EIn Mann betrachtet mit einem Fernglas das Ausmaß des Gletscherabbruchs.
interview

Glaziologin zu Gletscherabsturz Klimawandel "verringert die Stabilität von Berghängen"

Stand: 30.05.2025 14:07 Uhr

Ist der Klimawandel für den Gletscherabsturz in der Schweiz verantwortlich? Bei Extremereignissen wie diesem lasse sich das nicht klar sagen, so Glaziologin Jacquemart. Eindeutig sei aber: Berge werden instabiler - und ihre Überwachung hat Grenzen.

tagesschau24: Wie einzigartig ist denn dieses Ereignis?

Mylène Jacquemart: Diese Konstellation, in der ein großes Bergsturzvolumen auf einen Gletscher fällt und sich dann dieser ganze Gletscher ins Tal bewegt in diesem katastrophalen Absturz, das ist schon absolut einzigartig.

tagesschau24: Wie genau ist es zu dieser Katastrophe gekommen?

Jacquemart: Vor ungefähr zwei Wochen wurde den lokalen Behörden bewusst, dass am Kleinen Nesthorn - das ist der Gipfel oberhalb des Gletschers - eine große Bergflanke instabil geworden ist. Zunächst wurde befürchtet, dass dieser ganze Berghang einfach ins Tal fällt. Das hat sich dann so nicht bewahrheitet, sondern das ist in Stücken geschehen. Immer mal wieder brachen Teile ab.

Das hat dann aber dazu geführt, dass sich das ganze Material auf einem kleinen Gletscher abgelagert hat, der unterhalb von dieser Bergflanke liegt. Durch das Geröll wurde der Druck auf den Gletscher sehr groß. Irgendwann konnte das Eis diesem Druck nicht mehr standhalten. Und dann ist dieser ganze Gletscher zusammen mit dem Schutt, der noch obendrauf war, ins Tal gestürzt.

Zur Person
Mylène Jacquemart ist Glaziologin an der ETH Zürich und an der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Sion.

Klimawandel "verringert die Stabilität von Berghängen", Mylène Jacquemart, Glaziologin, ETH Zürich, zu Bergsturz im Lötschental

tagesschau24, 30.05.2025 09:00 Uhr

"Manchmal fallen Teile von Bergen - das ist Geologie"

tagesschau24: Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf diesen Prozess?

Jacquemart: Das ist relativ komplex. Wenn wir das Hochgebirge grundsätzlich anschauen, dann sind die Einflüsse des Klimawandels eindeutig: Gletscher verschwinden, Eis und Schnee verschwinden, ehemals weiße Berghänge werden immer mehr zu Schutt und Geröll. Höhere Temperaturen führen dazu, dass auch in höheren Lagen mehr Niederschlag als Regen und nicht als Schnee fällt. Insgesamt gibt es mehr Wasser auch durch die Schnee- und Eisschmelze. Das alles verringert die Stabilität von Berghängen.

Um jetzt aber für ein einzelnes Ereignis, vor allem ein Extremereignis wie dieses zu sagen: ja, das war der Klimawandel, dafür müssten wir ja wissen, ob das Ereignis auch ohne Klimawandel passiert wäre. Das ist grundsätzlich absolut möglich. Manchmal fallen Teile von Bergen runter - das ist Geologie.

Was am Ende des Tages relevant ist für das Risikomanagement ist die Frage, ob diese Art von Ereignissen sehr viel häufiger werden. Das zu sagen, ist für diese Extremereignisse statistisch sehr schwierig. Aber viele Faktoren, die sich durch den Klimawandel stark ändern im Gebirge, sind für die Stabilität von Berghängen nicht zuträglich.

tagesschau24: Müssen bei den Planungen von Wander- oder Skirouten nun auch die Voraussagen von Glaziologen berücksichtigt werden?

Jacquemart: Daran arbeiten wir tatsächlich. Man sieht es beim Bergsteigen sehr stark. Gipfel oder Routen, die früher sehr stark mit Schnee bedeckt waren, da gibt es teilweise immer weniger Schnee. Und dadurch ist man dort stärker der Gefahr von Steinschlag ausgesetzt. Bei den Gletschergefahren ist es noch ein bisschen schwieriger. Aber das versuchen wir aktuell in der Forschung noch besser zu verstehen.

"Infrastruktur sehr nahe an diesen sehr steilen Regionen"

tagesschau24: Sie haben auch in Boulder im US-Staat Colorado studiert. Wie gut ist die Alpenregion aufgestellt in Bezug auf Frühwarnsysteme - vielleicht auch im Vergleich zu anderen Bergregionen der Welt.

Jacquemart: Ich denke, der große Vorteil, den wir in den Alpen haben ist, dass es sich um ein relativ kleines Gebiet handelt. Und dass da viele Menschen sind. Und mehr Menschen sehen eben mehr. Dadurch haben wir eine engmaschige Beobachtung der ganzen Region. Das heißt aber natürlich auch, dass mehr Infrastruktur sehr nahe an diesen sehr steilen Regionen ist, wie auch im aktuellen Fall.

Im Katastrophenfall wie jetzt sind wir in der Schweiz sehr gut aufgestellt bezüglich der Ressourcen und der modernsten Überwachungsmethoden. Den gesamten Alpenraum und jeden Berghang überwachen, das geht leider nicht. Moderne Satellitenmethoden können hier schon sehr hilfreich sein. Aber auch da gibt es technische Grenzen.

In diesem Fall sind lokale Veränderungen aufgefallen. Ein erster Murgang, eine Mischung aus Geröll und Wasser, die weit ins Tal vorgestoßen ist. Das hat die Leute darauf aufmerksam gemacht, dass sich da gerade etwas relativ schnell verändert.

Das Interview führte Ralph Baudach, tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung überarbeitet und leicht gekürzt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 30. Mai 2025 um 09:00 Uhr.