Ein russischer Transitzug hält am Bahnhof von Kena (Litauen).
Europamagazin

Transit nach Kaliningrad Warum Litauen russische Züge als Gefahr sieht

Stand: 31.05.2025 12:51 Uhr

Jeden Tag fahren russische Züge aus Moskau direkt durch Litauen. Ihr Ziel ist die Exklave Kaliningrad. Doch seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind diese Züge für viele Litauer ein potenzielles Sicherheitsrisiko.

Es ist kalt und regnerisch, als der silberne Zug der russischen Staatsbahn an diesem Morgen am Bahnhof in Kena einfährt. Der Grenzbahnhof liegt direkt an der litauischen Grenze zu Belarus. Aus dem Zug blicken ein paar Passagiere verschlafen auf den nassen Bahnsteig.

Mit ihnen zu sprechen ist nicht möglich. Denn Ein- und Aussteigen ist bei diesem Zug streng verboten. Einige winken aus dem Zug, andere ziehen schnell die Gardinen zu.

Nur eine Gruppe Grenzbeamter darf den Zug betreten. Heute kontrollieren sie rund 160 Passagiere, die mit diesem Zug nach Kaliningrad reisen wollen. Die russische Exklave liegt zwischen Polen und Litauen an der Ostsee.

 

Ein russischer Transitzug hält am Bahnhof von Kena (Litauen). Auf einem Waggon ist die Aufschrift "Russische Post" zu lesen.

Die russischen Züge dürfen auf litauischen Bahnhöfen nur anhalten - lediglich Grenzbeamte dürfen die Züge betreten.

Die Kontrollen sind strenger geworden

Früher gab es auch schon Grenzkontrollen, doch die Vorzeichen haben sich geändert und der Blick der Grenzbeamten ist strenger geworden.

Heute sind die Züge für einige in Litauen ein Sicherheitsrisiko. Auch für Andrius, dessen voller Namen nicht genannt werden darf. "Auf eine gewisse Art sind die Züge eine Gefahr, zumindest, wenn man sie für einen bösen Zweck verwenden möchte", sagt er.

Andrius ist Teil einer litauischen Spezialeinheit. Gerade tanken er und sein Kollege einen Hubschrauber vor einem Hangar irgendwo in der Nähe der litauischen Hauptstadt Vilnius. "Gerade neu", sagt Andrius und zeigt auf den Hubschrauber. Bezahlt habe man den mit EU-Geldern. Denn es gehe um den Schutz der EU-Außengrenze, erklärt Andrius.

Gleich sollen er und sein Kollege zu einem Überwachungsflug starten, sollen einen russischen Transitzug auf seinem Weg durch Litauen penibel im Blick behalten.

 

Mitarbeiter des litauischen Grenzschutzes stehen in der Nähe der Hauptstadt Vilnius vor einem Hubschrauber.

Auch aus der Luft werden die Transitzüge vom litauischen Grenzschutz überwacht. Denn das gesamte Baltikum sieht sich als potenzielles Ziel eines russischen Angriffs.

Nicht jeder Transport erlaubt

Die Transitzüge sind zwar weitgehend von Sanktionen ausgenommen, aber es gelten strenge Regeln. Nicht alles darf transportiert werden: Soldaten und militärisches Gerät dürfen die Strecke durch Litauen nicht mehr passieren. Für Stahl und Beton gelten Obergrenzen.

Der Grenzschutz wurde massiv ausgebaut. Neue Hubschrauber, neue Überwachungstechnik - weit mehr als 100 Millionen Euro hat das laut litauischem Grenzschutz gekostet.

Die Sorge der litauischen Behörden: Russland könnte mit den Transitzügen verdeckt Soldaten oder gar Militärgerät in die Exklave Kaliningrad transportieren. Denn die ist strategisch gut gelegen.

Karte mit Litauen, Belarus, Lettland, Polen und den Städten Vilnius, Kaliningrad und Kena

"Diese Züge sollten verboten werden"

Einige in Litauen würden die Züge am liebsten sofort verbieten, erzählt Ruta. Sie ist Gemeindevorsitzende in Kybartai, einem kleinen Ort direkt an der Grenze zu Kaliningrad. 4500 Menschen leben hier in Sichtweite zur Grenze.

Aufgewachsen sie hier unbeschwert. Ihr Vater habe beim Grenzschutz gearbeitet und erzähle noch heute: Man habe mit den Russen aus Kaliningrad gut kooperiert, freundschaftlich.

Doch diese Zeiten seien vorbei, sagt Ruta: "Heute ist es anders, weil der Krieg nicht mehr irgendwo weit weg ist, man nimmt alles anders wahr."

Doch so ein Verbot wäre heikel. Litauen gilt schon jetzt unter Sicherheitsexperten als mögliches Angriffsziel Russlands. Denn würde Russland den Streifen zwischen Belarus und Kaliningrad unter seine Kontrolle bringen, hätten die NATO-Staaten keine Landverbindung mehr zu ihren Verbündeten im Baltikum.

Ein Verbot der russischen Transitzüge könnte für Moskau ein weiterer Grund für einen Angriff sein.

 

Stiller Protest mit Bannern

Und so bleibt vielen in Litauen nur der stille Protest, zum Beispiel am Bahnhof Kena an der Grenze zu Belarus.

Während die Grenzbeamten hier durch den Zug aus Moskau gehen, flattern gut sichtbar für die russischen Passagiere große Banner am Bahnsteig. Auf ihnen sind Bilder aus der Ukraine zu sehen: Leichen am Straßenrand, zerbombte Häuser, eine alte Frau mit amputierten Beinen.

Die meisten Passagiere scheinen die leicht verblichenen Plakate aber kaum zu beachten.

 

Wie aus einer anderen Welt

Auch Raimondas Pranka hat ein Plakat aufgehängt. Über dem Eingang seiner Bahnhofskneipe in der Hauptstadt Vilnius steht in russischen Lettern: "Es lebe die Ukraine". Die Passagiere der Transitzüge, die auch hier vorbeifahren, würden das zwar kaum sehen können, doch es geht Pranka um ein Zeichen.

Früher habe man hier sogar DJs aus Belarus eingeladen, doch die Partyfreundschaft sei mit dem Krieg in der Ukraine und dem russlandnahen Kurs der belarusischen Regierung vorbei gewesen.

An einem Tisch vor der Kneipe sitzt Gediminas. Auch er kennt die Transitzüge. "Es fühlt sich an wie zwei Welten, zwei Planeten. So nah beieinander. Wir hier, die dort." Verbieten sollte man diese Züge aber nicht, sagt er. "Es ist eine Sache der Menschlichkeit. Die Politik ist etwas anderes."

 

Hoffen auf Frieden - irgendwann

Hubschrauberpilot Andrius hofft, dass seine Kontrollflüge irgendwann einmal nicht mehr nötig sein werden. Doch das wird wohl noch lange dauern. Bis dahin werden er und seine Kollegen weiter die russischen Transitzüge aus der Luft beobachten.

Der Zug aus Moskau darf derweil den Grenzbahnhof in Kena verlassen. "Es gab keine Auffälligkeiten", sagt eine Grenzbeamtin. In wenigen Stunden erwarten sie hier den russischen Zug - der nächste Transit mitten durch Litauen, mitten durch EU-Gebiet.

 Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Europamagazin - am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.

Johannes Koch, NDR, tagesschau, 30.05.2025 08:33 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Europamagazin am 01. Juni 2025 um 12:45 Uhr.