Die Fahnen der Europäischen Union und von Polen.

Einschätzung der EU Polens Justizsystem nach wie vor unzureichend

Stand: 29.06.2022 08:35 Uhr

Auf Druck der EU hat Polen seine umstrittene Justizreform teilweise zurückgenommen. Doch Brüssel reichen die Änderungen nicht aus, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Das könnte die Auszahlungen von EU-Geldern an Polen verzögern.

Die EU-Kommission hält die jüngsten Änderungen am polnischen Justizsystem für unzureichend, um Zweifel an der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards auszuräumen. Die Auszahlung von Mitteln aus dem milliardenschweren EU-Topf zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise dürfte sich damit weiter verzögern. In einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof machte die Brüsseler Behörde nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa deutlich, dass strittige Bestimmungen nach einer ersten Analyse nicht aufgehoben wurden.

Mehrere Mängel

Demnach wurde die ausschließliche Zuständigkeit der "Kammer für Außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten" des Obersten Gerichtshofs für Fragen der Unabhängigkeit der Richter nicht aufgehoben. Auch wurde festgestellt, dass das neue Gesetz die suspendierten Richter nicht sofort wieder einsetzt, sondern nur ein Überprüfungsverfahren vorsieht. Solche Fälle sollten nach den Vorstellungen der EU-Kommission eigentlich von einem unabhängigen Gericht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist geprüft werden.

Relevant ist die Analyse der Behörde vor allem deshalb, weil die Regierung in Warschau zuletzt gehofft hatte, Zugriff auf Gelder von bis zu 35 Milliarden Euro zu bekommen, nachdem ein neues "Gesetz über den Obersten Gerichtshof" verabschiedet wurde. Die EU-Kommission blockiert seit Monaten die Freigabe der Mittel, weil sie eklatante Mängel im polnischen Justizsystem sieht. Zuletzt wurde allerdings mit der Regierung in Polen eine Einigung über Voraussetzungen zur Auszahlung der Mittel erzielt. Warschau ging dabei davon aus, dass mit dem neuen Gesetz die Voraussetzungen erfüllt werden.

Streitpunkt Disziplinarkammer

Um Geld aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfaszilität (RRF) zu erhalten, müssen Mitgliedstaaten einen Plan mit Investitions- und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt werden sollte. Polen hatte seinen Aufbauplan bereits im Mai 2021 eingereicht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte jedoch, dass Polen entscheidende Justizreformen zurücknimmt, um die Unabhängigkeit der Richter wieder herzustellen.

Einer der Streitpunkte war die Disziplinarkammer, die jeden Richter und Staatsanwalt bestrafen und entlassen konnte. Davon hat Polen sich Mitte Juni verabschiedet. Die 2018 eingeführte Kammer am Obersten Gerichtshof war ein Herzstück der Justizreform der nationalkonservativen PiS-Regierung. Im Juli vergangenen Jahres hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Polen damit gegen europäisches Recht verstößt.

Neue "Kammer für berufliche Verantwortung"

Die Disziplinarkammer wird nun durch eine neue "Kammer für berufliche Verantwortung" ersetzt. Richter, die bisher in der Disziplinarkammer tätig waren, werden in andere Positionen am Obersten Gerichtshof versetzt oder können in den Ruhestand wechseln. Unter allen Richtern des Obersten Gerichtshofs, mit Ausnahme der Präsidenten der Kammern des Obersten Gerichtshofs, werden 33 Personen ausgelost, von denen der Staatspräsident elf Richter für die Zusammensetzung der neuen "Kammer für berufliche Verantwortung" für eine Amtszeit von fünf Jahren auswählen soll.

Neben der Abschaffung der Disziplinarkammer sieht der polnische Plan vor, dass Richter nicht mehr disziplinarisch belangt werden dürfen, wenn sie den Europäischen Gerichtshof um Auslegung von EU-Recht bitten. Zudem müssen Richter, die bereits von Entscheidungen der Disziplinarkammer betroffen sind, diese Entscheidungen von einem unabhängigen Gericht überprüfen lassen dürfen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 29. Juni 2022 um 07:20 Uhr.