerkenswerter Einigkeit den Protest organisiert. Und das, obwohl sie sonst Konkurrenten und oftmals Gegner sind. Manche Aktionen gingen zu weit, aber es ist ihnen gelungen, Gewalt weitgehend zu verhindern und den Rückhalt eines großen Teils der Bevölkerung zu gewinnen. Trotzdem sind auch sie Verlierer. Denn sollte die Regierung die nun bevorstehenden Misstrauensanträge überstehen - was sehr wahrscheinlich ist - wird der Protest umsonst gewesen sein.

Alle Beteiligten sind also gescheitert. Und so ist es am Ende die französische Demokratie selbst - die Präsidialdemokratie - die als Verliererin dasteht. Man kann kein so streitlustiges, streikfreudiges, von Revolutionsromantik durchdrungenes Volk mit einer Verfassung regieren, die es erlaubt, Abstimmungen auszuhebeln. Das geht auf Dauer nicht gut.

Julia Borutta, Julia Borutta, ARD Paris, 16.03.2023 19:53 Uhr
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