Menschen laufen an einem Bücherregal in Damaskus, Syrien vorbei.
Reportage

Kulturelle Freiheit in Syrien Bücher lesen, die jahrelang verboten waren

Stand: 29.05.2025 16:12 Uhr

Unter Diktator Assad herrschte in Syrien eine strikte Zensur. Mittlerweile dürfen Bücher veröffentlicht werden, die jahrelang verboten waren. Verlage und Leser freuen sich - doch in der Kunstszene gibt es auch Sorgen.

Von Nina Amin, ARD Kairo, zzt. Damaskus

An den Freiluft-Bücherständen auf Damaskus Straßen ist für jeden Geschmack etwas dabei: Ratgeber, Liebesromane oder politische Bücher. Das war nicht immer so.

Radwan Jabbali wischt den Straßenstaub von den Covern. Seit 25 Jahren verkauft er Bücher auf der Straße - nur in den Kriegsjahren nach 2011 baute er seinen Stand für ein paar Jahre ab. Jetzt bietet er erstmals offen Werke zum Verkauf an, die während des Assad-Regimes verboten waren.

"Das war schlimmer, als Waffen zu verkaufen"

Damals sei jedes intellektuelle Buch, in dem ein kritisches Wort über die Partei oder die Regierung stand, verboten gewesen, erzählt Jabbali. Wer es verkaufte, habe Probleme bekommen. "Das war schlimmer, als Drogen oder Waffen zu verkaufen."

Unter Assad sei es lebensgefährlich gewesen, Bücher ins Land zu schmuggeln, bestätigt auch Wahid Taja, Pressesprecher des Verlags Dar el-Fikr, was auf Deutsch so viel heißt wie "Haus des Denkens".

Bücher stehen an einer Straße in Damaskus, Syrien.

In Damaskus können die Menschen wieder lesen, was jahrelang zensiert wurde.

Er schmuggelte damals über Beirut das Buch "Die Muschel" des syrischen Autors Mustafa Khalifa ein. Es beschreibt die Lage in einem syrischen Gefängnis. "Wenn sie es bei mir gefunden hätten, hätten sie mich direkt ins Saidnaya-Gefängnis gebracht."

Nach Ende der mehr als 50-jährigen Herrschaft der Assad-Familie hat sich für Verleger viel geändert. Damals verbotene Bücher verkauft der Verlag nun bei einer Büchermesse in der syrischen Hauptstadt.

Zum ersten Mal spüre er Freiheit, die Freiheit des Wissens. "Es gibt keine verbotenen Bücher mehr", meint Taja.

"Sie haben uns unser kulturelles Erbe gestohlen"

Balqeis Hussein studiert arabische Literatur. Die junge Studentin stöbert im Angebot der Büchertische, die in ihrer Universität aufgebaut sind. Sie liebt Lesen. Früher habe sie die verbotenen Bücher heimlich als PDF gelesen. "Das fühlte sich falsch an", meint Hussein. "Sie haben uns die Lektüre dieser Bücher gestohlen und unser kulturelles Erbe."

Zehntausende verbotene Bücher gab es unter Assad, erzählt der Verlagsmann Taja. Vor dem Buchdruck wurde jede Druckfahne - ob literarisches Werk, religiöse Schrift oder politisches Buch - vom jeweiligen Ministerium kontrolliert und zensiert. Jetzt fühle man sich zum ersten Mal frei, jedes Buch zu importieren, zu drucken, zu verkaufen und auszustellen.

Für Taja, der in Frankreich studiert hat und dessen Frau und Töchter - wie er betont - keine Kopftücher tragen, gibt es aber eine Grenze. "Wir zum Beispiel als Verlag drucken keine erotischen Bücher oder solche, die gegen bestimmte gesellschaftliche Werte verstoßen." Das sei aber Verlagslinie, keine staatliche Vorgabe.

Jugendliche betrachten Bilder einer Ausstellung in Damaskus.

Die Zawaya Art Gallery in Damaskus zeigt moderne Kunst, Aktmalerei und Skulpturen. Wie viel Freiheit lassen die neuen Machthaber zu?

Galeristin traut Übergangsregierung nicht

Was manche für unangemessene Erotik, für einen Verstoß gegen Werte halten, ist für Roula Sulaiman von der Zawaya Art Gallery schlicht künstlerische Freiheit. Seit sechs Jahren bringt sie Menschen in ihrer Galerie zusammen. Regelmäßig organisiert sie Kulturabende und eröffnet neue Ausstellungen.

Kultur und Kunst als gemeinsame Sprache der Menschen - daran glaubt die junge Galeristin. In einer Altbauwohnung in einem christlich geprägten Viertel in Damaskus gibt es Skulpturen, Aktmalerei und moderne Kunst. Der neuen islamistisch geprägten Übergangsregierung traut die Mitbegründerin der Zawaya Art Gallery nicht.

Skulpturen seien im Sinne der religiösen Vorschriften verboten, also haram, habe ein Mann der HTS-Miliz ihr bei seinem Galeriebesuch gesagt. Seit seinem "Besuch" habe sie Angst - schließlich seien das Dschihadisten. "Wer wird mich beschützen, wenn so jemand in die Galerie kommt und anfängt, alles zu zerschlagen und die Kunstwerke niederzubrennen? Niemand! Sie werden sagen, dass es die Tat eines Einzelnen war."

Dabei denkt die Alawitin auch an die Massaker Anfang März 2025. Milizen, die der neuen syrischen Regierung nahestehen, töteten in der Küstenregion gezielt Angehörige der alawitischen Minderheit. Und das, obwohl Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa versprochen hat, alle Minderheiten zu schützen.

Syrien verlassen?

Roula Sulaiman denkt darüber nach, Syrien zu verlassen. Auch, wenn ihre Galerie eine feste Institution ist. In der Hauptstadt sei es noch sicher, meint die Galeristin. Weil die Welt auf Syrien schaut und die neue Regierung für den Wiederaufbau auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen ist.

Aber: Damaskus sei eine Blase, meint Sulaiman. Und niemand wisse, wann diese Blase platzt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 27. Mai 2025 um 17:50 Uhr.