Wolodymyr Selenskyj

Nach Ankündigung Selenskyjs Serie von Rücktritten in der Ukraine

Stand: 24.01.2023 14:19 Uhr

In der Ukraine sind mehrere Mitglieder der Staatsspitze zurückgetreten. Darunter mehrere Vize-Minister, der stellvertretende Generalstaatsanwalt und der Vizechef des Präsidentenbüros. Präsident Selenskyj hatte zuvor einen Umbau angekündigt.

Im Zuge eines personellen Umbaus in der Führungsspitze in der Ukraine sind bis zum Mittag mehrere Vize-Minister, Gouverneure und andere Mitglieder der Staatsspitze zurückgetreten.

Am Mittag gaben zwei stellvertretende Minister der Regierung ihren Rücktritt bekannt. Die Vize-Minister Wjatscheslaw Negoda und Iwan Lukerja bestätigten die Schritte jeweils auf ihren Facebook-Seiten. Beide waren stellvertretende Minister des Ministeriums für kommunale und regionale Entwicklung.

Zuvor war der stellvertretende Verteidigungsminister des Landes, Wjatscheslaw Schapowalow, zurückgetreten. Er war unter anderem für die Versorgung der Truppen mit Nahrungsmitteln und Ausrüstung zuständig. Zur Begründung seines Rücktrittes verwies Schapowalow auf "Korruptionsvorwürfe der Medien" - für die der Verteidigungsausschuss des ukrainischen Parlaments nach eigener Aussage zuletzt keine Belege fand.

In einer Erklärung auf der Website des Verteidigungsministeriums hieß es am Morgen, der Rücktritt von Schapowalow sei "eine würdige Tat", die dazu beitragen werde, das Vertrauen in das Ministerium zu bewahren. Das Verteidigungsministerium steht in der Kritik, Lebensmittel für Soldaten zu überhöhten Preisen eingekauft zu haben.

Fünf Gouverneure entlassen

Unterdessen traten nach Aussage der ukrainischen Regierung zudem fünf Gouverneure verschiedener Regionen zurück. Sie seien von der Regierung auf Anordnung von Präsident Wolodymyr Selenskyj entlassen worden, teilte Kabinettsminister Oleh Nemtschinow über Telegram mit. Betroffen seien die Gouverneure der Regionen Dnipropetrowsk, Kiew, Sumy, Saporischschja und Cherson.

Auch stellvertretender Generalstaatsanwalt legt Amt nieder

Außerdem war der stellvertretende Generalstaatsanwalt Olexij Symonenko seines Postens enthoben worden. Dies sei "auf seinen eigenen Wunsch hin" geschehen, teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit. Ein Grund für die Entscheidung wurde nicht genannt.

Vizechef des Präsidentenbüros ebenfalls entlassen

Auch der Vizechef des ukrainischen Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, hatte am Morgen bei Selenskyj die Entlassung beantragt. Selenskyj entsprach dem Gesuch und entließ den Spitzenbeamten von seinem Posten, wie aus einem auf der Internetseite des Präsidenten veröffentlichten Dekret hervorgeht. Tymoschenko dankte Selenskyj im Nachrichtenkanal Telegram für das Vertrauen und die Gelegenheit, für das Land in Kriegszeiten arbeiten zu dürfen.

Zuvor hatte Tymoschenko für Aufsehen gesorgt, weil er mit einem US-Geländewagen unterwegs gewesen war, den der Autokonzern General Motors für die Rettung von Bürgern aus den Kampfzonen im Kriegsgebiet und für humanitäre Missionen zur Verfügung gestellt hatte. Der Beamte hatte seine Fahrten als dienstlich verteidigt.

In der Kritik stand Tymoschenko ukrainischen Medien zufolge auch, weil er in den Regionen seine Kompetenzen als Beamter der Präsidialverwaltung überschritten und sich auch politisch betätigt haben soll. In der Ukraine ist im nächsten Jahr die Präsidentenwahl. Selenskyj muss dabei Konkurrenz aus den eigenen Reihen befürchten.

Berater des Präsidentenbüros hatte ebenfalls gekündigt

Zuvor hatte außerdem der externe Berater im Präsidentenbüro, Olexij Arestowytsch, gekündigt, dem immer wieder Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt werden. Arestowytsch zog damit offiziell die Konsequenzen aus einem "Fehltritt". In einem Interview hatte er über die Ursache des Einschlags einer russischen Rakete in ein Wohnhaus in der südostukrainischen Großstadt Dnipro spekuliert und die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die eigene Flugabwehr Schuld am Einschlag in das Wohnhaus gewesen sein könnte.

Russland nahm die Aussagen Arestowytschs anschließend auf und gab Kiew die Schuld für den Raketeneinschlag. "Kräfte der ukrainischen Flugabwehr haben die russische Rakete, die auf ein Objekt der Energieinfrastruktur zielte, abgeschossen", sagte Russlands UN-Vertreter Wassili Nebensja. Dabei habe die Flugabwehr der Ukrainer in einem Wohnviertel gestanden, was gegen internationale Normen verstoße. Nur deshalb sei die Rakete auf ein Wohnhaus gestürzt.

Offiziell bestreitet Kiew den Abschuss durch die Flugabwehr dagegen. Durch die extrem hohe Fluggeschwindigkeit des flugzeuggestützten Marschflugkörpers vom Typ Ch-22 sei ein Abschuss durch die Flugabwehr praktisch unmöglich. Bei dem Raketeneinschlag starben mehr als 40 Menschen.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Rücktritte mit Ansage

Selenskyj hatte in den vergangenen Tagen nach Skandalen um Korruption und Bereicherung im Staatsapparat ein entschlosseneres Vorgehen gegen Fehlverhalten angekündigt und gestern auch von einer Reihe personeller Veränderungen gesprochen. Ein Vizeminister war bereits entlassen worden, weil er Schmiergelder für den Ankauf von Stromgeneratoren kassiert haben soll. Viele Bürger in der Ukraine verdächtigen Teile der Führung, sich im Zuge der hohen Finanzhilfen des Westens zu bereichern.

EU-Kommission: Noch mehr gegen Korruption tun

Die EU-Kommission forderte die Ukraine unterdessen zu weiteren Anstrengungen im Kampf gegen kriminellen Machtmissbrauch auf. Man begrüße die bereits getroffenen Maßnahmen, sagte eine Sprecherin in Brüssel. Es müssten aber weitere Fortschritte erzielt werden und es müsse Garantien für Geldgeber geben, dass Mittel sinnvoll eingesetzt würden. Antikorruptionsmaßnahmen seien Teil der politischen Bedingungen für weitere EU-Kredite und spielten auch im EU-Beitrittsprozess eine Schlüsselrolle.

Die EU hatte der Ukraine erst in der vergangenen Woche ein weiteres Darlehen über drei Milliarden Euro ausgezahlt. Bis Ende des Jahres sollen weitere 15 Milliarden Euro fließen.

Rebecca Barth, WDR, zzt. Kiew, 24.01.2023 15:03 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. Januar 2023 um 10:00 Uhr.