Kirgisische Sicherheitskräfte an der Grenze zu Tadschikistan
Hintergrund

Zentralasien Wenn das Wasser versiegt

Stand: 01.05.2021 16:47 Uhr

Ein Streit zwischen Kirgisen und Tadschiken um eine Wasserstation hat zuletzt mehr als 30 Menschen das Leben gekostet. Die Lage bleibt explosiv, denn Klimawandel und Pandemie verschärfen jahrzehntealte Probleme.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Aus dem Flugzeug wirkt das Ferghana-Tal zwischen dem Tienschan- und dem Alaigebirge wie eine grüne Oase inmitten von Bergen und Ebenen in grauen, braunen und ockerfarbenen Tönen. Landwirtschaft ist die wichtigste Einnahmequelle für die Menschen dieser Region in Zentralasien, die sich auf Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan verteilt.

Es ist eine Landwirtschaft, die von Bewässerung lebt. Kilometerlange Kanäle durchziehen die Felder, das Wasser kommt aus Flüssen wie dem Isfara, die sich aus Schnee und Eis in den umliegenden Gebirgen speisen. Doch wie überall in der Welt schmelzen auch die Gletscher in Zentralasien. Es gibt eine Tendenz zu mehr Trockenheit und Unwettern.

Die Karte zeigt das Gebiet Batken in Kirgistan

Die Region Batken gehört zu Kirgistan.

Die Kanalsysteme und Stauseen wurden zu Sowjetzeiten als Megaprojekte errichtet, als noch niemand an einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen dachte - ein erheblicher Anteil des Wassers in den offenen Kanälen verdunstet einfach. Zudem versickert aus den seit Jahrzehnten schlecht gewarteten Anlagen Wasser in das Erdreich.

So berichteten Einwohner eines Dorfes nahe eines Stausees in der zu Kirgistan gehörenden Region Batken, dass der Boden unter ihren Grundstücken feucht sei und ihre Hauswände aus Lehm geradezu verfaulten, während sie sauberes Wasser nur in einer zentralen Entnahmestelle im Dorf bekämen. Bewohner mehrgeschossiger Wohnhäuser beklagten, dass der Wasserdruck so schwach sei, dass aus den Hähnen in den oberen Wohnungen kein Wasser fließe. Für den Toilettengang auf Latrinen zwischen den Häusern müssten sie bezahlen.

Staatsversagen

Die Probleme mit der Wasserversorgung ließen sich lösen. Doch die Zentralregierungen von Kirgistan und Tadschikistan vernachlässigten die fernab gelegene Region in den vergangenen Jahrzehnten. Gelder für Projekte versandeten in Korruption. Hinzu kommt ein äußerst verschachtelter Grenzverlauf zwischen Kirgistan und Tadschikistan: Zwei große und mehrere kleine Landzungen greifen ineinander. Außerdem gibt es tadschikische und usbekische Enklaven innerhalb Kirgistans sowie Dörfer in den Bergen, die jeweils nur vom anderen Land aus zu erreichen sind.

Diese Grenzen richten sich nicht zuvorderst nach geografischen Gegebenheiten. Sie wurden zu Stalins Zeiten entlang der Siedlungsgebiete von Kirgisen, Tadschiken und Usbeken gezogen, aber an vielen Stellen nie genau festgelegt. Waren es zu Sowjetzeiten nur administrative Verläufe, sind es seit der Unabhängigkeit der Republiken im Jahr 1991 Grenzen, die einerseits für Schmuggel von Benzin, anderen lukrativen Waren sowie Drogen genutzt werden und andererseits immer wieder zu Streit um Ressourcen führen.

So kommt es vor, dass Kirgisen und Tadschiken einander den Diebstahl von Holz vorwerfen oder die Anpflanzung von Aprikosenbäumen auf den falschen Feldern. Permanent gibt es Streit um die Entnahme von Wasser, zum Beispiel am Fluss Isfara. Er entspringt im kirgisischen Teil des Alai-Gebirges, fließt etwa 15 Kilometer durch die von Tadschiken bewohnte Enklave Woruch, dann nochmals durch Kirgistan, um weiter nach Tadschikistan und schließlich nach Usbekistan zu fließen.

Eskalation beim Streit um eine Wasserverteilstation

Die Auseinandersetzungen Mitte der Woche, bei denen mehr als 30 Menschen allein auf kirgisischer Seite getötet wurden, entzündeten sich an einer Wasserverteilstation am Fluss Isfara. Sie befindet sich auf einem Streifen kirgisischen Territoriums zwischen der Enklave Woruch und Tadschikistan. Medienberichten zufolge wollten tadschikische Beamte dort gegen den Willen der kirgisischen Bewohner Videoüberwachung installieren. Erst flogen Steine, dann Kugeln. Auch zeigten Videos brennende Wohnhäuser. Mehrere Tausend Menschen auf kirgisischer Seite wurden in die Stadt Batken gebracht.

Die Staatschefs beider Länder vereinbarten schnell einen Waffenstillstand und sprachen sich für eine friedliche Beilegung aus. Die russische Regierung und die EU sagten Unterstützung dafür zu.

Schon in den vergangenen Jahren gab es internationale Projekte auch mit deutscher Beteiligung, um die Wasserversorgung durch Reparatur der Anlagen zu verbessern, das Bewusstsein für die Ressourcenknappheit und Wissen über neue Technologien unter den Menschen vor Ort zu verbreiten. Eine weitere Maßnahme war das Anbringen moderner Messgeräte, mit der die Entnahme von Wasser nachprüfbar werden sollte.

Signale militärischer Stärke

Doch die aktuelle Eskalation ist ein Beispiel dafür, dass es an grundlegendem Vertrauen zwischen den Ethnien in der Region fehlt. Für eine dauerhafte Lösung müssten die Regierungen Tadschikistans und Kirgistans enormen politischen Willen aufbringen. Es ginge darum, Zustimmung der lokalen Bevölkerung für die Festlegung der Grenzverläufe zu erhalten.

Zwar unternahm der Anfang des Jahres neu gewählte Präsident Kirgistans, Sadyr Schaparow, eine diplomatische Offensive. Er verkündete eine Lösung der Grenzstreitigkeiten mit dem Nachbarn Usbekistan. Auch für Tadschikistan liegen Vorschläge vor. So soll die Enklave Woruch an Kirgistan gehen und dafür die Grenze zugunsten Tadschikistans verschoben werden. Doch die Antwort aus Duschanbe war eisig - statt einer Annäherung kam es zu Signalen militärischer Stärke auf beiden Seiten.

Arbeitsmigration nach Russland

Außerdem müsste die soziale Lage der Menschen dort verbessert werden. Alle Länder der Region verzeichnen starkes Bevölkerungswachstum, ohne dass die jungen Menschen ausreichend Möglichkeiten für Bildung und Arbeit hätten. Ein Ventil für den massiven sozialen Druck war Arbeitsmigration vor allem nach Russland. Doch Finanz- und Wirtschaftskrisen dort - unter anderem infolge des Verfalls der Öl- und Gaspreise und aktuell in der Corona-Pandemie - wirken sich erheblich auf die Wanderarbeiter aus.

Anfangs konnten sie weniger Geld aus Russland überweisen, weshalb sich viele Familien Alltagsprodukte kaum noch leisten konnten. Dann durften die Menschen aus Tadschikistan, das nicht der Eurasischen Wirtschaftsunion angehört, nicht mehr nach Russland reisen. Zwar erlaubt Russland seit dem 1. April die Einreise wieder, aber nur für begrenzte Kontingente per Flugzeug. In Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe stehen seit Ende März Menschen tagelang für Flugtickets an, die jedoch enorm teuer sind.

Umstände wie diese sprechen dafür, dass die ohnehin seit Jahren vorhandene Anspannung auf hohem Niveau verbleibt und die Lage beim nächsten Streit erneut eskalieren könnte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. April 2021 um 01:00 Uhr.