Der FIFA-Kongress im Doha Exhibition & Convention Center im Frühjahr 2022.
Analyse

Politik und Fußball-WM Wie Katar sich unentbehrlich machen will

Stand: 19.11.2022 07:17 Uhr

Mit der WM zieht Katar den Blick der Welt auf sich - bei allen Skandalen ein kalkulierter Schritt: Sportevents gehören ebenso zur Außenpolitik wie Energieexporte und Verbindungen in viele Richtungen.

Eine Analyse von Anne Allmeling, ARD Kairo

Gigantische Banner mit Fußballstars aus aller Welt, Flaggen in allen Landesfarben, bunte Lichtspiele an den Häuserfassaden: Die katarische Hauptstadt Doha hat sich in Schale geworfen. An der Strandpromenade und auf den gerade eröffneten Fanmeilen der Stadt tummeln sich Menschen in traditionellen Gewändern und Fußballtrikots.

Kurz vor Beginn des bislang größten Sportereignisses in der Geschichte des Emirats lässt Katar keinen Zweifel daran, dass es alles dafür tut, um den internationalen Gästen ein Spektakel zu bieten.

Die Entscheidung, Katar zum Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 zu machen, ist nach wie vor umstritten - nicht nur, weil bei der Vergabe allem Anschein nach Korruption im Spiel war. Auch andere Argumente sprechen gegen Katar als Austragungsort: das heiße Wüstenklima, die fehlenden Stadien, die kaum entwickelte Fußball-Vereinslandschaft im Land.

Doch das kleine Land am Persischen Golf setzt alles daran, der Welt zu zeigen, dass sogar eine WM in Katar möglich ist. Was manchen Kritikern naiv oder größenwahnsinnig erscheint, ist Teil der katarischen Strategie: mit sogenannter Soft Power weltweit Sympathien gewinnen und sich unentbehrlich machen - als zuverlässiger Energielieferant, Vermittler, Sportveranstalter.

Rivalität mit Saudi-Arabien

Mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern und gerade einmal 300.000 Staatsbürgern gehört das Emirat zu den kleinsten Staaten am Persischen Golf. Wegen der immensen Ressourcen an Öl und Gas befürchtet die politische Führung in Doha, vom großen Nachbarn Saudi-Arabien überrannt zu werden - so wie Kuwait, das 1990 vom Irak angegriffen wurde.

Insgeheim scheint Saudi-Arabien Katar zum eigenen Einflussbereich zu zählen und hat ein Interesse daran, Katars Eigenständigkeit einzudämmen. Jahrhundertelang galt die arabische Halbinsel als eine Einheit; soziale Bindungen zwischen den Einwohnern beider Länder zeugen bis heute davon.

Aber das Emirat möchte seine Souveränität nicht verlieren. Im Vergleich mit Saudi-Arabien hat Katar aber keine schlagkräftige Armee - und versucht deshalb, sich auf andere Weise abzusichern.

Karte: Katar

Ziel: Unentbehrlicher Vermittler werden

Dabei folgt es nur selten der Politik des benachbarten Königreichs. So unterhält es zum Beispiel gute Beziehungen zum saudi-arabischen Erzfeind Iran, mit dem es sich auch das drittgrößte Gasfeld der Welt im Persischen Golf teilt. Auch die USA gelten als wichtige Verbündete Katars.

Nicht zuletzt unterhält das Emirat sehr gute Verbindungen zu islamistischen Gruppierungen, darunter die Muslimbruderschaft, die Hamas im Gazastreifen und die Taliban in Afghanistan. Dabei übernimmt Katar immer wieder die Rolle eines Vermittlers. Auf diese Weise versucht das Emirat, sich unentbehrlich zu machen. Je mehr Länder der Welt auf Katar angewiesen sind, desto mehr werden den kleinen Staat im Ernstfall verteidigen - so lautet offenbar das Kalkül.

Diese Strategie umfasst aber nicht allein die Politik. Auch wirtschaftlich stärkt Katar seine Kontakte in alle Richtungen - unter anderem, indem es zuverlässig Flüssiggas liefert: nach Asien genauso wie nach Europa. Selbst als Katar von seinen Nachbarländern Saudi-Arabien, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber auch von Ägypten fast vier Jahre lang blockiert wurde, hielt das Emirat an den Gaslieferungen in die Vereinigten Arabischen Emirate fest.

Bekanntheit steigern durch die WM

Mit der Fußball-WM will Katar darüber hinaus seinen Ruf als Ausrichter für sportliche Großereignisse festigen. Schon in den vergangenen Jahren fanden unter anderem die Formel Eins, die Leichtathletik-Weltmeisterschaften und der Asia Cup in Katar statt. "Das ist eine Strategie, um möglichst sicher zu sein", sagt Nicolas Fromm, der an der Bundeswehr-Universität in Hamburg zu Katar forscht. "Es geht darum, der Welt zu zeigen, dass es Katar gibt und dass Katar relevant ist - ob auf der Ebene der Energielieferungen, auf diplomatischer Ebene oder auch auf sportlicher Ebene."

Die laute Kritik - vor allem aus dem Westen - an der Ausrichtung der WM hat die politische Führung in Doha offenbar überrascht. Menschenrechtsverletzungen, schlechte Arbeitsbedingungen auf WM-Baustellen und mangelnde Pressefreiheit haben in vielen europäischen Ländern für Negativ-Schlagzeilen hervorgerufen. Emir Tamim bin Hamad Al-Thani sprach in einer Rede Ende Oktober von einer bespiellosen Kampagne: "Kein anderes Land, das eine WM ausgerichtet hat, wurde so stark kritisiert."

Bislang hatte allerdings auch kein WM-Gastgeberland so wenige fußballerische Erfolge vorzuweisen wie Katar. Der katarischen Nationalmannschaft werden denn auch nicht allzu große Chancen auf den Sieg eingeräumt, denn zuvor hatte sich Katar nie für eine Fußball-WM qualifiziert. Doch trotz aller Kritik wird Katar am Ende dennoch gewinnen - wenn nicht im Sport, dann zumindest an Bekanntheit.

Anne Allmeling, Anne Allmeling, ARD Kairo, 19.11.2022 07:40 Uhr