Schüler einer Highschool in Nagasaki/Japan.

Zehn Jahre Anti-Mobbing-Gesetz Japans Kampf gegen Mobbing

Stand: 28.09.2023 11:24 Uhr

Jedes Jahr gibt es mehr als 600.000 Opfer an Schulen - Mobbing ist in Japan ein Problem. Und das trotz eines seit zehn Jahren geltenden Anti-Mobbing-Gesetzes. Für Opfer gibt es inzwischen Versicherungen und Apps.

Projektunterricht in einer fünften Klasse der Grundschule Funabashi in Tokio. Die Schülerinnen und Schüler diskutieren diszipliniert in Gruppen über den gerade gezeigten Film, der ein an japanischen Schulen häufig vorkommendes Problem thematisiert: Ein Schüler wird von einer Gruppe aus der Klasse bei sozialen Aktivitäten ausgegrenzt und über die sozialen Netzwerke geschmäht und verunglimpft.

Mobbing ist in Japan weit verbreitet. Die jüngste Statistik des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2022 dokumentierte mehr als 600.000 Fälle pro Jahr. Japanischen Medienberichten zufolge gibt es seit neustem sogar Angebote von Versicherungspolicen für Mobbingopfer, mit denen die Kosten für psychologische Hilfen abgedeckt werden sowie die Ausgaben für mögliche Schulwechsel, verbunden mit dem Kauf von neuen Schuluniformen und Lernmitteln.

Die Klasse soll in Gruppenarbeit Lösungsoptionen für die im Film gezeigte Mobbingsituation erarbeiten und die Schülerinnen und Schüler sollen Stellung beziehen: Ob sie eingreifen würden, also dem ausgegrenzten Mitschüler helfen oder den Mobbingfall melden würden, oder ob sie sich lieber still aus der Sache raushalten.

Seit zehn Jahren Anti-Mobbing-Gesetz

Nachdem es in der Vergangenheit an japanischen Schulen einige sehr schwere Fälle von Mobbing gegeben hatte, wurde vor zehn Jahren das Anti-Mobbing-Gesetz erlassen. Es verpflichtet Schulen unter anderem, das Thema regelmäßig im Unterricht zu behandeln und Hilfsangebote für Mobbing-Opfer bereitzustellen, so Daizaburo Taniyama, selbst einst Mobbing-Opfer und Initiator von Hilfsprojekten.

"Das Problem ist sehr groß in Japan. Trotz des Gesetzes, das vor zehn Jahren in Kraft trat, gibt es immer mehr Fälle und auch immer wieder schwere Fälle, bei denen Schülerinnen und Schüler nicht mehr zum Unterricht kommen oder sich sogar das Leben nehmen", erläutert Taniyama.

Schulsystem könnte ein Grund sein

Ein Grund sei das Schulsystem, denn die Schülerinnen und Schüler seien beim Ganztagsunterricht immer im gleichen Klassenverband - im Unterricht, in den Pausen, beim Sport und bei der Nachmittagsbetreuung. Aufkommenden sozialen Konflikten könne man da schwer ausweichen.

Die Klasse in Funabashi hat sich mehrheitlich dafür entschieden, bei dem Mobbingfall einzuschreiten und den Lehrer zu informieren, damit das Geschehen gestoppt wird. Nur einzelne wollten sich lieber nicht einmischen, um am Ende nicht selbst gemobbt zu werden.

Ein Problem seien die Eltern, sagt Seiji Furutani, der Lehrer des Projektunterrichts gegen Mobbing. Viele glaubten bei Konfliktfällen, das eigene Kind habe Recht, das eigene Kind tue so etwas nicht. Die Eltern müssten viel häufiger mit ihren Kindern reden und mehr Verständnis für andere wecken.

Soziale Medien befeuern das Problem

Durch das Gesetz und die damit verbundenen Maßnahmen an den Schulen würden nun auch mehr Fälle entdeckt, die in die Statistik eingehen. Lehrer Seiji macht auch das Internet und die sozialen Netzwerke für die Zunahme von Mobbing unter Schülerinnen und Schülern verantwortlich.

Daizaburo Taniyama, der nach seiner eigenen Mobbing-Erfahrung als Jugendlicher heute Hilfsangebote konzipiert, hat eine App entwickelt, über die sich Mobbing-Opfer Hilfe holen und nicht beteiligte Zeugen solcher Vorkommnisse Mobbingfälle melden können. "Unsere App wird derzeit von 1.250 Schulen genutzt, das heißt wir erreichen mit diesem Angebot bislang etwa 360.000 Kinder und Jugendliche", so Tanijama.

Mobbing ist auch am Arbeitsplatz verbreitet

Auch im Erwachsenenleben, etwa am Arbeitsplatz, ist Mobbing ein weit verbreitetes Problem in Japan. Im vergangenen Jahr wurden die Strafen für Cyberbullying verschärft. Verunglimpfungen und Beschimpfungen im Internet und den sozialen Netzwerken können seitdem mit Geldstrafen von umgerechnet bis zu 2.500 US-Dollar oder sogar Gefängnis bestraft werden.

Ausgelöst hatte diese Gesetzesverschärfung der Selbstmord einer jungen Schauspielerin im Jahr 2020, die im Internet einem Shitstorm von Hassmeldungen und Beschimpfungen ausgesetzt war.

Bernd Musch-Borowska, ARD Tokio, tagesschau, 28.09.2023 09:00 Uhr