Demonstrierende in Warschau mit einem Transparent mit der Aufschrift "Don't rape"

Polen Debatte über schärferes Sexualstrafrecht

Stand: 08.03.2024 18:48 Uhr

Eine junge Frau wird brutal vergewaltigt und stirbt kurz darauf. Die Tat erschüttert Polen. Viele Menschen demonstrieren für ein schärferes Sexualstrafrecht - und für ein Umdenken in der Gesellschaft.

Die Kerzen brennen noch. Ein Berg Blumen liegt vor dem Hauseingang in der Żurawiastraße, wenige Meter entfernt vom belebten Warschauer Stadtzentrum. Jemand hat einen Schriftzug an die Wand geklebt: "Liza - getötet durch Gewalt und Gleichgültigkeit".

Liza war 25 Jahre alt. Vor knapp zwei Wochen war sie in den frühen Morgenstunden auf dem Weg nach Hause, als sie von einem Mann angegriffen, in einen Hauseingang gezerrt, gewürgt und brutal vergewaltigt wurde. Die junge Frau aus Belarus starb wenige Tage später im Krankenhaus.

Menschen legen am Hauseingang Blumen nieder und zünden Kerzen an

Trauernde legen am Tatort Blumen nieder und zünden Kerzen an

Das Verbrechen erschüttert viele Menschen in Polen. Die Autorin Karolina Sulej hat mit anderen Frauen einen Trauermarsch durch die Hauptstadt organisiert.

"Dieser Marsch findet statt, um an Liza zu erinnern, aber auch, um gegen diese Kultur der Vergewaltigung, in der wir leben, zu protestieren. Diese Kultur beinhaltet nicht nur solche tragischen Vorfälle wie in diesem Hauseingang, diese schreckliche menschliche Katastrophe, sondern auch alltägliches Verhalten."

"Kultur der Gewalt" bekämpfen

Frauen würden aufwachsen in dieser Kultur der Gewalt, sie täglich wie Luft einatmen und dagegen müsse man vorgehen, sagt Sulej: in Schulen, zu Hause, in den Medien - und jetzt auch im Parlament.

Tatsächlich hat die brutale Vergewaltigung in Warschau auch die polnische Politik aufgeweckt. Seit Jahren forderten Frauenrechtsaktivistinnen, das veraltete polnische Sexualstrafrecht anzupassen, sagt die Abgeordnete der mitregierenden Partei KO, Monika Rosa. 

In Polen würde schätzungsweise nur jede fünfte Vergewaltigung angezeigt und nur eines von vier Verfahren ende mit einer Bestätigung des Verbrechens. "Und dabei findet einfach eine Vergewaltigung statt, wenn es keine Zustimmung zum Sex gibt", sagt Rose, "aber die Definition, die vor fast 100 Jahren festgelegt wurde, geht von einer mutmaßlichen Zustimmung zum Sex aus."

Opfer oft in der Beweispflicht

Vor Gericht heiße das oft: Damit die Tat als Vergewaltigung gilt, müsse mit ihr eine Drohung, Täuschung oder Gewalt einhergehen, so Rosa. Wenn sich eine Person nicht gewehrt hat oder nicht wehren konnte, könne der Täter kaum belangt werden. "Wenn wir also überhaupt den Mut haben, die Tat anzuzeigen, konzentriert sich der Staatsanwalt darauf, inwieweit wir beweisen können, dass wir den Sex wirklich nicht wollten."

 

Zwar hat auch Polen die Istanbul-Konvention zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen unterzeichnet - allerdings ohne das Strafrecht anzupassen. Stattdessen forderte 2020 die bis vor kurzem regierende PiS-Partei, aus der Konvention wieder auszutreten. Den besten Schutz biete eine intakte Familie, so die Argumentation damals.

Parlament diskutiert Modernisierung des Sexualstrafrechts

Der Austritt ist inzwischen gestoppt und in dieser Woche hat der Sejm, das polnische Parlament, begonnen, die Modernisierung des Sexualstrafrechts zu besprechen.

Der mutmaßlich Vergewaltiger und Mörder von Liza wurde kurz nach der Tat festgenommen. Überwachungskameras hatten ihn erfasst. Die Aufnahmen zeigen aber auch andere Menschen, die in der Straße waren. Ob sie die Tat mitbekommen haben, ist unklar. Geholfen hat Liza jedenfalls niemand.

Martin Adam, ARD Warschau, tagesschau, 09.03.2024 05:50 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. Februar 2024 um 05:15 Uhr.