Boris Johnson vor Untersuchungsausschuss
Analyse

Anhörung in "Partygate"-Affäre Johnsons politischer Schicksalstag

Stand: 22.03.2023 18:52 Uhr

Hat Boris Johnson das Parlament in Sachen "Partygate"-Affäre belogen? Egal, zu welchem Ergebnis der U-Ausschuss irgendwann kommt - seine Anhörung war wichtig für die britische Demokratie.

Boris Johnson erschien mit einer für seine Verhältnisse ungewöhnlichen Frisur, nämlich mit kurz und ordentlich geschnittenen Haaren vor dem sogenannten Privileges Committee, das nun entscheiden muss, ob er während des Covid Lockdowns das britische Parlament wissentlich belogen hat.

Der Ex-Premier will ganz offensichtlich seriös auftreten. Denn es geht um viel für ihn. Sollte der Untersuchungsausschuss ihn für schuldig erklären, das Parlament wissentlich belogen zu haben, könnte Johnson das sein Abgeordnetenamt und damit seine politische Zukunft kosten.

"Das dürfte kein gutes Ergebnis für Boris Johnson werden", Annette Dittert, ARD London, zum Hearing nach "Partygate"-Affäre

tagesschau24 19:00 Uhr

Fotos belegen, dass die Partys stattgefunden haben

Auf mehr als 100 Seiten hat das Privileges Committee in mühsamer Kleinarbeit eine überwältigende Anzahl von Fakten zusammengetragen, die den Vorwurf mehr als zu belegen scheinen: Fotos, die Johnson inmitten größerer Menschenansammlungen in der Downing Street zeigen, die zu dieser Zeit nicht erlaubt waren, oft mit Alkohol und ganz offensichtlich angeheiterten Mitarbeitern - also das, was der normale Brite als Partiy bezeichnen würde.

Dennoch ist es damit nicht getan. Der Untersuchungsausschuss muss nämlich nicht nur beweisen, dass Johnson generell diesbezüglich gelogen hat, sondern, und das ist der entscheidende feine Unterschied, dass er das Parlament bewusst und mit Absicht belogen hat, als er dort wiederholt erklärte, in der Downing Street seien die Lockdown-Regeln zu jeder Zeit eingehalten worden. Das nämlich - die bewusste Irreführung des Parlaments - ist in der britischen Verfassung ein relativ schweres Vergehen.

Boris Johnson vor Untersuchungsausschuss

Boris Johnson muss sich vor dem Untersuchungsausschuss erklären. Es geht um die Frage, ob er das Parlament mit Absicht belogen hat. Fotos liefern Belege, dass die Partys stattgefunden haben.

Kannte er seine eigenen Regeln nicht?

Johnsons Verteidigungsstrategie basiert auf einer leicht surrealen Pirouette. Er versuchte dem Ausschuss glaubhaft zu machen, dass die Regeln jeweils so komplex gewesen seien, dass er gar nicht verstanden habe, wo und wie er womöglich dagegen verstoßen habe.

Was dann aber natürlich auch bedeutet, dass er seine eigenen Regeln, die er als Premier während des Lockdowns jeden Abend im Fernsehen verkündete, nicht begriffen hätte - eine Verteidigung, mit der er sich als Premierminister zwar endgültig disqualifiziert, die ihn aber in der Frage, ob er das Parlament wissentlich belogen habe, entlasten könnte.

Suspendierung könnte Abgeordneten-Amt kosten

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses wirkten dennoch wenig überzeugt von Johnsons Strategie. Ob sie am Ende in den nächsten Tagen oder Wochen dem Parlament die "Höchststrafe" zur Abstimmung empfehlen werden - eine mehr als zehntägige Suspendierung Johnsons vom Parlament, die ihn sein Abgeordnetenamt kosten könnte - ist im Moment aber noch unklar.

Denn dazu müssten die sieben Abgeordneten ganz klar nachweisen können, dass er im Parlament absichtsvoll gelogen habe. Und eine individuelle Absicht ist im Zweifelsfall nur schwer zu beweisen.

Meilenstein für britische Demokratie

Aber egal wie dieser Untersuchungsausschuss am Ende ausgeht, das Hearing ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der britischen Demokratie. Denn das Parlament ist in der ungeschriebenen britischen Verfassung der eigentliche Souverän im Staat.

Die Art und Weise, wie Johnson mit den gewählten Abgeordneten in seiner Zeit als Premier umsprang aber erschütterte immer wieder das Fundament des britischen Rechtsstaats. Das waren nicht nur Johnsons chronische Lüge, oder die wiederholten Versuche, das Parlament ganz zu umgehen, bis hin zu seiner widerrechtlichen Auflösung 2019, die später vom Supreme Court widerrufen wurde.

Ein Abgeordneter von vielen

Seit der Brexit in Kraft trat, wurde die eigentlich zentrale Rolle des britischen Parlaments immer wieder mit Füßen getreten. Johnsons rücksichtsloser Umgang mit Regeln und den berühmten ungeschriebenen Verhaltensregeln der politischen Kultur Großbritanniens färbte zunehmend auch auf seine Mitstreiter ab.

Mit diesem Untersuchungsausschuss aber rückt das Abgeordnetenhaus nun die eigentlichen in der Verfassung vorgesehenen Machtverhältnisse wieder zurecht. Auch ein ehemaliger Premierminister ist am Ende nur ein Abgeordneter von vielen, der sich dem Willen des gewählten Parlaments zu beugen hat.

Das ist das wichtigste Signal, das von dem Tag ausgehen wird. Egal, ob es das Ende der politischen Zukunft Boris Johnsons einleiten wird oder ob er noch einmal so gerade davon kommen wird.

Imke Köhler, Imke Köhler, ARD London, 23.03.2023 08:48 Uhr