Attentat auf slowakischen Premier Fico ist wohl außer Lebensgefahr
Fünf Mal wurde auf den slowakischen Premier Fico geschossen. Inzwischen befindet er sich nach einer mehrstündigen Operation wohl außer Lebensgefahr. Gegen den Schützen wird wegen versuchten Mordes ermittelt.
Nachdem er bei einem Attentat durch fünf Schüsse verletzt wurde, ist der slowakische Regierungschef Robert Fico inzwischen wohl außer Lebensgefahr. Die Operation des Premierministers sei gut verlaufen und er befinde sich "im Moment nicht in einem lebensbedrohlichen Zustand", sagte der slowakische Umweltminister Tomas Taraba, einer von vier Stellvertretern Ficos, gegenüber der BBC.
Der designierte slowakische Präsident Peter Pellegrini erklärte nach einem Besuch im Krankenhaus, er habe mit Fico sprechen können. Dessen Zustand sei jedoch "weiterhin sehr ernst“. Er hoffe, dass der Regierungschef in den kommenden Tage wieder Entscheidungen treffen könne. Bis dahin müsse jedoch ein Stellvertreter dessen Pflichten übernehmen.
Fünfstündige Operation
Verteidigungsminister Robert Kalinak nannte Ficos Zustand "stabilisiert, aber weiterhin ernst". Auch die Chefin des Krankenhauses, in dem Fico behandelt wird, sagte, es stehe "wirklich ernst" um den 59-Jährigen. Ihren Angaben zufolge wurde der Premier fünf Stunden lang operiert und liegt derzeit auf der Intensivstation. Er habe mehrere Schussverletzungen erlitten. Seine Genesung könne wegen der Folgen der Verletzungen schwierig werden.
Fünf Schüsse
Das Attentat ereignete sich am Mittwoch gegen 14.45 Uhr in der Stadt Handlova, rund 150 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava. Laut Innenminister Matus Sutaj Estok feuerte der Täter fünf Schüsse auf Fico ab. Der Verdächtige wurde noch am Tatort festgenommen.
Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes eingeleitet. Bei dem 71-jährigen Tatverdächtigen handele es sich um einen Einzeltäter, der verärgert gewesen sei über den Ausgang der Präsidentschaftswahl, sagte Estok. Die Tat sei "politisch motiviert" gewesen. Auch Verteidigungsminister Kalinak erklärte, es bestehe "kein Zweifel, dass das Attentat einen politischen Hintergrund hatte".
Kurz nach dem Attentat tauchte ein geleakter Videomitschnitt in slowakischen Medien auf, der das erste Verhör der Polizei mit dem Verdächtigen zeigen soll - einem Amateur-Schriftsteller und ehemaligen Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes aus dem Westen des Landes. Laut Medienberichten besaß er aufgrund dieser Tätigkeit einen Waffenschein. Er sei nicht einverstanden mit der Politik der Regierung, hört man ihn im Mitschnitt sagen, dessen Echtheit aber nicht bestätigt ist.
Sondersitzung von Regierung und Sicherheitsrat
Die slowakische Regierung hatte für den Vormittag eine Sondersitzung einberufen. Zeitgleich soll auch der nationale Sicherheitsrat über die Lage beraten Ihm gehören neben dem Regierungschef die Minister für Inneres und Verteidigung sowie weitere Minister aller drei Koalitionsparteien an. Bereits am Mittwoch hatte Innenminister Estok erhöhte Schutzmaßnahmen für Politiker und Journalisten infolge des Attentats angekündigt.
Die scheidende slowakische Präsidentin Zuzana Caputova nannte das Attentat einen Schlag gegen die Demokratie. Gleichzeitig rief sie alle Akteure zu Besonnenheit auf. Sie kündigte an, die Vorsitzenden aller großen politischen Parteien des Landes zu einem gemeinsamen Treffen einzuladen. Ziel sei es nun, parteipolitische Spannungen abzubauen und das Land und die Menschen wieder zu beruhigen und zusammenzuführen.
Ihr Nachfolger, der designierte Staatspräsident Peter Pellegrini, forderte eine Reaktion aller Parteien: "Ich rufe alle politischen Parteien in der Slowakei auf, ihren Europawahlkampf vorübergehend auszusetzen oder deutlich einzuschränken", erklärte er in Bratislava. Das Land könne sich derzeit keine weiteren Konfrontationen oder gegenseitige Beschuldigungen erlauben, fügte er hinzu. Pellegrini, der ein Verbündeter des russlandfreundlichen Fico ist, war Anfang April in einer Stichwahl zum neuen Präsidenten gewählt worden.
Erstes Politiker-Attentat in Geschichte des Landes
Das Attentat auf Fico ist das erste auf einen Politiker in der Geschichte der Slowakei. Seit Oktober ist der Premier wieder im Amt, schon zum vierten Mal, mit einem gemäßigter auftretenden linken Regierungspartner und einer kleinen rechtsnationalen Partei. Die liberale proeuropäische Opposition sieht seitdem den Rechtsstaat und die Pressefreiheit in Gefahr. Sie organisiert regelmäßig regierungskritische Proteste.
Am Tag des Attentats wollte sie gegen die geplante Abschaffung der öffentlich-rechtlichen Medien demonstrieren. Doch nun haben die meisten Parteien alle Proteste und Veranstaltungen vor der Europawahl in der Slowakei bis auf weiteres abgesagt.
Europäische Politiker reagieren entsetzt
Der Angriff löste international Bestürzung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach auf der Plattform X von einem "feigen Attentat", das ihn sehr erschüttere. "Gewalt darf keinen Platz haben in der europäischen Politik", so Scholz weiter. Auch Außenministerin Annalena Baerbock sprach den Angehörigen des slowakischen Premiers ihre Anteilnahme aus und mahnte: "Wir sehen immer wieder, wie Hass in Gewalt umschlägt und wie sie jeden treffen kann." Die Grünen-Politikerin rief dazu auf, die "europäische Demokratie" zu verteidigen.
Auch US-Präsident Joe Biden verurteilte die "schreckliche Gewalttat". "Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", hieß es aus dem Weißen Haus. Russlands Präsident Wladimir Putin ließ mitteilen: "Ich kenne Robert Fico als mutigen und willensstarken Mann. Ich hoffe sehr, dass diese Eigenschaften ihm helfen, diese schwierige Situation zu überstehen."
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj und weitere europäische Spitzenpolitiker reagierten ebenfalls schockiert auf das Attentat. Polens Regierungschef Donald Tusk schrieb auf X: "Robert, meine Gedanken sind in diesem sehr schwierigen Moment bei dir."
Mit Informationen von Marianne Allweiss, ARD Prag