Viktor Orban spricht in Mikrofone

"Souveränitätsverteidigungsgesetz" Das Ende der freien Medien in Ungarn?

Stand: 20.12.2023 06:01 Uhr

Journalisten haben es in Ungarn schon seit Jahren schwer, werden als Agenten ausländischer Mächte verunglimpft. Ein neues Gesetz beängstigt die letzten unabhängigen Journalisten nun noch mehr.

Von Fabian Mader, ARD-Studio Wien

Der Text des neuen Gesetzes beginnt mit einer Art Verschwörungserzählung: Die Souveränität Ungarns werde angegriffen. Ausländische Organisationen würden ihre eigenen Interessen in Ungarn durchsetzen wollen.

Auch einige Medien seien vom Ausland gesteuert, wie Regierungschef Viktor Orban vor wenigen Tagen in einem Interview sagte. "Es ist nicht fair, mit ausländischem Geld politische Entscheidungen der Menschen zu beeinflussen, offensichtlich im Interesse der Auftraggeber", so Orban. "Wir hoffen, dieses Gesetz wird es beenden."

"Basis für Schmutzkampagnen"

Dieses neue Gesetz heißt: "Souveränitätsverteidigungsgesetz", und es könnte Folgen für unabhängige Medien haben. Dem Gesetz zufolge soll eine neue Behörde Personen und Organisationen überprüfen können, die die öffentliche Debatte im Land beeinflussen.

Also auch Journalistinnen und Journalisten, sagt die Budapester Medienwissenschaftlerin Agnes Urban: "Es ist wichtig zu wissen, dass diese Behörde zur Verteidigung der Souveränität auch Geheimdienstinformationen nutzen kann. Sie wird also Berichte über Personen und Organisationen verfassen."

Aber es sei nicht klar, ob diese rechtliche Folgen hätten, meint Urban. "Daher denke ich, dass diese Berichte als Basis für Schmutzkampagnen dienen werden. Die Zielpersonen werden als Betrüger, ausländische Agenten, Dollar-Linke, Dollar-Medien bezeichnet werden - was Propaganda-Medien schon in der Vergangenheit getan haben."

"Unabhängige Medien 20 Prozent des Marktes"

Mit Propaganda-Medien meint die Medienwissenschaftlerin die Mehrheit der Medien in Ungarn. Viele gehören regierungsnahen Unternehmern. Die Programme finanzieren sich zum Teil über Werbekampagnen staatlicher Behörden, also indirekt über Steuergelder. Unabhängige Medien, schätzt Urban, machen ungefähr 20 Prozent des Marktes aus.

Andras Stumpf arbeitet für ein solches, unabhängiges Medium, für das Online-Portal Válasz Online. Auch er glaubt, dass das neue Amt vor allem angebliche Belege für die Vorwürfe liefern soll, die schon jetzt im öffentlichen Raum kursieren: dass unabhängige Journalisten im Auftrag ausländischer Mächte agieren. 

"Es scheint immer sehr gut zu sein, wenn man ein offizielles Papier hat, ein Blatt mit einem Stempel drauf und da steht offiziell, dass jemand für Regierungen oder Mächte arbeitet in Ungarn", so Stumpf. "Und solche Stempel wird diese Behörde haben. Und das wird sehr offiziell ausschauen."

Sorge vor großem Spielraum für Behörde

Gemeinsam mit einer Gruppe unabhängiger Journalistinnen und Journalisten hat Stumpf einen öffentlichen Brief unterzeichnet. Darin fordern sie die Gesetzesänderungen rückgängig zu machen, bevor im Februar die neue Behörde geschaffen wird.

Ihm macht vor allem Sorgen, dass das Gesetz so unklar formuliert ist, das ließe der neuen Behörde großen Spielraum. Welche Folgen genau eine Untersuchung durch die neue Behörde haben könnte, sei unklar: "Wenn wir dieses Gesetz lesen, wissen wir nicht, was das bedeutet. Das können wir nicht entscheiden. Das kann die Behörde entscheiden."

"Schwieriger, Informanten zu finden"

Für Medienwissenschaftlerin Urban hat Regierungschef Orban ein Ziel bereits erreicht: Kritische Journalisten seien verunsichert. Sollte das Gesetz Bestand haben, könne deren Arbeit noch schwieriger werden - weil das Gesetz die Möglichkeit offen ließe, dass sie Recherchen der neuen Behörde vorlegen müssen.

"Es wird schwieriger werden, Informanten zu finden, besonders zu Korruptionsvorwürfen gegenüber der Regierung, oder Hintergrundgespräche zu führen. Weil die Menschen Angst davor haben werden, mit Journalisten in Kontakt zu kommen", warnt Urban.

Sie befürchtet zudem: Schmutzkampagnen gegen Journalistinnen und Journalisten könnten in letzter Konsequenz auch zu körperlichen Übergriffen führen.

Fabian Mader, ARD Wien, tagesschau, 19.12.2023 21:21 Uhr